Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 2/2021
HYPERTONIE
über 140 mm Hg oder der diastolische über 90 mm Hg liegt. Grundsätzlich werden bei der Hyper- tonie die Primäre (essentielle) und die Se- kundäre Hypertonie unterschieden. In etwa 90 Prozent der Fälle handelt es sich um eine primäre Hypertonie. Die Ursachen sind hier eher unbekannt. Man weiß, dass Stress und bei entsprechender Veranlagung Übergewicht eine Rolle spie- len. Mit einer weitaus geringeren Häufig- keit (< 10 Prozent) kommt die sekundäre Hypertonie vor. Sie ist im Wesentlichen eine Folge anderer Erkrankungen, wie Gefäß-, Nieren- oder Schilddrüsenerkran- kungen, die in der Regel behandelbar sind. Es können aber auch blutdrucksteigernde Substanzen in Frage kommen. Beispiele sind Amphetamine, Kokain, orale Kontra- zeptiva, Mineral- und Glucocorticoide, La- kritz, NSAR oder Erythropoetin. Ein Blutdruckanstieg ergibt sich aus einem erhöhten Herzzeitvolumen, einem erhöh- ten Gefäßwiderstand oder der Kombina- tion beider Mechanismen. Diese werden wiederum in individuell unterschiedli- cher Ausprägung über hämodynamische, nervale, humorale und renale Prozesse reguliert. Mit zunehmendem Alter überwiegt als Ursache der Hypertonie oft eine Erhö- hung des peripheren Gefäßwiderstandes zusammen mit einer erhöhten Gefäßstei- figkeit, was sich klinisch als isolierte systo- lische Hypertonie manifestiert. Eine fami- liäre Häufung spricht für eine genetische Prädisposition, die im Zusammenspiel mit Umweltfaktoren wie Verbrauch von Kochsalz und Kalorien sowie Bewegungs- mangel, letztendlich die Ausprägung des Blutdruckanstiegs vorgibt. In Deutschland war die Prävalenz der ar- teriellen Hypertonie im Vergleich zu an- deren westlichen Ländern noch in den 1990er Jahren überdurchschnittlich hoch. Entsprechende Daten für Deutschland aus den Jahren 2008 bis 2011 zeigen je- doch einen Rückgang der Häufigkeit eines nicht kontrollierten Blutdrucks von 22 Pro- zent auf 13 Prozent bei Frauen und von Prävalenz der arteriellen Hypertonie in Deutschland Pathophysiologie – Wie kommt es zu einem Blutdruckanstieg?
24 Prozent auf 18 Prozent bei Männern. Bei Männern im Alter zwischen 18 und 29 Jahren hat sich die Prävalenz jedoch von 4,1 Prozent auf 8,5 Prozent erhöht. 8 Nach Schätzungen der WHO sind etwa 54 Prozent der Schlaganfälle und 47 Prozent der ischämischen Herzerkrankun- gen direkte Folgen eines Bluthochdrucks, der damit neben anderen Risikofaktoren von zentraler Bedeutung für kardiovas- kuläre Morbidität und Mortalität ist. Eine Reduktion der Schlaganfallinzidenz in den letzten Jahrzehnten wird zu einem erheb- lichen Teil durch eine Reduktion des Blut- drucks erklärt. 25 Prozent der Todesfälle sind Folgen einer Hypertonie. Obwohl der epidemiologische Zusam- menhang zwischen Bluthochdruck und kardiovaskulärer Morbidität und Morta- lität bekannt ist und eine hinreichende Evidenz für eine antihypertensive Thera- pie vorliegt, ist der Blutdruck oft nicht hin- reichend kontrolliert. Der Blutdruck wird nicht gemessen, es wird nicht auf erhöh- te Blutdruckwerte reagiert, die Therapie wird nicht optimal durchgeführt oder die notwendigen Medikamente werden nicht regelmäßig eingenommen. Bei einem Teil der Patienten, die un- ter therapierefraktärer arterieller Hyper- tonie leiden, kann auch bei regelmäßiger Einnahme der antihypertensiven Medi- kamente der Blutdruck nicht eingestellt werden. In den aktualisierten europäischen Leit- linien zur Diagnostik und Therapie der arteriellen Hypertonie sind die bislang gültigen Grenzwerte ≥ 140 mm Hg zur Definition der Hypertonie in der Praxis- messung beibehalten worden. Hierbei sollen an mehreren Tagen je drei Messun- gen erfolgen. Die Messungen werden im Sitzen nach einer Ruhepause von 3 bis 5 Minuten durchgeführt. Zwischen den drei Messungen ist ein zeitlicher Abstand von 1 bis 2 Minuten einzuhalten. Wie ge- sagt, sind bei den Messungen optimale Bedingungen zu gewährleisten. Wichtig ist auch die Auswahl der richtigen Blut- druckmanschette. Bei der initialen Mes- sung sollte beidseitig gemessen werden. Bei einem Seitenunterschied > 20 mm Hg systolisch oder > 10 mm Hg diastolisch ist an Erkrankungen der Aorta oder anderer Arterien zu denken. Weitere Messungen Diagnostik der Hypertonie in der Praxis
werden in der Folge immer am Arm mit den höheren Werten durchgeführt. Vor- teilhaft ist die ambulante 24-Stunden- Langzeitmessung oder andere automati- sierte Heimmessungen, die die Diagnose einer Hypertonie bestätigen können. Üb- licherweise sind die gemessenen Werte bei letzteren Verfahren geringer. Mit der 24-Stunden-Langzeitmessung lässt sich auch die Weißkittelhypertonie oder ein maskierter Bluthochdruck feststellen. RISIKOFAKTOREN Bluthochdruck wird meist von ande- ren Risikofaktoren begleitet, die das kardiovaskuläre Risiko erhöhen. Des- halb ist es wichtig, immer das indivi- duelle Gesamtrisiko zu ermitteln. All- gemein herrscht die Meinung vor, den Blutdruck umso konsequenter einzu- stellen und früher zu behandeln, je höher das Gesamtrisiko ist. Risikofaktoren: 9 • männliches Geschlecht • Alter ( ♂ ≥ 55 Jahre; ♀ ≥ 65 Jahre) • Raucher (aktuell oder ehemals) • Dyslipidämie: Gesamtcholesterin > 190 mg/dL und/oder HDL-Choleste- rin · ♂ < 40 mg/dL; ♀ < 46 mg/dL und/ oder • Blutglukose, nüchtern 102 – 125 mg/ dL • Hyperurikämie • Adipositas (BMI) ≥ 30 kg/m 2 und/ oder abdominelle Adipositas (Tail- lenumfang ♂ ≥ 102 cm; ♀ ≥ 88 cm) • kardiovaskuläre Erkrankungen bei Verwandtschaft 1. Grades ( ♂ < 55 Jahre; ♀ < 65 Jahre) • Familienanamnese mit früher Ma- nifestation einer arteriellen Hyper- tonie • vorzeitige Menopause • sedentärer Lebensstil • psychosoziale und sozioökonomi- sche Faktoren • Herzfrequenz (80 Schläge/Min in Ruhe)
Blutdruckzielwerte
Welche Blutdruckwerte sind anzustreben? In den europäischen Leitlinien wird für
20 / AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal
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