Fortbildung aktuell – Das Journal Ausgabe 2023

ERWEITERTE MEDIKATIONSBERATUNG

sei – ob es da denn keine Alternative gebe, zum Beispiel Tropfen? Der Apotheker horcht auf: Durch das Mörsern geht der Retardierungseffekt der Arzneiform teil weise verloren und es werden unter Um ständen subtherapeutische Spiegel er reicht, die die neu aufgetretenen Anfälle erklären können. Auf Nachfrage gibt Herr W. an, dass er die Tabletten nach Anla ge des Stomas „unverdaut“ im Beutel wiedergefunden habe und deshalb aus Angst vor Wirkungslosigkeit eigenstän dig begonnen habe, sie vor der Einnahme zu mörsern und in Wasser suspendiert einzunehmen. Bei Ergenyl® chrono handelt es sich um Matrixtabletten, aus denen der Wirk stoff nach und nach abgegeben wird. Das Gerüst bleibt dabei zum Teil erhalten und kann im Stuhl auftauchen, was in einem Stomabeutel naturgemäß eher auffällt und den Patienten stark verunsichern kann. Herr W. wird darüber aufgeklärt, dass die im Stomabeutel gefundenen Rückstände der Retardtabletten lediglich aus der Ma trix der Tablette bestehen, der Wirkstoff jedoch bereits vorher aus dem Gerüst he rausgelöst und aufgenommen wird. Ein Mörsern ist somit nicht nur unnötig, son dern hat wegen des aufgehobenen Retar dierungseffekts wahrscheinlich sogar die Anfälle verursacht. Herr W. ist erleichtert, nun eine Erklärung für die Ereignisse zu haben – ebenso wie sein behandelnder Neurologe, der nicht darüber informiert war, dass die Tabletten gemörsert wur den. Er hatte für seinen Patienten bereits eine Umstellung auf ein anderes Antiepi leptikum geplant, was er jedoch nun zu rückstellen kann. Im Rahmen eines strukturierten Ge sprächs über die Arzneimitteltherapie können Sachverhalte ans Licht kommen, die schnell übersehen werden, wenn an dere Dinge im Vordergrund stehen. Hier spielen das strukturierte Vorgehen bei der Analyse und die vertiefte pharmazeuti sche Perspektive eine entscheidende Rolle für den Therapieerfolg. Das Ergebnis Fazit

Die Analyse

Eisenstatus überprüfen lassen, wobei ein deutlich erniedrigter Ferritin-Wert auf fiel. Herr R. nimmt jetzt ein hochdosiertes Eisenpräparat. Außerdem seien die RLS Symptome durch die spätere Einnahme des Ropinirols deutlich besser. Herr R. hat außerdem einen Termin mit seinem Neu rologen vereinbart.

Im Rahmen der Medikationsanalyse er fragt die Apothekerin unter anderem die genauen Einnahmezeitpunkte der ein zelnen Arzneimittel. Dabei stellt sich he raus, dass Herr R. die Ropinirol-Tablette direkt zum Abendbrot gegen 18:30 Uhr einnimmt, da er sie dann gastrointestinal besser verträgt. Ropinirol sollte laut Fach information kurz vor dem Zubettgehen eingenommen werden, kann jedoch auch bis zu drei Stunden vorher eingenommen werden. 8 Aus pharmakokinetischer Sicht ist diese frühe Einnahme weniger sinnvoll, denn laut Fachinformation werden ma ximale Plasmaspiegel 1,5 Stunden nach oraler Applikation erreicht. Zielführender – und auch in Leitlinien 9 empfohlen – ist daher eine Einnahme etwa ein bis zwei Stunden vor dem üblichen Symptombe ginn, hier also um etwa 22 Uhr. So sind die Wirkstoffspiegel zum Zeitpunkt der stärksten Symptomatik am höchsten. Au ßerdem sollte ärztlicherseits überprüft werden, ob die Dosierung von 0,5 mg Ropinirol noch ausreicht – häufig sind im Krankheitsverlauf steigende Dosierungen erforderlich. Ein wichtiger Therapieansatz beim RLS ist die Kontrolle des Eisenstatus mit einer sich ggf. anschließenden Eisensubstitu tion, da ein zu niedriger Eisenstatus die Symptomatik verstärken kann. 10 Zum Zeit punkt der Diagnose, bei Therapiebeginn mit Arzneimitteln und immer dann, wenn es im Verlauf zu einer Verschlechterung der RLS-Symptomatik kommt, soll der Ei senstoffwechsel (Serumferritin, Transfer rinsättigung, Eisen und Eisenbindungska pazität) kontrolliert werden. Die Apothekerin empfiehlt Herrn B., das Ropinirol ab sofort erst um etwa 22 Uhr einzunehmen. Zur besseren gastrointes tinalen Verträglichkeit kann er dazu noch eine Kleinigkeit essen, wenn nötig. Außer dem bestärkt sie ihn, einen Termin beim Neurologen zu vereinbaren, den er zuletzt bei der Diagnosestellung vor zwei Jahren aufgesucht hatte. Darüber hinaus emp fiehlt sie ihm, beim nächsten Hausarzt besuch den Eisenstatus bestimmen zu lassen. Herr R. berichtet einige Wochen später, dass es ihm schon viel besser gehe. Er habe von seinem Hausarzt den Das Ergebnis

Fazit

Auch kleine Veränderungen in der Medika tion – wie hier die Verlegung des Einnah mezeitpunkts des Ropinirols – können den Therapieerfolg maßgeblich verbessern.

Fallbeispiel 5: „Unverdaute“ Tabletten im Stomabeutel

Herr W. (58 Jahre) leidet seit langem unter kryptogener fokaler Epilepsie mit komple xen fokalen Anfällen. Unter der Therapie mit Ergenyl® chrono (Natriumvalproat/ Valproinsäure) war er jedoch seit Jahren gut eingestellt und anfallsfrei. Aufgrund eines Kolonkarzinoms, dessen Therapie inzwischen abgeschlossen ist, unterzog er sich einer Kolektomie und trägt seither ein Ileostoma. Weitere Diagnosen sind Hypertonie und Diabetes mellitus. Folgen de Arzneimittel werden ihm regelmäßig verordnet: • Enalapril 10 mg 1-0-0 • Amlodipin 5 mg 1-0-0 • Metformin 500 mg 1-0-1 • Macrogol Btl. 1-0-1 • Ergenyl® chrono (Natriumvalproat / Valproinsäure) 500 mg 1-0-1 Beim Einlösen seiner Rezepte wirkt er sehr betrübt, denn in den letztenMonaten hat te er wieder mehrere epileptische Anfälle, nachdem er zuvor jahrelang anfallsfrei war. Nun soll er nicht mehr Auto fahren und hat außerdem große Angst vor er neuten Anfällen, zumal er nicht versteht, warum die bisher so zuverlässige antiepi leptische Therapie nicht mehr wirkt. Im Rahmen der „ErweitertenMedikations beratung bei Polymedikation“ bespricht der Apotheker mit Herrn W. unter ande rem die konkreten Anwendungsmodalitä ten der einzelnen Arzneimittel. Dabei er wähnt er beiläufig, dass das Mörsern der Ergenyl-Tabletten schon recht mühselig Die Analyse

12 / AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal

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