Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 2/2022

ARZNEIMITTEL BEI ADIPÖSEN

durchgesetzt. Hier besteht der Vorteil, dass dieser Wert im Alltag, schnell und verhältnismäßig einfach zu erheben und umgehend verfügbar ist. Insbesondere Serum-Kreatinin-Konzentration und Urin- ausscheidung stellen dabei Surrogatpara- meter für eine veränderte Nierenfunktion dar. Grundsätzlich hat die Bestimmung der Nierenfunktion anhand des Serum-Kreati- nins große Nachteile, da sie abhängig ist von der bestehenden Muskelmasse eines Menschen und der Art seiner Ernährung. Da das Patientengut im Alltag naturge- mäß durch eine hohe interindividuelle Variabilität gekennzeichnet ist, können auch diese Faktoren deutlich verändert sein (z. B. bei Patient*Innen mit Ampu- tationen von Extremitäten, mit Kach- exie, Body Builder oder Patient*Innen, die sich ausschließlich vegan ernähren) und Auswirkungen auf den gemessenen Kreatininwert haben. Dies gilt auch für Patient*Innen mit Adipositas, da der BMI regelmäßig keine konkreten Rückschlüsse auf das Verhältnis von Muskel- zur Fett- masse zulässt. In der Folge kann bei der Berechnung eine zu hohe oder zu niedrige GFR ermittelt werden, die sich von der tat- sächlichen deutlich unterscheidet. Diese mögliche Abweichung ist auch unabhän- gig davon, welche Formel verwendet wird. Die noch vielfach zur Abschätzung der Nierenfunktion verwendete Cockroft- Gault-Formel bezieht das Körpergewicht mit ein. Da die Verwendung von TBW bei Adipösen mit dieser Formel regelmäßig zu einer Überschätzung der Nierenfunktion führt, werden inzwischen verschiedene Empfehlungen zum zu verwendenden Ge- wicht (insbesondere IBW, LWB und ABW) gegeben. 5 Zwar führte die Verwendung von IBW in der Cockroft-Gault-Formel bei Patient*Innen mit einem BMI > 40 kg/m 2 zu Ergebnissen, die sehr nah an denen aus der quantitativen Kreatinin- Messung aus 24-Stunden-Sammelurin lagen, jedoch sind diese Ergebnisse bis heute in der klinischen Praxis nicht hin- reichend validiert worden. 5 Im klinischen Alltag werden heute überwiegend die so genannte MDRD-Formel (MDRD = Modi- fication of Diet in Renal Disease) oder die CKD-EPI-Formel (CKD-EPI = Chronic Kid- ney Disease Epidemiology Collaboration) verwendet. Beide berücksichtigen nicht das Körpergewicht der Patient*Innen und

erfolgen. Einzelne Laborparameter helfen nicht weiter. Trotzdem gibt es bislang kei- ne Parameter, nach denen zuverlässig eine Dosisanpassung von Arzneimitteln abge- leitet werden kann. (2) Renale Ausscheidung Für die renale Ausscheidung sind die glo- meruläre Filtration, die tubuläre Sekretion und die tubuläre Re-Absorption entschei- dend. Während nur sehr begrenzte Infor- mationen hinsichtlich des Einflusses von Adipositas auf die tubuläre Sekretion und die Re-Absorption vorliegen, zeigt sich bei Adipösen die abgeschätzte glomeruläre Filtrationsrate (glomerular filtration rate, GFR) um bis zu 62 % erhöht. 7 Zu beach- ten ist dabei, dass sowohl die Kreatinin Clearance (CLCr), als auch die GFR nicht linear mit TBW ansteigen. So zeigte sich in einer Untersuchung, dass bei Patien- ten mit einem zweifach erhöhten TBW die GFR nur um das 1.6-fache anstieg. 5 Eine Erhöhung der Linearität, wenn auch in Grenzen, kann jedoch erreicht werden, wenn die CLCr und die GFR auf LBW und IBWbezogen werden. Erklärt werden kann diese zum einen mit einer bei Adipösen regelmäßig erhöhten Größe der Nieren, zum anderen mit einem teilweise erhöh- ten renalen Blutfluss. 3 Diese funktiona- len Veränderungen können auch in einer überschießenden Nierenfunktion (ARC = augmented renal clearance, überwiegend definiert als eine CLCr von mehr als 130​ L/min) münden, in deren Folge insbeson- dere hydrophile Arzneistoffe verstärkt ausgeschieden werden. Allerdings sollte berücksichtigt wer- den, dass bei adipösen Patient*Innen durch die erhöhte Inzidenz für arterielle Hypertonie und Diabetes mellitus auch die Inzidenz für chronische Nierenfunk- tionsstörungen erhöht ist. Somit ist bei diesen eine verminderte tubuläre Funkti- on möglich, die die renale Clearance eines Arzneistoffes reduzieren kann. 5 (3) Einschätzung der Nierenfunktion bei adipösen Patient*Innen anhand des Serumkreatinins Somit stellt sich natürlich die Frage nach der Bestimmung der Nierenfunktion bei adipösen Patient*Innen. Als grundlegen- de Methode hat sich dabei die (errech- nete) glomeruläre Filtrationsrate (GFR) anhand von mathematischen Formeln

(1) Hepatischer Metabolismus Die Veränderungen des hepatischen Me- tabolismus bei adipösen Patient*Innen unterliegen einer hohen interindividu- ellen Variabilität und sind nur schwer abzuschätzen. In einzelnen Untersuchungen zeig- ten sich die Phase-I Reaktionen über Cytochrom-P-450-Isoenzyme (CYP) bei Adipösen gegenüber Normalgewichtigen teilweise erhöht oder unverändert. Eine Er- höhung der Aktivität ist insbesondere für CYP 2E1 beobachtet worden (möglicher- weise kommt es auch zu einer Erhöhung der Aktivität von CYP 1A2 und 2C9). 4,6,7 Zu beachten ist auch die nicht-alkoholische Fettlebererkrankung (NFLD = non-alcoho- lic fatty liver disease). Sie tritt bei Adipösen etwa dreimal häufiger auf. Hierbei kommt es zu einer verstärkten Einlagerung von Fettsäuren in das Leberparenchym und in der Folge zu einer veränderten Lipoge- nese und einer gestörten Beta-Oxidation in den Hepatozyten. Durch eine Induk- tion der Aktivität von CYP 2E1, die auch für die Metabolisierung von Fettsäuren verantwortlich ist, kommt es zu einer ver- mehrten Entstehung von reaktiven freien Radikalen und somit zu oxidativem Stress, der zu einer Entzündung und einer Schädi- gung der Leberzellen führen kann. In den nachfolgenden Reparaturprozessen wird das Leberparenchym durch Bindegewebe ersetzt (Fibrogenese) und die Leberfunk- tion sinkt. Neben den allgemeinen me- tabolischen Auswirkungen durch NFLD konnten Studien zeigen, dass auch der Metabolismus einiger Arzneistoffe hier- durch verändert wird. 7 Das Ausmaß der Variabilität des Arzneistoffmetabolismus bei NFLD ist dabei insbesondere abhängig von der Art der am Metabolismus betei- ligten Enzyme. 7 Bei Arzneistoffen, deren Abbau überwiegend über CYP 3A4 erfolgt, zeigte sich eine etwas reduzierte hepati- sche Clearance, während die Clearance von Substraten von CYP 2E1 oder Arznei- stoffen, deren Metabolismus über die Xanthin-Oxidase oder die N-Acetyltrans- ferase-Reaktionen verläuft, erhöht war. 7 Eine konkrete Einschätzung des Aus- maßes einer Leberschädigung kann so- wohl bei adipösen als auch bei normal- gewichtigen Patient*Innen ausschließlich durch Zusammenschau klinischer Befun- de und entsprechender Laborparameter

18 / AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal

Made with FlippingBook Digital Publishing Software