Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 2/2022
DR. DAGMAR HORN
Dosierung von Arzneimitteln bei Adipösen Schwerwiegende Probleme bei oftmals dünner Datenlage
Der Anteil an Adipösen an der Ge- samtbevölkerung nimmt weltweit seit Jahren kontinuierlich zu. Bereits 2014 waren laut Statistiken der World Health Organisation (WHO) etwa 13 % aller Menschen adipös. In den USA ist etwa ein Drittel der Er- wachsenen adipös, aber auch in an- deren Ländern steigt ihr Anteil konti- nuierlich an. In Deutschland sind etwa 70 % der erwachsenen Männer und 50 % der erwachsenen Frauen übergewichtig oder adipös. 1 Entspre- chend sind zunehmend auch Patient*Innen davon betroffen, so dass sich für Apotheker*Innen im All- tag häufiger die Frage nach der in diesen Fällen „richtigen“ Dosierung stellt. Mit dem adipösen Zustand gehen viele physiologische Veränderungen einher. Welche Auswirkungen diese auf die Phar- makokinetik von Arzneistoffen haben ist aktuell weitgehend unklar. Leider fehlen regelmäßig entsprechende Empfehlun- gen zur Dosisanpassung in den Fachinfor- mationen und den meisten Fachbüchern. Zudem weist die Gruppe von adipösen Patient*Innen eine derart hohe interindi- viduelle Variabilität auf, dass die adäquate Dosierung von Arzneimitteln bei dieser Patientenpopulation im Alltag ein wirk- lich schwerwiegendes Problem darstellt. Durch Verwendung einer Standard-Do- sierung statt einer gewichtsadaptierten Dosierung besteht damit das Risiko für Konzentrationen unterhalb des therapeu- tischen Bereichs und entsprechend ein erhöhtes Risiko für ein unzureichendes kli- nisches Ansprechen bis zum Versagen der Therapie. Wird dagegen die Dosierung an das aktuelle Gesamtkörpergewicht (TBW = total body weight) angepasst, besteht das Risiko einer Überdosierung, in deren Folge es zu einem erhöhten Auftreten von unerwünschten Arzneimittelwirkun- gen (UAW) kommen kann. 2 Im Folgenden soll zunächst ein kleiner Überblick über die Klassifizierung von Übergewicht und
Dr. Dagmar Horn (Münster) ist Apothekerin und Anti- biotic Stewardship (ABS)-Expertin (DGI). Sie leitet die Stati- onsapotheker am UniversitätsklinikumMünster (UKM) und ist Teil des ABS-Teams. Sie ist u.a. Vorstandsmitglied des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen der Deutschen Krankenhausapotheker (ADKA), Mitglied im ADKA-Aus- schuss Antiinfektive Therapie und im Beirat der MRE- Netzwerke Nordrhein-Westfalen (MRE.NRW).
Dr. Dagmar Horn
einem BMI zwischen 25 und < 30 kg/m 2 als übergewichtig und mit einem BMI > 30 kg/m 2 als adipös. Adipositas selbst wird in drei unterschiedliche Schweregrade unterteilt (s. Tab. 1). 3,4 Der BMI zeigt eine gute Korrelation zum subkutanen Fett- gewebe, nicht jedoch zum prozentualen Anteil von Fett im Verhältnis zum aktu- ellen, gesamten Körpergewicht (TBW). 5 Allerdings kann der BMI insbesondere bei Patient*Innen mit erhöhter Muskelmasse, wie z. B. Bodybuilder, Frauen und älteren Menschen zu deutlichen Ungenauigkei- ten führen. 4 Darum müssen neben dem BMI andere Deskriptoren mit in Betracht gezogen werden. 5 Formeln zur Berechnung unterschied- licher Gewichte zur Beschreibung der Körperzusammensetzung
Adipositas, Deskriptoren zur Beschrei- bung der Körperzusammensetzung und wesentliche Auswirkungen von physio- logischen Veränderungen auf die Phar- makokinetik von Arzneistoffen gegeben werden. ImAnschluss werden beispielhaft Dosisanpassungen von einigen einzelnen Antibiotika diskutiert. Ein kompletter Überblick über alle Antiinfektiva kann hier aufgrund des begrenzten Umfangs leider nicht gegeben werden. Aber oft genügt bereits ein Einblick in die Problematik und das Bewusstsein für bestehende Unsi- cherheiten, um eine adäquate Lösung fin- den und schwerwiegende Fehler im Alltag vermeiden zu können.
Klassifizierung von Übergewicht und Adipositas
Der Body Maß Index (BMI) ist weltweiter Standard zur Kategorisierung von Adipo- sitas. Laut WHO gelten Erwachsene mit
Zusätzlich zumBMI sind Körperoberfläche (KOF oder BSA = body surface area) und
TABELLE 1: BMI-basierte Klassifikationen der World Health Organisation (WHO) zur Einteilung des Körpergewichts in Untergewicht, Normalgewicht, Übergewicht und Adipositas.
BMI [kg/m 2 ]
Klassifizierung
< 18,5
Untergewicht
> 18,5 und < 25,0 > 25,0 und < 30,0 > 30,0 und < 35,0 > 35,0 und < 40,0
Normalgewicht
Übergewicht
Adipositas Grad I (moderate obesity) Adipositas Grad II (severe obesity) Adipositas Grad III (morbid obesity)
> 40,0
AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal / 15
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