Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 3/2020

DOSISANPASSUNG BEI NIERENINSUFFIZIENZ

TABELLE 1: Mathematische Formeln zur Berechnung der GFR, die zur Anpassung von Arzneistoff-Dosierungen verwendet werden. *bei Männern Faktor = 1; **= nur bei Patien- ten mit ethnischer Zugehörigkeit mit schwarzer Hautfarbe; CL Cr = Kreatinin-Clearance; S cr = Serum-Kreatinin; GFR = Glomeruläre Filtrationsrate

z. B. Penicillin, müssen, wenn überhaupt, regelmäßig nur in einem geringen Maße angepasst werden, während Arzneimittel, deren Überdosierung zu schwerwiegen- den Schädigungen des Patienten führen kann, wie z. B. Digoxin oder Aminogly- kosid-Antibiotika, bereits in einem sehr frühen Stadium der Nierenschädigung in ihrer Dosis angepasst werden müssen, um das Risiko einer toxischen unerwünschten Arzneimittelwirkung (UAW) zu reduzieren. Eine zusätzliche Herausforderung stellt der Einsatz unterschiedlicher Dialy- severfahren, wie beispielsweise Hämodi- alyse, Hämofiltration und Peritonealdia- lyse, bei Patienten dar. Es besteht hierbei stets die Möglichkeit, dass ein Arzneistoff zu einem gewissen Anteil durch die Dia- lyse aus dem systemischen Kreislauf ent- fernt wird und dieser während oder im Anschluss an die Behandlung durch eine zusätzliche Dosierung kompensiert wer- den muss. Sowohl die Art des Verfahrens als auch die Eigenschaften des Arznei- stoffs selbst haben einen Einfluss darauf, wie stark die Elemination beeinträchtigt wird. In einem ersten Schritt muss eine mög- lichst genaue Einschätzung der aktuel- len Nierenfunktion erfolgen. Als grund- legender Parameter hat sich hier die glomeruläre Filtrationsrate (GFR) durch- gesetzt, die anhand von mathematischen Formeln errechnet wird. Hier besteht der Vorteil, dass dieser Wert im Alltag, schnell und verhältnismäßig einfach zu erheben und umgehend verfügbar ist. A) Einschätzung der Nierenfunktion PRAXISTIPP Vor der Überlegung, ob ein Arzneistoff an die Nierenfunktion angepasst wer- den muss, sollte immer überprüft werden, ob für alle Substanzen in der aktuellen Situation wirklich eine In- dikation besteht. Danach sollte die Medikation dahingehend überprüft werden, welche Arzneimittel bei Ak- kumulation zur Manifestation von schwerwiegenden UAW führen kön- nen und bei welchen eine mögliche Überdosierung eher geringere Aus- wirkungen auf den Patienten hat.

Formel

Einheit

Cockcroft and Gault 3 CL Cr = (140 – Alter [Jahre] x Gewicht [kg] x 0.85 [bei Frauen*]) / (S Cr [mg/dL] x 72)

mL/min

MDRD 3 GFR = 186 x S Cr

mL/min/1.73 m 2

-1.154 x Alter [Jahre] -0.203 x 0.742 [bei Frauen*] x 1.21**

Serum-Kreatinin-Konzentration und Urin- ausscheidung stellen dabei Surrogatpara- meter für eine veränderte Nierenfunktion dar. Weitere sensitive und spezifischere Biomarker als das Kreatinin werden aktu- ell zwar untersucht, haben bislang aber keinen Einzug in die klinische Routine gefunden. Die Bestimmung der Nierenfunktion anhand des Serum-Kreatinins hat durch- aus große Nachteile, da es abhängig ist von der bestehenden Muskelmasse eines Menschen und der Art seiner Ernährung. 3 Da das Patientengut im Alltag naturge- mäß durch eine hohe interindividuelle Va- riabilität gekennzeichnet ist, können auch diese Faktoren deutlich verändert sein, z. B. bei Patienten mit Amputationen von Extremitäten oder Patienten mit Kache- xie, und Auswirkungen auf den gemes- senen Kreatininwert haben. In der Folge kann bei der Berechnung eine zu hohe oder zu niedrige GFR ermittelt werden, die sich von der tatsächlichen deutlich unter- scheidet. Diese mögliche Abweichung ist auch unabhängig davon, welche Formel verwendet wird. Während früher die Berechnung der Kreatinin-Clearance für Erwachse- ne überwiegend anhand der Cockcroft Gault-Formel erfolgte, haben sich inzwi- schen mehr und mehr andere Formeln durchgesetzt, die durch die Kreatinin-be- stimmenden Laboratorien automatisch errechnet und übermittelt werden. Zwar wird oft angeführt, dass die Cockcroft Gault-Formel eine Dosisanapassung an- hand des Körpergewichts ermöglicht und es werden verschiedene Empfehlungen zum zu verwendenden Gewicht gegeben CKD-EPI 4 weiblich S Cr ≤ 0.7 mg/dL: GFR = 144 x (S Cr [mg/dL] / 0.7) S Cr > 0.7 mg/dL: GFR = 144 x (S Cr [mg/dL] / 0.7) männlich S Cr ≤ 0.9 mg/dL: GFR = 141 x (S Cr [mg/dL] / 0.7) S Cr > 0.9 mg/dL: GFR = 141 x (S Cr [mg/dL] / 0.7)

-0.329 x (0.993) Alter [Jahre] x 1.159** -1.209 x (0.993) Alter [Jahre] x 1.159** -0.411 x (0.993) Alter [Jahre] x 1.159** -1.209 x (0.993) Alter [Jahre] x 1.159**

mL/min/1.73 m 2

(beispielsweise bei adipösen Patienten die Verwendung des idealen oder an- gepassten Körpergewichts anstelle des tatsächlichen) – diese sind jedoch nicht hinreichend validiert. Hinzu kommt, dass gerade bei den in den Laboren üblicher- weise verwendeten Standard Assays zur Kreatinin-Bestimmung Cockcroft Gault zu einer Überschätzung der GFR führt. 3 Heute wird überwiegend die so genannte MDRD-Formel (MDRD = Modification of Diet in Renal Disease) oder die CDK-EPI- Formel (CDK-EPI = Chronic Kidney Disease Epidemiology Collaboration) verwendet, 4,5 wobei die CDK-EPI-Formel als die mit der höchsten Genauigkeit, insbesondere auch bei hohen GFR-Werten, gilt. 3,6 Eine Über- sicht über die Errechnung dieser drei For- meln findet sich in Tabelle 1. Ist die Nierenfunktion in Form der GFR aus dem Serumkreatinin errechnet und die mögliche Dynamik der Situation ein- geschätzt, sollten vor einer konkreten An- passung der Dosierung noch einige grund- sätzliche Vorüberlegungen gemacht werden. Alle Arzneistoffe oder ihre Metabo- liten, die überwiegend renal eliminiert werden, haben eine verlängerte Halb- wertszeit bei einer Einschränkung der Nierenfunktion. Von einer relevanten Ak- kumulation kann dabei bereits ausgegan- gen werden, wenn mehr als 30 Prozent des Arzneistoffes unverändert mit dem Urin ausgeschieden werden oder es toxi- sche Metaboliten gibt, die ebenfalls renal B) Vorüberlegungen zur Dosis- anpassung bei Niereninsuffizienz

18 / AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal

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