Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 3/2020
THERAPIE VON COVID-19
auf die später noch näher eingegangen wird.
INDIVIDUELLER HEILVERSUCH §34 Strafgesetzbuch („rechtfertigender Notstand“) und die Therapiefreiheit des Arztes können den individuellen Heil- versuch begründen. Es handelt sich hier- bei um die Anwendung eines zulas- sungspflichtigen, aber noch nicht (oder nur außerhalb Deutschlands) zugelasse- nen Arzneimittels im Einzelfall und mit Zustimmung des betreffenden Patien- ten, wenn alle übrigen Therapieoptio- nen ausgeschöpft sind und der behan- delnde Arzt basierend auf wissenschaft- lichen Erkenntnissen einen Nutzen für den Patienten vermutet. Die Verantwor- tung für die Anwendung liegt beim be- handelnden Arzt und erfordert einen deutlich höheren Sorgfaltsmaßstab im Vorgehen des Arztes. Beispiele sind Favi- piravir und Camostat. „EMERGENCY USE AUTHORIZATION“ (EUA) DER FDA Diese Notfallzulassung erlaubt den Ein- satz von nicht zugelassenen oder in an- derer Indikation zugelassenen Wirkstof- fen auch außerhalb klinischer Studien – unter fortlaufender Überprüfung der wissenschaftlichen Evidenz bzgl. der Nutzen-Risiko-Abwägung der Substan- zen. Eine Notfallzulassung kann jeder- zeit widerrufen werden, sollte sich die Nutzen-Risiko-Abwägung ändern. Eine EUA wurde in den USA für Chloroquin/ Hydroxychloroquin und Remdesivir er- teilt. OFF-LABEL-USE Die Substanz ist grundsätzlich als Fer- tigarzneimittel in Deutschland zugelas- sen, d. h. arzneimittelrechtlich verkehrs- fähig, wird aber außerhalb ihrer zuge- lassenen Indikationen, Dosierung oder an anderer Population (z. B. Kindern) eingesetzt. In solchen Fällen wird sei- tens der Bundesoberbehörden zu einer erweiterten dokumentierten Aufklä- rung geraten. Als Beispiel ist Hydroxy- chloroquin zu nennen.
COMPASSIONATE USE (HÄRTEFALLPROGRAMM)
Die rechtlichen Grundlagen der Anwendung
Unter bestimmten Voraussetzungen können noch nicht zugelassene Arznei- mittel im Rahmen so genannter Arznei- mittelhärtefallprogramme an schwer erkrankte Patienten abgegeben werden. Compassionate use ermöglicht, im Ge- gensatz zum individuellen Heilversuch, die Anwendung eines bisher nicht zuge- lassenen Wirkstoffs an Patientengrup- pen – unter bestimmten Auflagen. Der Hersteller stellt den Wirkstoff kostenlos zur Verfügung. Die Anwendung im compassionate use wird sorgfältig do- kumentiert und ausgewertet. Härtefall- programme werden von den Bun- desoberbehörden veröffentlicht (www. bfarm.de/haertefallprogramme). Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat diese Ge- nehmigung für Remdesivir erteilt. BEDINGTE ZULASSUNG Die bedingte Zulassung ermöglicht es, Substanzen noch vor Abschluss der voll- ständigen klinischen Prüfung auf den Markt zu bringen, sofern hinreichende Erkenntnisse über ein positives Nutzen- Risiko-Verhältnis der Therapie vorliegen und es sich bei der Therapie um lebens- bedrohende Krankheiten, Krisensituati- onen mit Bedrohung der öffentlichen Gesundheit oder die Behandlung von seltenen Leiden handelt. Trotz des ver- kürzten Verfahrens liegt der bedingten Zulassung eine gründliche Bewertung der Vorteile und Risiken des Arzneimit- tels zugrunde. Bedingte Zulassungen er- möglichen den geregelten Einsatz von Wirkstoffen auch außerhalb von Studi- en. Sie können nur im zentralen Zulas- sungsverfahren erteilt werden und gel- ten jeweils für ein Jahr. Sie unterliegen der engmaschigen Kontrolle, bis eine re- guläre Zulassung erteilt wird. Die be- dingte Zulassung wurde Anfang Juli in Europa für Remdesivir erteilt.
Die Entwicklung neuer Wirkstoffe dauert oft mehrere Jahre. Zeit, die im Rahmen der Pandemie fehlt. Damit Substanzen möglichst schnell zum Einsatz kommen, wird auf bereits entwickelte (aber noch nicht zugelassene) oder bereits in ande- rer Indikation zugelassene Wirkstoffe zu- rückgegriffen. Zum Einsatz kommt, was aufgrund seines Wirkmechanismus po- tentiell funktionieren könnte oder bereits erste positive Ergebnisse an verwandten Viren (wie z. B. SARS-1, MERS oder Ebola) in der Zellkultur, im Tierversuch oder am Menschen gezeigt hat. Da diese Substan- zen noch nicht oder nur in einer anderen Indikation zugelassen sind, gibt es für die Anwendung außerhalb von klinischen Studien diverse rechtliche Möglichkei- ten, diese Wirkstoffe anzuwenden (siehe Infokasten). Aufgrund einer Initiative des Bun- desministeriums für Gesundheit stehen verschiedene Arzneimittel wie Hydroxy- chloroquin, Lopinavir/Ritonavir, Camostat, Favipiravir und Remdesivir in deutschen Krankenhäusern für die Anwendung zur Verfügung. Eine Auflistung der bevorra- tenden Apotheken sowie eine Erläuterung des prinzipiellen Prozederes zum Abruf der Arzneimittel findet sich auf der Inter- netseite des Robert Koch-Instituts (www. rki.de/covid-19-arzneimittelbevorratung). Tabelle 1 zeigt eine Auflistung der wich- tigsten Studienregister und Übersichts- seiten, auf denen potenzielle Therapeuti- ka und die derzeit damit durchgeführten Studien aufgeführt sind. Vorsicht ist geboten bei der Vielzahl der auf Preprint-Servern vorveröffentlich- ten Studien. Diese Preprint-Server (z. B. www.medrxiv.org und www.biorxiv.org) ermöglichen es, wissenschaftliche Inhalte sehr schnell allen Interessierten zur Ver- fügung zu stellen. Zu beachten ist dabei, dass diese Studien kein Peer-Reviewdurch- laufen haben: Sie wurden nicht durch den Verlag bzw. die Zeitschrift oder andere Gutachter vor der Veröffentlichung auf Die aktuelle Studienlage
französische Studie Discovery oder die britische Recovery-Studie (www.recove- rytrail.net), laufen pragmatischer ab als üblich, um die Durchführung auch neben einem durch die Pandemie angespannten
Qualität und Wahrheitsgehalt der Daten überprüft. Einige große, internationale und öf- fentlich geförderte Studien, beispiels- weise die Solidarity-Studie der WHO, die
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