Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 2/2022
DR. DAGMAR HORN
TABELLE 3: Mögliche Dosierungen einzelner Beta-Laktam-Antibiotika bei adipösen Patient*Innen. Grafik adaptiert nach 13
werden normalisiert auf solche mit einer Körperoberfläche von 1.73 m 2 . In Unter- suchungen mit stark Übergewichtigen zeigte sich, dass diese Formeln zu einer Unterschätzung der Nierenfunktion führ- ten. 5 Auch die speziell an übergewichtigen Patient*Innen erforschte Salazar-Corco- ran-Formel, die TBW zur Berechnung ver- wendet, führte zu keiner Verbesserung der Präzision und Genauigkeit. 5 Grundsätzlich kann sich die Pharmako- kinetik aller Arzneistoffe bei adipösen Patient*Innen verändern. Im Folgenden werden als Beispiel mögliche Dosisanpas- sungen einzelner Antibiotika diskutiert, die im Alltag sowohl im ambulanten Be- reich als auch im Krankenhaus häufig ein- gesetzt werden. Adipöse Patient*Innen haben gegen- über Normalgewichtigen nicht nur ein erhöhtes Risiko für Infektionen, sie weisen zudem auch eine erhöhte Infektions-be- dingte Mortalität auf. 9 Die verzögerte Ap- plikation einer effektiven Antibiotika-Do- sierung erhöht zudem das Risiko an einer bakteriellen Infektion zu versterben sig- nifikant. 9 Darum ist von Beginn der The- rapie an das Erreichen einer wirksamen Konzentration von besonderer Bedeu- tung. In Anbetracht der oben dargestell- ten hohen interindividuellen pharmako- kinetischen Variabilität bei Adipösen wird sehr deutlich, dass Standarddosierungen hier regelmäßig nicht ausreichend sind und eine individuelle Anpassung der Do- sierung erforderlich ist. Trotzdem finden sich kaum Daten zur Dosierung in dieser Patientengruppe. a) Beta-Laktam-Antibiotika Die meisten Beta-Laktam-Antibiotika ge- hören zu den hydrophilen Arzneistoffen, die regelmäßig ein geringes V d besitzen, eine geringe intrazelluläre Konzentration und Gewebepenetration aufweisen sowie überwiegend renal eliminiert werden. 10 Bei Adipositas ist das V d erhöht, da mit der Zunahme des TBW auch die Muskel- masse und das Blutvolumen ansteigt und korreliert dabei am ehesten mit TBW oder LBW. 11 Ausnahmen hiervon stellen insbe- sondere Flucloxacillin und Ceftriaxon dar, die eine gewisse Lipophilie aufweisen und Dosisanpassung von Antibiotika bei Adipositas
Antibiotikum
Dosierung bei Adipositas
Beachte
Phenoxymethylpenicillin p.o.
1 Mio I.E. alle 6 Stunden
Möglicherweise reduzierte Compliance bei häufigerer Einnahme
Benzylpenicillin i.v.
5 Mio I.E. alle 4-6 Stunden Laut Zulassung auch Tagesdosierungen von 60 Mio I.E. möglich
Amoxicillin p.o.
1 g alle 8 Stunden
-
Ampoxicillin/Clavulansäure p.o.
875/125 mg alle 8 Stunden Kann ggf. zusätzlich mit Amoxicillin p.o. kombiniert werden.
Ampicillin i.v.
2 g alle 4 Stunden
Beachte kurze Stabilität der Lösung (Konzentrationen von 30 mg/mL bei Raumtemperatur nur 3 Stunden stabil)
Ampicillin/Sulbactam i.v.
2 g/1 g alle 6 Stunden 2 g alle 4-6 Stunden
-
Flucloxacillin i.v.
Bei Applikation von häufigen und hohen Dosierungen kann es bei geringer peripherer Zugangsgröße ein erhöhtes Risiko für Thrombophlebitiden geben.
Piperacillin/Tazobactam i.v.
4,5 g alle 6 Stunden 1 g alle 8 Stunden
Verlängerte Infusion erwägen
Cefaclor p.o.
Maximal 4 g/Tag
Cefazolin i.v. Cefuroxim i.v.
2 g alle 6 Stunden
Maximal 12 g/Tag
Zur perioperativen Antibiotika-Prophylaxe (PAP) initial 3 g bei Patient*Innen > 120 kg
Cefpodoxim p.o.
200 mg alle 12 Stunden
-
Cefotaxim i.v.
Standarddosierung verwenden
Maximal 12 g/Tag
Ceftazidim i.v.
2 g alle 8 h
Insbesondere für Infektionen durch Pseudomonas spp. oder andere Erreger mit erhöhter MHK sollte die verlängerte Infusion erwogen werden.
Ceftriaxon i.v. Meropenem
Standard-Dosierung 1-2 g alle 6-8 Stunden
Maximal 2 g alle 12 Stunden
Insb. bei Infektionen durch P. aeruginosa mit erhöhter MHK
zu einem hohen Anteil an Plasma-Protei- ne gebunden sind. Bei Adipösen kann es durch die hohe Konzentration von freien Fettsäuren, Lipoproteinen und Choles- terol im Blut auch zu einer Verdrängung von Arzneistoffen aus der Plasma-Protein- Bindung kommen. 10 Zwar führt eine sol- che Verdrängung initial zu einer erhöhten Konzentration, aber hierdurch wird auch der Anteil der renalen Clearance erhöht, so dass der Arzneistoff schneller wieder ausgeschieden wird. Wie oben dargestellt, ist die renale Ausscheidung bei adipösen Patient*Innen zudem oft erhöht, so dass Beta-Laktame auch verstärkt ausgeschie- den werden können. Trotz des breiten Einsatzes fehlen je- doch verlässliche Daten, wie Beta-Lakta- me bei Adipösen zu dosieren sind. In Hin- blick auf die Annahme, dass V d regelmäßig
erhöht sein wird, und dass sich beim Ein- satz dieser Arzneistoffe nur selten schwe- re unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) manifestieren, sollten sie nach Möglichkeit mit der maximalen zugelas- senen Dosierung angewendet werden (s. Tab. 3). 4,10 Dies gilt insbesondere bei schweren bzw. lebensbedrohlichen Infek- tionen. Mit Blick auf die klinische Situation sollte auch über erhöhte Initialdosierun- gen nachgedacht werden, die basierend auf den mikrobiologischen Ergebnissen, Organfunktionen und dem Ansprechen auf die Therapie, im Verlauf wieder redu- ziert werden können. Auch eine Verlänge- rung der Infusionsdauer bei intravenöser Applikation bietet sich an. Bei einer kon- tinuierlichen Infusion sollte unbedingt durch die Bestimmung der Blutkonzen- tration sichergestellt werden, dass die
AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal / 19
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