Mitteilungsblatt 4/2025, 24. Oktober 2025
RATGEBER APOTHEKENPRAXIS
Zum Einsatz von niedrig dosiertem Lithium
Studienlage: begrenzte Aussagekraft
> Die Anwendung von Lithium bei bipolaren Störungen und anderen psychiatrischen Erkrankungen ist lange bekannt und weit verbreitet. Daneben wird seit einiger Zeit auch die Einnahme von niedrig dosier tem Lithium(-orotat) verstärkt diskutiert und mit der Prävention und Therapie zahlreicher Erkran kungen in Verbindung gebracht. Da es sich bei Lithium nach Stand der Wis senschaft nicht um ein lebensnotwendi- ges Spurenelement handelt, gibt die Deut- sche Gesellschaft für Ernährung (DGE) kei ne Referenzwerte für eine angemessene tägliche Zufuhr heraus. Ein Lithiumman gel bzw. entsprechende Symptome sind nicht bekannt. Die Aufnahmemenge ist von der Ernährung und dem Lithiumge halt des Trinkwassers abhängig. Die Vermarktung von Lithium als Nah rungsergänzungsmittel oder Lebensmit tel ist in Deutschland und der EU verbo ten. Grundlage dafür ist Anhang II der Nahrungsergänzungsmittel-Richtlinie, in dem alle erlaubten Vitamin- und Mineral stoffverbindungen aufgeführt sind. Das Ultraspurenelement Lithium gehört nicht dazu [1]. In den USA ist rezeptfreies Lithi umorotat dagegen als Nahrungsergän zungsmittel in Dosierungen von üblicher weise 1 bis 5 mg im Handel erhältlich. Der Import dieser NEM aus den USA ist nicht erlaubt. Trotz dieser eindeutigen Rechtsla ge werden lithiumhaltige Nahrungsergän zungsmittel auch hierzulande im Internet angeboten und sind relativ unproblema tisch zu beziehen. In zugelassenen Fertigarzneimitteln ist Lithiumorotat nicht verfügbar, wird je- doch als Rezeptursubstanz vertrieben. Eine Herstellung von Arzneimitteln mit Lithiumorotat in der Apotheke nach ärztli cher Verordnung auf (Privat-)Rezept ist da her möglich. Alle einschlägigen Vorschrif ten für die Rezepturherstellung sind dabei selbstverständlich zu beachten. In Deutschland verboten: Lithium als NEM
Es gibt nur sehr begrenzte klinische Evi denz, die die Anwendung von niedrig do siertem Lithiumorotat unterstützt. Nicht kontrollierte Studien haben die Verwen dung bei der Behandlung von Alkoholis mus, Migräne und Depressionen im Zu sammenhang mit bipolaren Störungen untersucht. In einer offenen Studie mit 42 alkoholkranken Patienten wurde die Wirkung von Lithiumorotat 150 mg/Tag (!) über einen Zeitraum von sechs Mona ten untersucht. Diese Ergebnisse sind aber wegen der schlechten Methodik dieser sehr alten Studien nur eingeschränkt aus sagefähig. Die vielzitierte Aussage, Lithi umorotat sei besser bioverfügbar als das Carbonat, gründet sich bisher nur auf Tier versuche aus den 1970er Jahren [2]. Epidemiologische Untersuchungen geben Hinweise, dass es einen Zusammenhang zwischen der Lithium-Trinkwasserkonzen tration und dem Auftreten von Alzheimer Krankheit bzw. der Suizidalität geben könnte [3]. Wie immer ist jedoch aus ei- ner in Beobachtungsstudien festgestell- ten Korrelation keine Kausalität ableitbar. Für Schlagzeilen sorgte zuletzt eine in „Nature“ publizierte Studie, bei der ge zeigt werden konnte, dass ein Mangel an Lithium im Gehirn möglicherweise eine Rolle bei der Entstehung von Alzheimer spielen könnte. An Mäusen beeinflusste eine Supplementation mit Lithiumorotat pathologische Veränderungen und Ge dächtnisverlust positiv. Trotz dieser inter essanten Ergebnisse aus der Grundlagen forschung betonen die Autoren der Studie jedoch, dass Lithiumorotat nicht auf eige ne Faust eingenommen werden sollte, da die langfristige Sicherheit unklar und die protektive Wirkung am Menschen nicht nachgewiesen sei. Hierfür sind großange legte Humanstudien notwendig. Korrelation von Lithium-Trinkwasserkon zentration und Alzheimer
für eine Wirksamkeit von niedrigdosier tem Lithiumorotat in der Therapie oder Prävention neurologischer Erkrankungen finden. Zwar gibt es Hinweise, die einen positiven Effekt von niedrig dosiertem Lithiumorotat auf neurologische Erkran kungen vermuten lassen, dazu fehlen aber zurzeit noch aussagekräftige Studiener gebnisse. Bei niedrigen Dosierungen von 1 bis 5 mg ist allerdings auch nicht von einer unmittelbaren Patientengefährdung auszugehen. Abgesehen vom grundsätzlichen Ver bot von Lithium in Nahrungsergänzungs mitteln innerhalb der EU können wir die eigenständige Einnahme aufgrund der lückenhaften Studienlage weder zur Sub stitution noch im therapeutischen Sinn empfehlen. Falls der Patient an einer psychiatrischen Erkrankung leidet, die tatsächlich mit – angemessen dosiertem – Lithium be handelt werden kann, gehört die Therapie in ärztliche Hände. < Quellenanagaben: [1] Europäisches Parlament, Rat Der Europäischen Union. RICHTLINIE2002/46/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES. [2] Kling MA et al: Rat brain and serum lithium concentrations after acute injections of lithi um carbonate and orotate. J Pharm Pharmacol. 1978;30(6):368-370. doi:10.1111/j.2042-7158.1978. tb13258.x [3] Kessing LV et al: Association of Lithium in Drinking Water With the Incidence of Dementia. JAMA Psychiatry. 2017 Oct 1;74(10):1005-1010. doi: 10.1001/jamapsychiatry.2017.2362. Falls Patient*innen an einer psychiatrischen Erkran kung leiden, die tatsächlich mit – angemessen do siertem – Lithium behandelt werden kann, gehört die Therapie in ärztliche Hände.
Fazit: Auf Basis der vorliegenden Litera tur lassen sich keine gesicherten Belege
AKWL Mitteilungs blatt 04-2025 / 11
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