Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 4/2021

DR. ZÜNDORF / PROF. DR. DINGERMANN

Akute Entzündungen von Gehirn- und Rückenmarksgewebe (Enzephalitis, Enze- phalomyelitis) sowie der Hirnhäute (Me- ningitis) sind Komplikationen infektiöser Erkrankungen, bei denen es zu einem Be- fall dieser Gewebe kommt. Diese gefürch- teten Komplikationen zu verhindern, war eine entscheidende Motivation zur Ent- wicklung entsprechender Impfstoffe. • So liegt das Risiko für eine Enzephali- tis nach einer Masernerkrankung bei 1/1000 bis 1/2000. Das Auftreten ei- ner Enzephalitis nach Masernimp- fung wird dagegen auf <1/1.000.000 geschätzt. • Die Häufigkeit für eine Meningitis nach einer Mumpserkrankung liegt bei 1/10. Nach Gabe der heutigen Impfstoffe (Stamm Jerryl Lynn) wer- den bei der Spontanerfassung ledig- lich Einzelbeobachtungen verzeichnet. Bislang sind aber keine virologisch ge- sicherten Fälle bekannt, bei denen das Impfvirus als Ursache der aseptischen Meningitis nachgewiesen wurde. Die heutzutage verwendeten Impfstof- fe, die den Stamm Jerryl Lynn als An- tigen enthalten, haben Impfstoffe ersetzt, die den Stamm Urabe enthiel- ten. Hier beobachtete man Meningiti- den mit einer Häufigkeit von 1/3800 bis 1/12.000. Das Guillain-Barré-Syndrom (GBS) ist eine akute Entzündung des peripheren Nervensystems und der Nervenwurzeln (Polyradikuloneuritis) mit Folge einer auf- steigenden Lähmung. Impfungen werden immer wieder als Auslöser für ein GBS beschrieben: Beispiele sind die Tetanus- impfung, die Tollwutimpfung, die Hepa- titis-B-Impfung und andere. Insbesondere wurde das GBS auch im Zusammenhang mit Grippeimpfungen diskutiert. 1976 kam es nach der Grippeimpfung gegen Schweineinfluenza zu einer signifikant höheren GBS-Häufigkeit. Allerdings sind die Ursachen nicht bekannt. 7 Für neuere Grippeimpfstoffe ist die Evidenz für einen kausalen Zusammenhang von Impfung und der Entwicklung eines GBS unklar. Sofern eine Grippeimpfung überhaupt ur- sächlich für die Entstehung eines GBS in Frage kommt, geht man von zirka einem zusätzlichen GBS-Fall pro einer Million ge- impfter Erwachsener aus.

kommen. Diese Reaktionen resultieren aus der lokalen Aktivierung des unspezifi- schen Immunsystems. Verzögerte allergische Reaktionen treten typischerweise erst nach einigen Tagen (bis Wochen) auf und beruhen un- ter anderem auf der Bildung von Antigen- Antikörper-Komplexen. Lagern sich solche Immunkomplexe an Zellen oder in einem Gewebe ab, können daraus entzündliche Reaktionen, z. B. in Gelenken (Arthritis), in Blutgefäßen (Vaskulitis) oder in einem Or- gan (Nierenentzundung) resultieren. Arthritiden treten nachweislich vor allem nach einer Rötelnimpfung auf und entsprechen einer Arthritis nach einer Rö- telnerkrankung. Bei geimpften Kindern ist diese Reaktion sehr selten. Ganz anders verhält sich das bei erwachsenen Frauen, die sehr häufig (13–15 %) auf eine Röteln- impfung mit einer Arthritis reagieren. Ar- thritiden können auch, allerdings sehr sel- ten (<1 %), nach einer Hepatitis-B-Impfung auftreten. Eine thrombozytopenische Purpura (ITP), die auch als „Immunthrombozyto- penie“ bezeichnet wird, ist als sehr selte- ne Nebenwirkung nach Masern-Mumps- Röteln- (MMR-)Impfung bekannt. Eine Immunthrombozytopenie kommt jedoch auch im Laufe einer Masern-Erkrankung vor. Aus epidemiologischen Studien schließt man, dass die MMR-Impfung das Risiko für eine Immunthrombozytopenie – verglichen mit der natürlichen Infektion – auf weniger als 10 % senkt. Hypotone hyporesponsive Episoden (HHE), die bei Säuglingen und Kleinkin- dern auftreten können und durch eine plötzliche auftretende erniedrigte Mus- kelspannung (hypoton), durch reduzierte Ansprechbarkeit/Reaktion (hyporespon- siv) und durch eine bläuliche Hautfärbung oder Blässe charakterisiert sind, können bei Verabreichung einer Vielzahl von Kin- derimpfstoffen (z. B. gegen Diphtherie, Tetanus, Haemophilus influenzae Typ b und Hepatitis B) auftreten. Am häufigs- ten werden sie nach Pertussisimpfungen beobachtet. Der heute übliche azelluläre Pertussisimpfstoff verursacht offenbar weniger HHEs als der früher verimpfte Ganzkeim-Pertussisimpfstoff. Die Häufig- keit von HHE nach Impfungen ist ein sehr seltenes bis seltenes Ereignis (1/1400 bis 1/100.000).

Eitrige Abszesse deuten hingegen auf un- steriles Arbeiten während der Impfung hin und sind extrem selten. 5 Nach der Ap- plikation von mit Aluminiumhydroxid ad- juvantierten Impfstoffen wurde das ver- mehrte Auftreten einer makrophagischen Myofasziitis beschrieben. Dabei kommt es zu kristallinen Einschlüssen des Alumi- niumhydroxids in Makrophagen und zu einer entzündlichen Veränderung in der Muskulatur in der Impfregion. 6 Hat die geimpfte Person eine Allergie gegen einen oder mehrere Bestandtei- le des Impfstoffes, kann es ebenfalls zu einer lokalen Reaktion mit Rötung und Schwellung kommen. Sind durch eine vorangegangene Sensi- bilisierung bereits IgE-Antikörper gegen einen Impfstoffbestandteil vorhanden, können anaphylaktische Reaktionen nach einer Impfung auftreten (s. Tab. 2). Vermit- telt über eine Kreuzvernetzung der IgE- Moleküle auf der Oberfläche von Mast- zellen. Als Reaktion auf die Ausschüttung von Botenstoffen können Blutdruckabfall, Übelkeit, Darmspasmen, Lidschwellun- gen, Spasmen der Atemwege bis hin zu ei- nem anaphylaktischen Schock auftreten. Eine echte anaphylaktische Reaktion nach einer Impfung ist ein extrem seltenes Er- eignis, das in der Größenordnung von ein bis zehn Fälle auf 1 Millionen Impfungen auftritt. Von einem echten anaphylaktischen Schock abzugrenzen sind so genannte „anaphylaktoide Reaktionen“. Sie beruhen nicht auf einer echten Allergie, sondern könnten vielmehr auf eine direkte, IgG- unabhängige Ausschuttung von Boten- stoffen zurückzuführen sein. Auch wenn der Impfstoff in ein Blutgefäß gelangt (intravasale Gabe) kann es zu derartigen Reaktionen kommen. Im Gegensatz zu IgE-vermittelten anaphylaktischen Reakti- onen können anaphylaktoide Reaktionen auch bei einer Erstimpfung, also ohne vo- ran gegangenem Kontakt mit dem Aller- gen, auftreten. Wird ein Antigen subkutan appliziert, kann es nach einigen Stunden bis zirka zwei Tage nach Impfung zu Hautreakti- onen (Rötung, Ausschlag, Nesselsucht) Systemische Reaktionen und Erkrankungen

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