Fortbildung aktuell – Das Journal Ausgabe 2023
DR. JUL IA PODLOGAR
leidet, die aber zurzeit mit Citalopram gut eingestellt sind. Weitere Diagnosen sind arterielle Hypertonie, Hypercholesterin ämie und – seit etwa zwei Jahren – ein Restless-Legs-Syndrom (RLS). Folgende Arzneimittel nimmt er regelmäßig ein:
seiner Aussage sind Blutdruck, Blutzucker und TSH bei seinen regelmäßigen Arztter minen immer in Ordnung. Etwas schwieriger ist die Beurteilung des Grüntee-Präparats, auch in Bezug auf Wechselwirkungen mit den verordneten Arzneimitteln. Für einen ersten Über blick schaut die Apothekerin bei „Klartext Nahrungsergänzung“ nach, einem An gebot der Verbraucherzentralen, in dem unabhängige Informationen über Nah rungsergänzungsmittel zu finden sind. Gesundheits- oder indikationsbezogene Aussagen zu Lebensmitteln, zu denen auch die Nahrungsergänzungsmittel ge hören, sind grundsätzlich verboten – es sei denn, sie sind von der europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA geprüft und auf der EU-Health-Claims Liste veröffentlicht. Für Grüntee-Extrakt existieren solche erlaubten Health Claims nicht, bisher wurden alle gestellten An träge abgelehnt. Neben dem fehlenden Nutzen werden schwerwiegende Ne benwirkungen beschrieben, zum Beispiel Leberschädigungen bis hin zum Leber versagen, erhöhter Blutdruck und erhöh ter Augeninnendruck. 6 Auch zahlreiche Wechselwirkungen mit Arzneimitteln sind laut „Klartext Nahrungsergänzung“ bekannt, zum Beispiel mit Gerinnungs hemmern, Betablockern und Choleste rinsenkern. Da die Apothekerin mit den ihr zur Verfügung stehenden Quellen keine tieferen Informationen über diese Interaktionen findet, ruft sie in der Ab teilung für Arzneimittelinformation und Medikationsmanagement der AKWL an: Sie weiß, dass die Mitarbeiterinnen dort Zugriff auf zahlreiche, auch kostenpflich tige internationale Datenbanken haben. Nach kurzer Zeit erhält die Apothekerin die gewünschte Antwort: Die in Grüntee Extrakt enthaltenen Catechine, vor allem Epicatechingallat (ECG) und Epigallocate chingallat (EGCG), hemmen den an der Re sorption von Atorvastatin beteiligten or ganischen Anionentransporter (OATP) im Dünndarm, woraus deutlich verringerte Plasmaspiegel an Atorvastatin resultieren können. Auch die Resorption von Lisinopril kann beeinträchtigt sein. 7
die Einnahme von Grüntee-Extrakt nach derzeitigem Stand keinerlei Nutzen er warten lässt, auf der anderen Seite jedoch ein potenzielles Risiko in Bezug auf Inter aktionen und unerwünschte Wirkungen besteht, fällt die Abwägung in diesem Fall eindeutig negativ aus. Die Apothekerin rät von der weiteren Einnahme des Grüntee Präparats dringend ab. Der Genuss von grünem Tee als Getränk stellt jedoch in üblichen Mengen kein Problem dar. In Be zug auf die Arzneimitteltherapie selbst besteht kein Änderungsbedarf. Herr G. ist zufrieden, dass grundsätzlich alles in Ord nung ist, und dankbar für die kompeten te Beratung. Das Grüntee-Präparat wird entsorgt. Anders als bei der üblichen Beratungssitu ation in der Apotheke kommen beim Ge sprächstermin im Rahmen der erweiter ten Medikationsberatung auch Präparate „auf den Tisch“, die nicht in der Apotheke gekauft wurden, aber dennoch relevant für den Therapieerfolg oder potenziell ge sundheitsgefährdend sein können. Patien ten sollten im Vorfeld unbedingt ermutigt werden, wirklich alle von ihnen eingenom menen Präparate zum Gesprächstermin mitzubringen. Fazit
• Citalopram 20 mg 1-0-0 • Ramipril 10 mg 1-0-0 • Indapamid 1,5 mg ret. 1-0-0 • Atorvastatin 10 mg 0-0-1 • Ropinirol 0,5 mg 0-0-1
Bei der Einlösung seiner Rezepte fragt er nach einem Schlafmittel – vielleicht „was Pflanzliches“. Auf Nachfrage sagt er, dass diese „Tablette am Abend“ ja ohnehin nichts mehr bringe. Seit einigen Wochen werde er kurz nach dem Einschlafen ge gen Mitternacht von einem unerträgli chen Bewegungsdrang und Kribbeln der Beine wach, die ihn zum Aufstehen und Umhergehen zwängen. Nur mit großer Mühe könne er dann wieder einschlafen. Er sei dadurch ziemlich erschöpft und wol le endlich mal wieder gut schlafen. Die Apothekerin vermutet, dass die Schlafprobleme mit dem bereits dia gnostizierten Restless-Legs-Syndrom in Zusammenhang stehen und bietet Herrn R. an, sich die Medikation einmal genauer anzuschauen.
Fallbeispiel 4: Ein Patient mit Restless-Legs-Syndrom
Herr R. ist ein 71-jähriger Stammkunde, der seit vielen Jahren unter Depressionen
Das Ergebnis
Nicht nur in der Arzneimitteltherapie, sondern auch bei der Anwendung von Nahrungsergänzungsmitteln muss eine Nutzen-Risiko-Abwägung stattfinden. Da
ABBILDUNG 2: Der Genuss von grünem Tee in üblichen Mengen ist im Allgemeinen un bedenklich. Die Einnahme von Grünteeextrakt als Nahrungsergänzungsmittel kann jedoch gesundheitliche Risiken bergen. Foto: iStock/designer491
AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal / 11
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