Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 2/2022

DR. JUL IA PODLOGAR

vs. 12,1 % in den zwölf Monaten vor der Befragung). Der Anteil derjenigen Perso- nen, die es (sehr) schwierig finden, den Beipackzettel ihrer Arzneimittel zu ver- stehen, liegt in der Gesamtbevölkerung bei 54,4 %; noch höher liegt dieser Wert bei Personen mit niedrigem Bildungsni- veau (74,6 %) oder niedrigem Sozialsta- tus (64,4 %) sowie bei über 65-Jährigen (66,4 %). Neben der Auswertung der allgemei- nenGesundheitskompetenzwurden inder der HLS-GER 2-Studiemehrere Teilbereiche von zunehmender Bedeutung untersucht: die digitale, die navigationale und die kommunikative Gesundheitskompetenz. Wie in allen anderen Lebensbereichen gewinnt die Digitalisierung auch im Ge- sundheitswesen zunehmend an Bedeu- tung. Damit einhergehend ist sowohl die Fülle als auch die Unübersichtlichkeit an gesundheitsbezogenen Informationen, die über das Internet niederschwellig zur Verfügung stehen, enorm gestiegen. Dies wurde und wird insbesondere während der Covid-19-Pandemie deutlich: Fast täglich werden neue Studien, Stellung- nahmen oder sonstige Informationen veröffentlicht, deren Einordnung selbst Fachleuten schwerfällt. Darunter sind in zunehmendem Maße falsche und ma- nipulative Informationen, die zum Teil durchaus den Anschein von Seriosität er- wecken, in Wahrheit aber von finanziellen Interessen geleitet sind oder Verschwö- rungsmythen und Fake News beinhalten. Derartige Falschinformationen stellen ein eigenes, nicht zu unterschätzendes Gesundheitsrisiko dar, weshalb die WHO in diesem Zusammenhang von einer „In- fodemie“ spricht: Darunter versteht man die Durchmischung falscher und korrekter Informationen, wodurch die Menschen an der Auffindung verlässlicher Entschei- dungshilfen gehindert werden, und somit möglicherweise gesundheitsgefährdende Fehlentscheidungen treffen. 7 Nach den Daten des HLS-GER 2 verfügen über 75 % der Bevölkerung über eine inadäquate oder problematische digitale Gesund- heitskompetenz. Das größte Problem in diesem Bereich stellt erwartungsgemäß nicht das Finden, sondern die Bewertung der Informationen dar: Für über 82 % der Bevölkerung ist es (sehr) schwierig Digitale Gesundheitskompetenz

zu beurteilen, wie vertrauenswürdig die gefundenen Informationen sind und ob hinter den Informationen kommerzielle Interessen stehen. 6

gegen chronische Erkrankungen ist die Adhärenz gerade in der Dauertherapie häufig schlecht. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Neben fehlendem Leidensdruck, komplexen Therapieschemata oder Angst vor Nebenwirkungen spielt auch man- gelndes Therapieverständnis eine Rolle. Hier kann das Apothekenteam durch gute Kommunikationsstrategien entscheidend dazu beitragen, Verständnis und Adhä- renz zu erhöhen und so die Arzneimittel- therapie wirksamer, aber auch sicherer zu machen, da auch die Wahrscheinlichkeit von Medikationsfehlern bei unzureichen- der Gesundheitskompetenz erhöht ist. 5 Eine geringe Gesundheitskompetenz ist mit zahlreichen weiteren negativen Auswirkungen assoziiert, z. B. in Bezug auf körperliche Bewegung, Ernährung und Gewicht. Während jeder Sechste mit ex- zellenter Gesundheitskompetenz jeden Tag körperlich aktiv ist, ist dies bei Men- schen mit eingeschränkter Gesundheits- kompetenz nur bei 4 % der Fall. Letztere ernähren sich oft schlechter und sind häu- figer übergewichtig, was das Auftreten verschiedener chronischer Erkrankungen, wie Diabetes mellitus Typ 2 oder Hyper- tonie, wahrscheinlicher macht. Außerdem weisen sie mehr Fehltage am Arbeitsplatz auf und nehmen das Gesundheitssystem insgesamt häufiger in Anspruch, beispiels- weise durch Arztbesuche, Notfallbehand- lungen und Krankenhausaufenthalte. 6 Dies verdeutlicht, dass die Gesundheits- kompetenz auch als wichtiger ökonomi- scher Faktor angesehen werden muss. Nach den Daten des zweiten Health Liter- acy Survey Germany (HLS-GER 2), der sub- jektiv eingeschätzte Schwierigkeiten beim Management gesundheitsrelevanter In- formationen erfasst, verfügen 58,8 % der Bevölkerung in Deutschland über eine ein- geschränkte Gesundheitskompetenz. 6 Zu den Personengruppen mit durchschnitt- lich geringerer Gesundheitskompetenz gehören u. a. Menschen mit niedrigem Bildungsniveau (78,3 %), mit niedrigem Sozialstatus (71,9 %), ab 65 Jahren (65,1 %) und mit chronischer Erkrankung (62,3 %). Relevant ist dabei unter anderem, dass Personen mit inadäquater Gesundheits- kompetenz deutlich häufiger stationär aufgenommen werden als solche mit ex- zellenter Gesundheitskompetenz (23,3 % Gesundheitskompetenz in Deutschland

Navigationale Gesundheitskompetenz

Unter navigationaler Gesundheitskom- petenz versteht man die Motivation und Fähigkeit, sich im Gesundheitssystem und seinenEinrichtungenzurechtzufinden, um die bestmögliche Versorgung für sich oder nahestehende Personen zu erhalten. 8 Die navigationale Gesundheitskompetenz ist dabei abhängig von den äußeren Umstän- den: So können sich z. B. auch Personen mit geringer allgemeiner Gesundheits- kompetenz durch leicht verständliche In- formationen oder Navigationshilfen gut im Gesundheitssystem zurechtfinden, während andererseits auch eigentlich ge- sundheitskompetente Personen mit kom- plexen und unübersichtlichen Strukturen überfordert sein können. 8 Zu verstehen, wie das Gesundheitssystem funktioniert und welche Versorgungsmöglichkeiten es gibt, bewertet über die Hälfte der Befrag- ten als schwierig oder sehr schwierig. Ins- gesamt weisen etwa 83 % der Befragten eine geringe navigationale Gesundheits- kompetenz auf; der Wert erhöht sich in Abhängigkeit von Sozialstatus, Bildungs- grad und Alter, wobei nicht nur Ältere, sondern auch Menschen zwischen 18 bis 29 Jahren über eine geringere navigati- onale Gesundheitskompetenz verfügen als der Durchschnitt. Dies ist vermutlich durch die insgesamt selteneren Kontak- te dieser Altersgruppe mit dem Gesund- heitssystem zu erklären. Auch Personen mit chronischen Erkrankungen, für die es besonders wichtig wäre, sich im Gesund- heitssystem gut zurechtzufinden, haben in diesem Bereich überdurchschnittlich große Schwierigkeiten. Insgesamt zeigen sich bei der navigationalen Gesundheits- kompetenz die schlechtesten Werte aller Teilbereiche, was nach Ansicht der Au- toren weniger auf persönliche Defizite, sondern auf „die Vielschichtigkeit und In- transparenz des deutschen Gesundheits- systems und seiner Informationsstruktu- ren“ zurückzuführen ist. 6

Kommunikative Gesundheitskompetenz

Die kommunikative Gesundheitskom- petenz gewinnt vor allem deswegen an

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