Fortbildung aktuell [Das Journal] 2/2017

Fortbildung aktuell [Das Journal] Nr. 2/2017

02· 2017 [ D a s J o u r n a l ]

Über die Arzneimittel in der Stillzeit, Medikamente für Kinder und den Zusammenhang von Lagerung und Wirksamkeit

Seite 5 Medikamente während der Stillzeit Seite 11 Arzneimittel für Kinder Seite 17 Fallbeispiel: Lagerung und Wirksamkeit

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EDITORIAL

Editorial

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

vor Ihnen liegt die erste Ausgabe unseres Fortbildungsjournales im Jahr 2017. Darin finden Sie drei spannende Aufsätze von vier Autorinnen, die Sie in Ihrer alltäglichen Arbeit in der Apotheke unterstützen sollen. Den Auftakt machen Dörte Schröder-Dumke (Wedel) und Dr. Constanze Schä- fer (Mühlheim an der Ruhr) mit Ihrem Beitrag zur richtigen Arzneimittel- auswahl während der Stillzeit. Denn passende Informationen zu Medi- kamenteneinnahme während der Stillzeit sind ebenso spärlich gesät wie zur Arzneimitteltherapie in der Schwangerschaft. Die beiden Autorinnen haben die wichtigsten Informationen zusammengetragen, aktualisiert, eingeordnet und für die Beratung am HV-Tisch aufbereitet. Dabei wird die Einnahme von Vitaminen und Mineralstoffen ebenso thematisiert wie die Klassifizierung zum Übertritt ausgewählter Arzneistoffe in die Muttermilch – zusammengefasst in einer übersichtlichen Tabelle. Ebenso bedeutsamund gleichsamkompliziert kann die Arzneimittelgabe bei Kindern sein. Grund genug für Verena Arzbach (Frankfurt am Main), sich genau diesem Themenkomplex und somit einer möglichst sicheren Therapie für „kleine Patienten“ in ihrem Aufsatz zu widmen. Schließlich lassen sich sichere, wirksame Therapieempfehlungen nicht allein aus Erfahrungen bei erwachsenen Patienten ableiten, da sich der kindliche Stoffwechsel grundlegend von demErwachsener unterscheidet. Arzbach stellt übersichtlich Regeln zur Ermittlung der passenden Dosis für Kinder dar und geht auf Besonderheiten der Arzneimitteltherapie bei Säuglin- gen ein. Zudem arbeitet sie heraus, welche Hinweise in der Beratung an die Eltern erfolgen sollen. Im dritten Aufsatz zeigt Ina Richling, PharmD, (Menden) anhand eines Fallbeispiels einer Patientin mit Blutdruckschwankungen auf, warum die falsche Lagerung von Arzneimitteln Einfluss auf die Wirksamkeit haben kann. Damit stellt die falsche Lagerung ein arzneimittelbezogenes Prob- lem dar, das bei der Beratung am HV-Tisch sowie in der Medikationsana- lyse angesprochen werden sollte.

Gabriele Regina Overwiening Präsidentin der Apotheker- kammer Westfalen-Lippe

René Graf Vizepräsident der Apotheker- kammer Westfalen-Lippe

Impressum

„Fortbildung aktuell“ der Apothekerkammer Westfalen-Lippe, erscheint zweimal jährlich als „Fortbildung aktuell – Themen & Termine“ und zweimal pro Jahr als „Fortbildung aktuell – Das Journal“ Herausgeber: Apothekerkammer Westfalen-Lippe Bismarckallee 25 · 48151 Münster Tel.: 0251 520050 · Fax: 0251 52005-69 E-Mail: info@akwl.de · Internet: www.akwl.de

Redaktion/Grafiken: Dr. Sylvia Prinz

Layout: Sebastian Sokolowski

Autoren dieser Ausgabe: Dörte Schröder-Dumke, Dr. Constanze Schäfer, Verena Arzbach, Ina Richling, PharmD

Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen, Lernen und Punkten!

Titelfoto: psdesign1 - fotolia.com/psdesign1

Der Bezugspreis für „Fortbildung aktuell – Themen & Termine“ und „Fortbildung aktuell – Das Jour- nal“ ist für die Mitglieder der Apothekerkammer Westfalen-Lippe im Kammerbeitrag enthalten.

Mit freundlichen, kollegialen Grüßen

Auflage: 7.600 Exemplare

Nachdruck – auch in Auszügen – nur mit schriftli- cher Genehmigung des Herausgebers. Gedruckt auf Papier aus 100 Prozent recycelten Fasern. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier.

Ihre Gabriele Regina Overwiening

René Graf

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DR. CONSTANZE SCHÄFER / DÖRTE SCHRÖDER-DUMKE

Medikamente während der Stillzeit Update zur Arzneimittelauswahl

Die Informationen zur Einnahme von Medikamenten in der Stillzeit sind ebenso spärlich, wie zur Arznei- mitteltherapie in der Schwanger- schaft. In der überwiegenden Zahl der Gebrauchsinformationen findet sich ein Hinweis auf unzureichende Erfahrung während der Stillzeit. Dennoch werden auch während der Stillzeit relativ viele Arzneimittel eingenommen. Die Zahl chronisch kranker Mütter liegt wie auch in der Schwangerschaft bei etwa fünf Pro- zent. Die häufigsten chronischen Er- krankungen sind Epilepsie, Diabetes und Bluthochdruck. Nach der Ge- burt kommt es nicht selten zur postpartalen Depressionssympto- matik, unter der etwa zehn bis 15 Prozent der Mütter leiden. Außer- dem treten Infektionskrankheiten auf, die mit Antibiotika behandelt werden. In den ersten Tagen nach der Geburt werden vor allem Schmerzmittel und Laxantien benö- tigt. 1 In den meisten Fällen muss das Stillen, die beste Versorgung für den Säugling während der ersten Lebensmonate, wegen einer Arznei- mitteleinnahme der Mutter nicht unterbrochen werden (Abbil-

Dörte Schröder-Dumke (Wedel). Dr. Constanze Schäfer (Mühlheim an der Ruhr).

Dörte Schröder-Dumke

Dr. Constanze Schäfer

dung 1). Bei der Auswahl geeigne- ter Medikamente werden beim Säugling keinerlei unerwünschte Arzneimittelwirkungen zu beob- achten sein. Die Besonderheit in der Stillzeit im Ver- gleich zur Schwangerschaft ist der nun metabolisch aktive Säuglingsorganismus, der sich allerdings erst langsam an die An- forderungen außerhalb des Mutterleibs anpasst. Auch ist die Plazentaschranke nicht identisch mit der Milch-Plasma- Schranke. Man muss also die pharmakolo- gischen Besonderheiten von Mutter und Kind gleichermaßen berücksichtigen.

BERATUNGSTIPP: „EIN PAAR VITAMINE UND MINERALSTOFFE WÄHREND ICH STILLE SIND DOCH BESTIMMT GUT?“ Bei einer ausgewogenen Ernährung sind Vitamine und Mineralstoffe wäh- rend der Stillzeit eigentlich nicht not- wendig (Abbildung 2). Besteht post- partal ein Eisenmangel der Mutter, sollte dieser natürlich behandelt wer- den. Auch bestehende Mangelzustän- de, die Auswirkungen auf das Gedei- hen des Säuglings haben, wie Vitamin B 12 und Zink – bei sich vegan ernäh- renden Müttern zu finden – müs- sen konsequent substituiert werden. Vitamin D zur Rachitisprophylaxe und Fluorid für die Zähne sollte der Säugling nach Möglichkeit direkt er- halten, da die über die Muttermilch zuführbaren Dosen nicht ausreichen. Einzig bei Jodid wird wegen des guten Übergangs von Jodid aus dem Plasma in die Muttermilch (s. Milch-Plasma- Quotienten), eine tägliche Zufuhr von 260 µg für die Mutter empfohlen, um den bis zum vierten Lebensmonat auf 50 µg täglich ansteigenden Bedarf des Säuglings an Jodid sicherzustellen.

ABBILDUNG 1: Stillen und Arzneimitteleinnahme schließen sich oft nicht aus.

Milchbildung

Die Brust ist aus Drüsen-, Fett- und Bin- degewebe aufgebaut. Das Drüsengewebe

Foto: Stanislav Uvarov – Fotolia.com

AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal /  5

MEDIKAMENTE WÄHREND DER STILLZEIT

aus dem Plasma in die Muttermilch über- treten. Da zum Teil auch Metaboliten für Wirkungen und unerwünschte Arzneimit- telwirkungen verantwortlich sein können, sollte man beides imBlick behalten. Bei der passiven Diffusion ist die Arzneistoffkon- zentration in der Milch direkt proportional zur Plasmakonzentration. In diesen Fällen sind die folgenden Punkte zur Beurteilung zu beachten: Die Plasmaeiweißbindung von Wirkstof- fen und Metaboliten hat Einfluss auf die Diffusion in die Muttermilch. Je stärker ein Wirkstoff – und das gleiche gilt auch für seine Metaboliten – an Plasmaeiweiße gebunden ist, desto geringer ist der Anteil der freien Arzneistoffmoleküle im Plasma, die passiv in die Muttermilch diffundieren können. Stehen zwei vergleichbare Wirk- stoffe zur Behandlung einer Stillenden zur Verfügung, sollte man dem Wirkstoff mit der höheren Plasmaeiweißbindung den Vorzug geben. Bei einer Plasmaeiweißbin- dung von über 85 Prozent ist eine Gefähr- dung des Säuglings wegen der kaum vor- handenen Diffusion von Wirkstoffen oder Metaboliten in die Muttermilch weitge- hend ausgeschlossen. Da die Muttermilch ebenfalls bindungsfähige Eiweißstruktu- ren enthält, wenn auch in deutlich gerin- gerem Umfang als das mütterliche Plas- ma, lässt sich das Gleichgewicht zwischen freien und ungebundenen Molekülen auch zwischen den in der Muttermilch befindli- chen und den frei im Plasma verfügbaren Molekülen beobachten. Wie hoch jedoch das Gleichgewicht zugunsten der Muttermilch verschoben ist, hängt von der Molekülgröße, der Lipo- philie und der Basizität des Wirkstoffs oder der Metaboliten ab. 6,8 Lipophile Wirkstoffe und Metaboli- ten diffundieren wegen des im Vergleich zum Plasma höheren Fettgehaltes gut. Die Wirkstoffe reichern sich in der Mutter- milch an. Fällt der Plasmaspiegel der Sub- stanzen ab, so rediffundiert der Wirkstoff in Abhängigkeit seiner Lipophilie bis ein Steady-State erreicht ist. Dieser Prozess der Rediffussion verläuft bei extrem lipophilen Wirkstoffen oder Metaboliten jedoch so zeitverzögert oder in so geringemUmfang, dass bei diesen Stillenden ein gezieltes Plasmaeiweißbindung, Lipophilie und pH-Gefälle

ABBILDUNG 2: Ist die Ernährung der Mutter während der Stillzeit ausgewogen, ist die Ergänzung von Vitaminen und Mineralstoffen nicht erforderlich.

Foto: psdesign1 – Fotolia.com

wird durch einen langsam steigenden Prolaktinspiegel bereits während der Schwangerschaft auf die Milchprodukti- on durch Bildung von Milchbläschen vor- bereitet. Nach der Geburt steigt der Pro- laktinspiegel stark an: Das Drüsengewebe ist über Milchgänge mit den Brustwarzen verbunden. Der Warzenhof ist nerval mit den Milchgängen verbunden. Saugt der Säugling, löst er über die Nervenendigun- gen im Warzenhof den Milchspendere- flex aus: Die Milch schießt etwa drei bis vier Tage nach der Geburt ein, nach zehn Tagen ist die volle Milchbildungsleistung erreicht. Je nach Häufigkeit und Intensität des Saugens reguliert der Säugling dann den Prolaktinspiegel und damit Milch- menge und -qualität. Die Muttermilch selbst lässt sich als eigenständiges phar- makologisches Kompartiment begreifen, also als weiterer Verteilungsraum. Die Milchbildung wird durch einige Arzneistoffe gehemmt, wie Ergotamin- derivate und Estrogene, weil diese die Prolaktinproduktion unterdrücken. Arz- neimittel mit antidopaminerger Wirkung hingegen, wie Phenothiazine oder das atypische Neuroleptikum Sulpirid, sind milchbildungsfördernd. 6,8

Der Umbau des Brustgewebes in den ersten zehn Tagen nach der Geburt bis zur vollen Ausreifung der Milchbildung begünstigt die Weitergabe von Immun- globulinen und mütterlichen Lymphozy- ten, dem „Nestschutz“. Die Kapillarwände der alveolären Zellen sind in diesem Zeit- fenster noch relativ durchlässig. Deshalb besteht während dieser Zeitphase das höchste Risiko für den Übertritt von grö- ßeren Arzneistoffmolekülen in die Mut- termilch. Nach zehn Tagen kommt es zum Aufbau der alveolären Lipidmenbran, die die Durchlässigkeit für Moleküle mit ei- ner Molekularmasse von mehr als 200 ohne aktive Transportsysteme unmöglich macht. 6,8 Während dieser Zeit ist deshalb ein sorgfältiges Auswählen von für den Säugling unbedenklichen Arzneistoffen einerseits und andererseits eine erhöhte Aufmerksamkeit auf mögliche Reaktionen des Säuglings bei einer notwendigen müt- terlichen Therapie angezeigt.

Welche Substanzen können überhaupt in die Muttermilch übergehen?

Sowohl die Arzneistoffe selbst als auch ihre Metaboliten können durch passive Diffusi- on oder mittels aktiver Transportprozesse

6  / AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal

DR. CONSTANZE SCHÄFER / DÖRTE SCHRÖDER-DUMKE

· Gruppe C – Auftreten in der Mutter- milch nur in geringem Umfang festzu- stellen; das Abfluten aus der Mutter- milch ist ebenfalls sehr verlangsamt. Geringe Mengen des Wirkstoffs können noch in der Muttermilch vorhanden sein, auch wenn im Plasma nichts mehr nachzuweisen ist, · Gruppe D – Plasma- und Milchspiegel haben einen parallelen Verlauf. Diese Klassifizierungen werden u. a. in Tabelle 2 zur Empfehlung im Umgang mit einigen ausgewählten Arzneistoffen berücksichtigt. Zudem wurden auch die Empfehlungen aus der embryotox-Daten- bank in der Tabelle eingearbeitet. Es zeigt sich, dass bezüglich der Anwendbarkeit von den jeweiligen Wirkstoffen in der Stillzeit nicht durchweg die gleiche Emp- fehlung gegeben wird. Auch lassen sich beim derzeitigen Stand der Datenlage kei- ne Regeln ableiten. Es bleibt abzuwarten, was die Forschung in den nächsten Jahren hier an weiteren Ergebnissen bringt.

Abpumpen und Verwerfen der Milch, die während des Zeitfensters des höchsten Plasmaspiegels gebildet wurde, sinnvoll ist. Je nach Wirkstoff sind am besten ein bis zwei Halbwertszeiten des Wirkstoffs abzuwarten, um einen ausreichend ge- ringen Spiegel in der Muttermilch zu er- reichen. Erst nach fünf Halbwertszeiten wären 97 Prozent der Dosis eliminiert und damit dieMilch annäherndwirkstofffrei. 6,8 Da in der Regel jedoch beim Säugling nur ein geringer Teil, etwa acht bis zehn Pro- zent, der mütterlichen Dosis ankommt, reichen zwei Halbwertszeiten zum Schutz des Säuglings aus. Neben der Lipophilie muss zudem die Basizität der Substanzen näher betrachtet werden. Aufgrund des pH-Gefälles von pH 7,4 im mütterlichem Plasma und pH 6,8 bis 7,1 in der Muttermilch, diffundieren schwache Basen leichter als saure Mole- küle – z. B. NSAR. 6,8 Zur Beurteilung wie ausgeprägt der Über- tritt eines Moleküls in die Muttermilch ist, verwendet man den Milch-Plasma-Quo- tienten (M/P-Quotient). Je niedriger der Wert des M/P-Quotienten ist, umso gerin- ger ist der zu erwartende Wirkstoffspie- gel in der Muttermilch. Allerdings gibt der M/P-Quotient (s. Tabelle 1) nur Hinweise auf das Maß des Übertritts, nicht auf tatsächliche Wirkspiegel, da diese vom Wirkspiegel im mütterlichen Plasma ab- hängig sind, die nicht berücksichtigt sind. Deshalb lassen sich mögliche Risiken oder UAW für den Säugling nur unzureichend abschätzen. Auch die Zusammensetzung der Muttermilch selbst, die sich während der Stillphase ändert (z. B. Kolostrum oder reife Frauenmilch) haben Einfluss auf den M/P-Quotienten. Seit einigen Jahren wird zwischen vier Übertrittsarten aus dem Plasma in die Muttermilch unterschieden. 4 Dabei wer- den sowohl aktive als auch passive Trans- portprozesse berücksichtigt: · Gruppe A – annähernd, nur leicht zeit- versetztes, paralleles An- und Abfluten dieser Substanzen im Plasma und in der Muttermilch, wobei fast der gleiche Wirkstoffspiegel erreicht wird, · Gruppe B – hier existiert ein aktiver Transportmechanismus vom Plasma in die Milch, Milch-Plasma-Quotient

FALLBEISPIEL AUS CIRS NRW: BERATUNG BEI ABGABE IST WICHTIG

Durch ein Kind wurde in der Apotheke für die Mutter ein Rezept über Biso­ prolol comp 5/12,5 eingelöst. Die Mut- ter (Altersgruppe 31-40 Jahre), bringt das Medikament einige Tage später zurück in die Apotheke. Sie sollte das erstmals in der Schwangerschaft ver- ordnete Methyldopa auch während der Stillzeit weiter einnehmen. Da ihr dies vor Öffnen der neuen Packung aufgefallen ist, hatte sie noch keine Tablette von Bisoprolol comp einge- nommen. Bisoprolol und Methyldopa werden zur Behandlung der Hyperto- nie eingesetzt. Dabei gilt Methyldopa sowohl während der Schwangerschaft als auch der Stillzeit aufgrund der Er- fahrung und der HWZ der Substanzen (Bisoprolol 10 bis 12 h, Methyldopa 1,5 bis 2 h) als Mittel der ersten Wahl. Der vorliegende Fall macht deut- lich, wie wichtig die Beratung des Patienten im Rahmen der Abgabe des Arzneimittels ist. Dabei wäre der Mutter das Versehen bestimmt so- fort aufgefallen, das nicht gewünsch- te Arzneimittel, das nun vernichtet werden muss, gar nicht erst abgege- ben worden und die Verordnung hät- te zeitnah geändert werden können. Bei der Ersttherapie mit Betablockern während der Stillzeit sollte auf altbe- währte Substanzen wie Metoprolol, Oxprenolol, Propanolol oder Pindolol zurückgegriffen werden, da für die neueren Wirkstoffe die Datenlage un- zureichend ist.

Was passiert beim Säugling?

Nach der Geburt stellt sich im Verlauf von einigen Wochen und Monaten der Organismus des Säuglings vom feta- len Modus auf das Leben außerhalb des Mutterleibs um. Besonders deutlich wird die Umstellung im Blutbild. In den ersten

POSITIV BEURTEILT: STILLEN UNTER METHADON

Stillen unter Methadon ist, sofern kei- ne weiteren gesundheitlichen Risiken (z. B. HIV positiv) vorliegen und neben dem Substitutionsmittel kein weiterer Drogengebrauch stattfindet, ohne Pro- bleme für den Säugling möglich. Die Methadonkonzentration in der Mut- termilch zeigt keinen neuropsycholo- gischen Effekt beim Säugling, da die aufgenommene Menge relativ gering bleibt. 9 Durchschnittlich 0,02 bis 0,57 µg/ml können in der Muttermilch bei einer mütterlichen Dosis zwischen 10 bis 105 mg/Tag nachgewiesen wer- den. Inzwischen wird durch Geburts- kliniken das Stillen bei stabil mit Me- thadon eingestellten Müttern positiv bewertet und gefördert.

TABELLE 1: M/P-Quotient einiger ausge- wählter Wirkstoffe 2,6

Symptome

M/P-Quotient

ASS

0,1 1,0

Ethanol

Jodid

20,0

Digoxin

0,8

Cephalosporine

0,023

Metformin

0,35-0,63

Lithium

0,5

Loratadin

1,17

Nicotin

2,9

Propanolol Theophyllin

0,56

0,7

AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal /  7

MEDIKAMENTE WÄHREND DER STILLZEIT

TABELLE 2: Klassifizierung zum Übertritt ausgewählter Wirkstoffe in die Muttermilch nach 4,6 und www.embryotox.de Wirkstoffbeispiel Empfehlung nach embryotox z. T. nach 6 Zuordnung und Empfehlung nach 4 Atenolol Besser Metoprolol (Mittel der Wahl)

Lebenswochen kommt es zur sogenann- ten Blutmauser. Das bis zur Geburt auf die Sauerstoffversorgung über die Mutter und damit der Aufnahme von Sauerstoff von Plasma zu Plasma ausgelegte Hämo- globin muss nun über die Lungenatmung für eine ausreichende eigenständige Sauerstoffversorgung des Organismus sorgen. Besondere Vorsicht sollte man deshalb in den ersten Wochen bei Wirk- stoffen, die einen Kernikterus auslösen können, walten lassen. Durch den mas- siven Umbau des fetalen Hämoglobins kommt es ohnehin zu einem Anstieg von Bilirubin im Körper. Auch gegenüber Met- hämoglobinbildnern ist das Blut während der ersten sechs Lebensmonate beson- ders empfindlich. Durch die Oxidation des zweiwertigen Eisens zu dreiwertigem im Hämoglobin kommt es zu einem Funkti- onsverlust und damit zu einer geringeren Sauerstoffkapazität. Das Neugeborenen- Hämoglobin reagiert doppelt so schnell gegenüber Oxidationsmitteln im Ver- gleich zum adulten Hämoglobin. Selbst wenn nur 15 bis 20 Prozent des Hämoglo- bins von der Oxidation betroffen sind, tre- ten bereits Symptome einer Zyanose – vor allem Abgeschlagenheit und Müdigkeit, auf; bei mehr als 50 Prozent, kommt es zu Somnolenz bis hin zum Bewusstseinsver- lust. Das größte Risiko besteht in der Auf- nahme von nitratreichem Wasser, wenn nicht gestillt wird, sondern mit Wasser zubereitete Säuglingsnahrung gefüttert wird. Wegen der ebenfalls noch nicht aus- geprägten Magensäurebildung kommt es zu einer verstärkten Nitritbildung aus dem Nahrungsmittelnitrat. Bei gestillten Säuglingen existiert dieses Risiko nicht, da die durch die Mutter aufgenommenen Nitrate effektiv abgebaut werden. Bei Säuglingen, die mit Säuglingsmilchpro- dukten ernährt werden, sollte aus diesem Grund konsequent auf eine Zubereitung mit nitratfreiem oder zumindest -armem Wasser geachtet werden, was in den In- dustriestaaten kein Problem darstellt. Kri- tisch kann beim gestillten Säugling jedoch die Behandlung der Mutter mit einem methämoglobinbildenden Wirkstoff sein, wenn dieser in höheren Konzentrationen in die Muttermilch übertritt. Dazu zählen Dapson, Metamizol und Sulfonamide. Zu den Sulfonamiden beispielsweise findet sich in der embryotox-Datenbank nur der Hinweis auf möglicherweise, aber selten auftretende Durchfälle beim Säugling.

Benzylpenicillin

Mittel der Wahl

Clarithromycin

indikationsgerecht ja

Clindamycin

nur bei zwingender Indikation

Gruppe A: Abpumpen der Muttermilch zur Wirkspiegelreduktion für den Säugling nur einge- schränkt zu empfehlen

Diltiazem

Nifedipin oder Verapamil bevorzugen

HCT

bis zu 50 mg/Tag akzeptabel

Metformin

uneingeschränkt möglich

nein, wenn Gyrasehemmer nötig, dann Ciprofloxacin

Ofloxazin

Terbutalin

Mittel der Wahl

Verapamil

besser Nifedipin

Aciclovir

keine Stilleinschränkung

keine Stilleinschränkung, besser aber Famo- tidin

Cimetidin, Ranitidin

Gruppe B: Abpumpen der Muttermilch zur Wirkspiegelreduktion für den Säugling nicht geeignet

Jodid

keine Stilleinschränkung

falls zwingend erforderlich möglich, besonde- re Vorsicht bei Frühgeborenen, Neugeborenen mit Hyperbilirubinämie oder Glucose-6-Phos- phat-Dehydrogenasemangel möglich, wenn Mittel der 1. Wahl nicht greifen, bei Säuglingen unter zwei Monaten auf Ödeme und Gewichtsverlauf (Nierenfunk- tion!) achten akzeptabel, aber auf Sedierung oder Unruhe achten Sedierung und Übererregung möglich, als Monotherapie unter Vorbehalt wenn Paracetamol/ASS auch in Kombination mit Coffein und Codein nicht wirkt, möglich kurzfristig als Monotherapie bei Beobachtung des Säuglings möglich nicht stillen, Erbrechen häufig, evtl. Hinweis auf toxische Wirkung (Grey Syndrom: graue Hautfarbe, Erbrechen, Verweigerung der Nahrungsaufnahme, Atem- und Kreislaufpro- bleme) möglich indikationsgerecht über kurze Zeit möglich

Nitrofurantoin

Captopril

Citalopram

Gruppe C: Beobachtung des Säuglings, um situativ wegen Trink- schwäche oder anderer UAW über eine Stillpause zu entscheiden

Fluvoxamin SSRI Mittel der Wahl Hydromorphon, Morphin s. Kasten zur Substitution MCP

Olanzapin

Sumatriptan

Theophyllin

Alprazolam

Chloramphenicol

Gruppe D: Die Verordnung dieser Wirk- stoffe für Stillende sollte im Einzelfall kritisch abgewogen werden

Digoxin

Stillen möglich, evtl. Stillpause von 2 Stunden

Metronidazol

Stillen möglich

Prednisolon

Stillen möglich

Propranolol

Betablocker der Wahl in der Stillzeit

Propylthiouracil

Stillen möglich

Zytostatika, Radio­ therapeutika, Jodhaltige Desinfektions- oder Kontrastmittel, Kombi- nationstherapien mit mehreren Psychophar- maka und Antiepileptika, Vitamin A und D

komplett kontraindiziert nach6

8  / AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal

DR. CONSTANZE SCHÄFER / DÖRTE SCHRÖDER-DUMKE

in den ersten sechs Lebenswochen Xan- thinderivate zu Coffein abgebaut wer- den und der Säugling deshalb schlecht schläft sowie unruhig wirkt. Nach der mütterlichen Einnahme von Theophyllin kann dies zu Beginn gelegentlich beob- achtet werden. · Auch die renale Clearance erreicht erst nach zwei bis fünf Monaten „normale“ Werte. Renal eliminierte Wirkstoffe haben deshalb oft eine höhere bzw. längere Wirksamkeit. · Wegen des deutlich erhöhten Körper- wasseranteils kommt es zu niedrigeren Konzentrationen wasserlöslicher Wirk- stoffe; fettlösliche Wirkstoffe sind dafür im Plasma höher konzentriert. · Die Blut-Hirn-Schranke ist in den ersten Lebensmonaten mangelhaft ausgebildet, so dass es bei Antihistaminika beispiels- weise zu paradoxen Wirkungen kommen kann. Während der Antibiotikabehandlung der Mutter kann eine dünnere Stuhlkonsistenz beim Säugling auftreten. Viel wesent- licher kann wegen geschmacklicher Verän- derungen der Milch, z. B. bei der Einnahme von Penicillinen und Makroliden, aber auch bei ätherischen, insbesondere mentholhaltigen Ölen, die oft in Erkäl- tungsmitteln enthalten sind, Gewürzen sowie Nikotin die Verweigerung der Milch sein. Deshalb empfehlen Ernährungsfor- scher, dass werdende Mütter bereits auf eine abwechslungsreiche Nahrung achten sollten. Sollte eine längerfristige Therapie mit Analgetika, Sedativa, Psychopharmaka oder Antiepileptika notwendig sein (vgl. hierzu, 3,6,7,8; www.embrytox.de so gilt ganz allge- mein, dass der Säugling bezüglich auftre- tender Nebenwirkungen, wie Müdigkeit, Sedierung, mögliche Trinkschwäche und eventuell eine veränderte Hautfarbe be- obachtet wird und dann im Einzelfall über eine Fortsetzung des Stillens oder einen Präparatewechsel Rücksprache mit dem Arzt erfolgt.

Dennoch werden bewährtere Alternati- ven wie Penicilline, Cephalosporine und Makrolide empfohlen. Dies gilt insbeson- dere dann, wenn der Säugling unter einer Hyperbilirubinämie oder einem Gluco- se-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel leidet. Weitere wesentliche Besonderheiten des Neugeborenen-Organismus, die Ein- fluss auf die Pharmakologie von Wirkstof- fen haben, sind: 5,6,8 · Verminderte Magensäuresekretion und verlangsamte Magenentleerung: Arznei- stoffe, die durch Magensäure aktiviert werden oder Wirkstoffe, die im Dünn- darm resorbiert werden, zeigen eine veränderte Pharmakokinetik. Erfolgt kei- ne Aktivierung, kann in der Regel auch keine Wirkung beobachtet werden. · Die Leber, die während der Zeit imMut- terleib zweckmäßigerweise keinerlei Entgiftungsfunktion hatte und auch ansonsten nur sehr reduziert arbeitete, produziert zunächst nur in geringem Maße Plasmaeiweiße. Damit fällt der Faktor der Plasmaeiweißbindung weg, so dass der Blutspiegel von typischer- weise in geringer Konzentration im Blut ungebunden vorhandenen Arznei- stoffmolekülen vergleichsweise hoch ist. Dies kann, sofern bereits geeignete Leberenzyme zum Abbau vorhanden sind, zu einem schnelleren Ausschei- den als im Vergleich zum erwachse- nen Organismus führen oder aber zu verstärkten systemischen Effekten. Da jedoch die Menge der freien Moleküle immütterlichen Plasma Dank der dort vorhandenen Plasmaeiweiße vor allem bei Bindungsraten von 85 und mehr Pro- zent, nicht sehr hoch sein wird und nur ein Bruchteil tatsächlich in der Mutter- milch anflutet, werden keine massiven UAW zu erwarten sein. Deshalb bei der Auswahl eines Arzneistoffs zur Behand- lung der Mutter solche mit einer höhe- ren Plasmaeiweißbindung bevorzugen. · Der Leberstoffwechsel passt sich nach und nach an: Die Ernährung mit Mutter- milch in den ersten Wochen stellt keine besonderen Anforderungen an den enzymatischen Leberstoffwechsel dar. Oxidationsreaktionen erfolgen in der Leber nach ein bis zwei Wochen nach Geburt, bei Konjugationsreaktionen dauert es sogar drei Monate. Deshalb sind veränderte Plasmahalbwertszeiten zu beobachten (s. Tabelle 3) oder dass

REFERENZEN & LITERATUR 1 Anderson, P.O.: Drugs and breastmilk. Pediatrics 95 (6), 958, (1995) 2 Friese, K., Mörike, K. et al.: Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit Ein Leitfaden für Ärzte und Apotheker; WVG, 2006 3 Grospietsch, G.: Erkrankungen in der Schwanger- schaft, WVG Stuttgart, 2004 4 Koshimichi, H. et al.: Analysis and Prediction of Drug Transfer into Human Milk Taking into Con- sideration Secretion and Reuptake Clearances across the Mammary EpitheIia; Drug Meta- bolism and Distribution, 2011 [doi: 10.1124/ dmd.111.040972] 5 Lichtmaneker, N.: Arzneimittelempfehlungen in der Schwangerschaft, Govi, 2016 6 Schaefer, C., Spielmann, H. et al.: Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit, mit Zugangs- code zu ergänzendemWeb-Angebot; Urban und Fischer 2012 7 Rohde, A., Schaefer, C.: Psychopharmakotherapie in Schwangerschaft und Stillzeit, Georg Thieme Verlag, 2010 8 Smollich, M., Jansen, A.C.: Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit – Schnell und sicher beraten, Hippokrates Verlag 2009 9 Jansson, L.M.: Guidelines for breastfeeding and the drug-dependent woman. Breastfeed Med 2009; 4: 225-228 Internet · www.embryotox.de · www.fachinfo.de · www.motherisk.org · www.toxnet.nlm.nih.gov

TABELLE 3: Beispiele für Halbwertzeiten einiger Wirkstoffe im Vergleich bei Neugebore- nen und Erwachsenen (nach www.fachinfo.de) 2,6,8

Wirkstoff

Neugeborenes

Erwachsener

Paracetamol Diazepam Theophyllin

2,5-5 h

1,9-2,2 h 15-25 h

15-100 h 24-36 h

3-9 h

Chloramphenicol

8 h

1,5-5 h

AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal /  9

MEDIKAMENTE WÄHREND DER STILLZEIT

ZUSAMMENFASSUNG UND EMPFEHLUNGEN: · Abstillen ist oft nicht erforderlich, da für viele Indikationen geeignete und altbe- währte Arzneistoffe zur Verfügung stehen. · Genaue Aussagen zur Wirkstoffkonzentration in der Milch und dem Plasmaspiegel des Säuglings lassen sich nur näherungsweise machen. · Deshalb besteht besondere Vorsicht bei Wirkstoffen mit einer HWZ von zwölf und mehr Stunden (höheres Kumulationsrisiko). · Nichtmedikamentöse Maßnahmen (wie z. B. bei Erkältungen Wadenwickel, men- tholfreie Inhalationen (z. B. Kamille), ausreichende Flüssigkeitszufuhr) bevorzugen. · Den Säugling während der Arzneimitteltherapie beobachten und dabei insbeson- dere auf Sedierung, Trinkschwäche, Atemdepression, Übererregbarkeit, Unruhe und Hautfarbe achten. Auch plötzlicher Hautausschlag, vermehrte Blähungen beim Säugling oder Gewichtsabnahme können einen Hinweis auf eine unerwünschte Arzneimittelwirkung geben. · Lokalanästhesie (Zahnarzt), Narkose (Sectio), die Einnahme oraler Kontrazeptiva und die Antibiotikabehandlung sind keine Gründe zum Abstillen.

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Arzneimittel für Kinder Sichere Therapie für besondere Patienten

Kinder gehören hinsichtlich der Pharmakotherapie zu den gefähr- deten Patientengruppen. Sichere, wirksame Therapieempfehlungen lassen sich nicht allein aus Erfah- rungen bei erwachsenen Patienten ableiten, vor allem, weil sich der kindliche Stoffwechsel grundle- gend von dem Erwachsener unter- scheidet. Der Einsatz von Arznei- mitteln beim Kind erfordert daher eine strenge Nutzen-Risiko-Abwä- gung. Auch die richtige Dosierung und Anwendung spezieller Kinder- arzneimittel sind Herausforderun- gen. Die europäische Arzneimittelagentur EMA unterscheidet allgemein fünf ver- schiedene Altersgruppen bei Kindern und Jugendlichen: Frühgeborene (bis zur 36. Schwangerschaftswoche), Neugeborene (0 - 27 Lebenstage), Säuglinge und Klein- kinder (28 Tage bis 23 Monate), Kinder (2 bis 11 Jahre) und Jugendliche (12 bis 17 Jahre). Die einzelnen Organe wachsen in den verschiedenen Phasen unterschied- lich schnell und müssen sich im Laufe der Zeit immer wieder neu aufeinander ein- stellen. Je nach Lebensalter reagiert der Körper also unterschiedlich auf die Gabe von Arzneimitteln. Bei der Therapie von Kindern gilt es daher, die klinisch-pharma- kologischen Besonderheiten ihres Lebens- alters zu berücksichtigen, die die Pharma- kokinetik und -dynamik eines Arzneistoffs und damit seine Wirkung beeinflussen. Der Magensaft von Neugeborenen ist mit einem pH-Wert von 4 noch deutlich weniger sauer als bei Erwachsenen. Die Magen-Darm-Motilität ist verzögert, es wird weniger Gallenflüssigkeit produziert und der Darm ist noch nicht vollständig von Bakterien besiedelt. Das beeinflusst die Resorption von oral verabreichten Arz- neistoffen und ihre Bioverfügbarkeit. Die herabgesetzte Azidität des Magens führt etwa zu einer verminderten Resorption Resorption

Verena Arzbach (Frankfurt am Main) studierte Pharmazie in Bonn und volontierte bei der Pharmazeutischen Zeitung. Seit April 2013 ist sie als Redakteurin der Pharmazeuti- schen Zeitung und des PTA-Forums tätig.

Verena Arzbach

BERECHNUNG DER DOSIS: Dosis Kind = Dosis Erwachsener

x Oberfläche des Kindes/1,73 m 2

Körperwasseranteil erhöht (und nimmt bis zum Alter von fünf Jahren stetig ab) und damit auch das Extrazellulärvolu- men. Arzneistoffe, die sich vorwiegend im Extrazellulärraum verteilen, z. B. viele Antibiotika, müssen daher bei Früh- und Neugeborenen sowie kleinen Kindern re- lativ höher dosiert werden als bei Erwach- senen. Umgekehrt sind Substanzen mit vorwiegender Verteilung im Fettgewebe aufgrund des geringeren Anteils niedriger zu dosieren (z. B. Diazepam). 1 Ist die Veränderung dieser Vertei- lungsräume die einzige altersabhängige Variable, kann zur Dosiskalkulation die sogenannte Oberflächenregel der Dosie- rung herangezogen werden. Diese basiert auf der nahezu linearen Beziehung zwi- schen der Körperoberfläche und dem ex- trazellulären Flüssigkeitsvolumen. Daraus folgt, dass Kinder im Vergleich zu Erwachsenen eine umso höhere auf kg Körpergewicht bezogene Dosis benötigen, je jünger sie sind (Tabelle 1). Die Formel gilt allerdings nicht bei adipösen Kindern sowie Säuglingen im ersten Trimenon. 2 In der Praxis ist häufig auch die Plas- maeiweißbindung ein wichtiger Faktor, der berücksichtigt werden muss. Bei Kin- dern ist die Plasmaeiweißbindung verrin- gert: Das führt dazu, dass bei Substanzen

von sauren und fettlöslichen Substanzen. Aufgrund der verzögerten Magenentlee- rung bleiben die Substanzen allerdings länger im Magen, die Resorptionsphase dauert länger an. Organbarrieren wie die Blut-Hirn- Schranke sind bei Früh- und Neugebore- nen noch nicht vollständig ausgebildet und daher durchlässiger als bei Erwach- senen. Viele Wirkstoffe gelangen somit in verstärktem Ausmaß ins Zentralner- vensystem. Die Resorption von Arznei- stoffen über die Haut kann aufgrund ih- res hohen Wassergehalts und niedrigen Kollagengehalts und der relativ größeren Hautoberfläche ebenfalls ausgeprägter sein als bei Erwachsenen. Grund dafür ist ein dünneres Stratum corneum sowie die im Verhältnis zum Körpergewicht größere Körperoberfläche. Beispielsweise Steroide, aber auch potenziell toxische Substanzen wie Salicylate oder Alkohol, werden leich- ter perkutan aufgenommen.

Verteilung

Während der Entwicklung verändert sich auch die Körperzusammensetzung, was Auswirkungen auf den Konzentrations- verlauf des Wirkstoffs im Blut und am Wirkort hat. Bei kleinen Kindern ist der

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ARZNEIMITTEL FÜR KINDER

TABELLE 1: Merkregel zur Ermittlung der Kinderdosis von Medikamenten, die nach Körperoberfläche dosiert werden 2 Alter (Jahre) Durchschnittsgewicht (kg) Kinderdosis als Anteil der Erwachsenendosis ¼ 5,5 1/6 ½ 7,5 1/5 1 10 ¼ 3 14 1/3 7 ½ 24 ½ 12 38 2/3 Erwachsene 65 1

Phase kann sich die Elimination renal ausgeschiedener Medikamente täglich verändern. 2,3 Tabelle 2 verdeutlicht, wie schwierig es ist, die richtige Dosis für Kinder zu fin- den. Es kann nicht einfach die Erwachse- nendosis halbiert oder „heruntergerech- net“ werden. In der Praxis richten sich Kinderärzte wie oben gezeigt nach der Körperoberfläche, Alter und demGewicht. Zur Orientierung gibt es hierzu auch päd- iatrische Dosistabellen. Bei Arzneimitteln, die für Kinder zugelassen sind, findet man in der Regel auch genaue Dosierungsan- gaben in der Fachinformation. Die von der Firma Hexal entwickelte Datenbank www. zak-kinderarzneimittel.de listet außerdem wichtige Informationen zu allen für Kinder zugelassenen Wirkstoffen. Eine Auswahl nach Altersgruppe und Darreichungsform ist möglich. Für Krankheiten, die bei Kindern verbrei- tet sind, gibt es in der Regel ausreichend geprüfte Arzneimittel. Anders sieht das bei schwerwiegenden, seltenen Erkran- kungen aus. Die kleinen Patienten be- kommen dann Medikamente, die für ihre Altersgruppe oder ihre Erkrankung nicht zugelassen sind, sie werden off-label be- handelt. Laut dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) liegen bei rund der Hälfte der Medikamente, die Kinder in deutschen Krankenhäusern ver- abreicht werden, keine Daten zur Verträg- lichkeit und Anwendungssicherheit in der entsprechenden Altersgruppe vor. Die Kinderarzneimittelverordnung der Europäischen Union, die Anfang 2007 in Kraft trat, sollte das ändern. Pharma- zeutische Unternehmer sind seitdem verpflichtet, für die Zulassung neuer Arz- neistoffe zusätzlich Studien zur Wirksam- keit und Sicherheit bei Kindern (Paediatric Investigation Plan, PIP) vorzulegen. Ausge- nommen davon sind nur Arzneimittel, die generell nicht bei Kindern angewendet werden, zum Beispiel Antidementiva. Schwieriger ist die Situation bei be- reits zugelassenen, „alten“ Arzneimitteln: Damit die bei Erwachsenen bewährten Wirkstoffe auch bei Kindern und Jugend- lichen eingesetzt werden können, müssen sie zunächst in Studien an diesen Alters- gruppen getestet werden. Anschließend Besonderheiten bei der Zulassung

wenige Tage nach der Geburt einsatzbe- reit, CYP1A2 hat dagegen im Alter von einem Jahr noch nicht das Ausmaß der Erwachsenenaktivität erreicht. Auch die Niere braucht Zeit, bis sie ihre volle Akti- vität erreicht. Die glomeruläre Filtration und die tubuläre Sekretion sind erst nach einem Jahr voll ausgereift. Bei Säuglingen ist die renale Ausscheidung von Arznei- stoffen aufgrund der niedrigen glomeru- lären Filtrationsrate (GFR) verzögert. Bei Frühgeborenen beträgt die GFR etwa 10 ml/min/1,73 m2, bei reifen Neugeborenen etwa 40 ml/min/1,73 m2. In dieser frühen

mit hoher Proteinbindung ein größerer Anteil ungebunden vorliegt und wirksam ist. Beispiele für Arzneistoffe mit hoher Plasmaproteinbindung sind Phenytoin, Phenprocoumon und Digoxin. 1 2

Metabolisierung

Auch die hepatischen und renalen Me- tabolisierungs- und Clearancevorgänge entwickeln sich bei Kindern erst im Lau- fe der Zeit. Die CYP-Enzyme in der Leber gewinnen unterschiedlich schnell an Ak- tivität. Zum Beispiel ist CYP2C9 bereits

TABELLE 2: Besonderheiten der Arzneimitteltherapie bei Kindern 4 Organ Besonderheit bei Säuglingen

Mögliche Folgen (Beispiele)

· Geringe Säureproduktion · Langsame Magenentleerung · Langsame Darmtätigkeit · Darm ist noch nicht vollständig mit Bakterien besiedelt

Verzögerter Wirkeintritt, Überdo- sierungen möglich

Magen und Darm

Vorsicht bei Glucocorticoid- haltigen Salben, Iod-haltigen Desinfektionsmitteln, stärkere Wirkung möglich Loperamid erst für Kinder ab zwei Jahren (verschreibungspflichtig!, OTC-Präparate ab zwölf Jahren) Leichtere Anreicherung von fettlöslichen Arzneistoffen (z. B. Diazepam), Überdosierungen und stärkere Nebenwirkungen möglich

Haut

Dünnere Haut bei Säuglingen

Die Blut-Hirn-Schranke ist ab dem Alter von ca. sechs Monaten vollständig ausgebildet

Gehirn

· geringerer Körperfettanteil · mehr Körperwasser in den Zellzwischenräumen

Körperzusammen- setzung

· Eliminationsmechanismen noch nicht ausgereift · Einzelne Enzyme fehlen oder arbeiten noch nicht in vollem Ausmaß. · Ältere Kinder haben im Verhältnis zu ihrem Körpergewicht eine größere Leber als Erwachsene.

Cave: mögliche Überdosierung von Penicillin und Paracetamol bei Säuglingen, Codein nicht für Kinder unter zwölf Jahren

Niere und Leber

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VERENA ARZBACH

leicht geschluckt werden. Die größte Hür- de, Kinder zur Einnahme eines Saftes oder einer Lösung zu bewegen, ist in der Regel der Geschmack. Bei der Abgabe eines Saf- tes sollte der Apotheker die Eltern daher auf die Geschmacksrichtung hinweisen. Mag das Kind zum Beispiel partout kei- nen Saft mit Erdbeer-Geschmack, kann der Apotheker hier gegebenenfalls eine besser geeignete Alternative mit anderer Geschmacksrichtung finden. Bei der Gabe flüssiger Arzneimittel sollten die Eltern immer eine Dosierhilfe verwenden, etwa eine Dosierpipette oder eine Einmalspritze. Messbecher sind weni- ger gut geeignet und fehleranfällig, denn die Skala muss auf Augenhöhe abgele- sen werden. Auch ein Messlöffel oder ein Teelöffel sind in der Regel zu ungenau zur Abmessung. Vielen Fertigpräparaten liegt eine Dosierhilfe bei. Ist das nicht der Fall, kann der Apotheker den Eltern eine mitge- ben und die Anwendung gleich erläutern. Für Säuglinge sind außerdem spezielle Medikamentenschnuller und -fläschchen auf demMarkt, die sich mit dem flüssigen Arzneimittel befüllen lassen. Ende des vergangenen Jahres starb in Frankreich ein Säugling zu Hause an ei- nem Atem- und Herzstillstand, nachdem die Eltern ihm Uvestérol D, ein flüssiges Vitamin-D-Präparat, mit einer spritzen- artigen Dosierpipette verabreicht hatten. Die Ursache des Todesfalls ist laut der französischen Arzneimittelbehörde ANSM höchstwahrscheinlich die falsche Anwen- dung des Arzneimittels. Die Lösung ist ver- mutlich in die Luftröhre des Säuglings ge- langt. Schon in der Vergangenheit waren mehrere Fälle von Verschlucken nach der Verabreichung des Präparates gemeldet worden. In Deutschland ist das Präparat nicht erhältlich. Der Fall zeigt, wie wichtig es ist, El- tern die Applikation von Arzneimitteln bei ihren Kindern genau zu erläutern und sie auf Gefahren und Fehler aufmerksam zu machen. So sollte die mit der Dosierpipet- te aufgezogene Arzneimittellösung nicht direkt in den Rachen des Kindes gespritzt, sondern vielmehr langsam in die Wangen- tasche geträufelt werden, um einem Ver- schlucken des Kindes vorzubeugen. Der Säugling sollte beimVerabreichen nicht auf dem Rücken liegen, sondern bes- ser halb sitzend gehalten werden. Wichtig ist auch, die Lösung möglichst langsam

durchgeführt werden. Auch muss es hin- reichende Anhaltspunkte geben, dass das teilnehmende Kind selbst einen Nutzen von der Medikation oder Untersuchung hat beziehungsweise ein Nutzen für Kin- der mit der gleichen Erkrankung wahr- scheinlich ist. Damit ein Kind in eine Stu- die eingeschlossen werden kann, muss ein gesetzlicher Vertreter (in der Regel die El- tern) über Wesen, Bedeutung, Risiken und Tragweite der klinischen Untersuchung in Kenntnis gesetzt werden und der Teilnah- me des Kindes daran zustimmen. Wenn möglich, muss auch der kleine Patient sei- ne Einwilligung geben. Eine placebokontrollierte Studie mit Kindern wird in der Regel nur durchge- führt, wenn es keine Standardtherapie für die zu behandelnde Erkrankung gibt. Gibt es bereits eine Behandlungsmöglichkeit, wird das neue Medikament in der Studie mit der besten verfügbaren Standardthe- rapie verglichen. Darüber hinaus gelten für pädiatrische Studien alle Sicherheitsvor- schriften, die für Arzneimittelprüfungen an Erwachsenen relevant sind.

muss der Hersteller eine Arzneimittelzu- lassung speziell für Kinder, eine sogenann- te PUMA (Pediatric use marketing autho- risation), beantragen. Im Gegenzug erhält der Hersteller wirtschaftliche Vorteile, so gewährt die europäische Arzneimit- telagentur EMA etwa einen zehnjährigen Unterlagenschutz und damit ein exklusi- ves Vermarktungsrecht in Europa. Doch diese Anreize scheinen für vie- le Hersteller wenig attraktiv zu sein. In vielen pädiatrischen Indikationen fehlen noch immer geprüfte Arzneimittel. Seit 2007 sind bislang lediglich drei PUMA zu- gelassen worden: 2011 Midazolam (Buc- colam®) zur akuten Krampfkontrolle bei epileptischen Kindern im Alter von drei Monaten bis 18 Jahren, 2014 Propranolol (Hemangiol®) zur Behandlung des Häm- angioms ab der fünften Lebenswoche und im vergangenen Jahr Glycopyrroniumbro- mid (Sialanar®) ab drei Jahren bei Sialor- rhö, übermäßigemSpeichelfluss aufgrund neurologischer Erkrankungen. Für pädiatrische Studien gelten die glei- chen Sicherheitsvorschriften wie für klini- sche Studien mit Erwachsenen, dennoch gibt es bei minderjährigen Studienteilneh- mern einige Besonderheiten. So dürfen in Deutschland - anders als bei Erwach- senen - Studien nur mit kranken Kindern Klinische Studien mit Kindern

Arzneiformen für Kinder

Flüssige Darreichungsformen wie Säfte, Tropfen oder Lösungen sind besonders für die Therapie von Kleinkindern und Säug- lingen geeignet (Abbildung 1). Sie können recht einfach nach Gewicht dosiert und

ABBILDUNG 1: Säfte, Tropfen oder Lösungen eignen sich besonders gut für die Thera- pie von Kleinkindern und Säuglingen.

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ARZNEIMITTEL FÜR KINDER

zu applizieren: Der Kolben sollte langsam und vorsichtig gedrückt werden, die Do- sierspritze sollte nicht ruckartig entleert werden. Eine gute Alternative kann es auch sein, den Saft oder die Lösung erst mit der Dosierpipette abzumessen und dann auf einen Löffel zu geben. Dann kann das Arzneimittel schluckweise ver- abreicht werden. Ähnlich kann man auch bei Vitamin- D-Tabletten für Säuglinge verfahren. Die Tabletten zerfallen leicht, sie können da- her auf einem Löffel in wenig Wasser oder Milch suspendiert werden. Die aufgelöste Tablette kann dann dem Kind direkt, am besten während einer Mahlzeit, in den Mund gegeben werden. Die aufgelöste Ta- blette in die Flasche oder einen Brei zu ge- ben, wird nicht empfohlen, da dann keine ausreichende Zufuhr garantiert werden kann. Auch wie Medikamente in Trop- fenform richtig angewendet werden, ist häufig erklärungsbedürftig. Wich- tig ist hierbei vor allem, zwischen zwei häufig eingesetzten Tropfeinsätzen zu HINWEISE FÜR DIE ELTERN: Arzneimittelgabe bei Säuglingen · Immer Dosierhilfe verwenden: Do- sierpipette oder eine Einmalspritze (falls dem Präparat keine beiliegt, kann die Apotheke als Service eine zur Verfügung stellen) · Eventuell Medikamentenschnuller oder -fläschchen verwenden · Säugling bei der Gabe halb sitzend halten · Achtung, Verschluck-Gefahr: Arznei- mittellösung nicht direkt mit der Pipette oder Einmalspritze in den Rachen des Kindes spritzen, sondern langsam in die Wangentasche träufeln · Lösung langsam und vorsichtig in den Mund geben, Dosierspritze nicht ruckartig entleeren · Tropfen erst auf einem Löffel abzäh- len, dann schluckweise verabreichen · Vitamin-D-Tabletten für Säuglinge auf einem Löffel in wenig Wasser oder Milch suspendieren und zerfal- len lassen, dann dem Kind verabrei- chen; nicht in die Flasche oder den Brei geben

unterscheiden: Randtropfer haben ein Loch in der Mitte und müssen schräg ge- halten werden. Bei Zentraltropfern gibt es neben der Austrittsöffnung noch ein Be- lüftungsrohr, sie sollten besser senkrecht gehalten werden. Manchmal muss man den Flaschenboden auch leicht antippen, damit der erste Tropfen fällt. Auch hier gilt: Die Lösung sollte dem Kind generell nicht direkt über den Tropfer in den Mund appliziert werden, sondern zunächst auf einem Löffel abgezählt und dann verab- reicht werden. Antibiotikasäfte sind bei Kindern eine häufig angewendete Arzneiform. Meist sind die Präparate als Trockensäfte im Handel, aus denen vor der Anwendung eine Lösung oder Suspension hergestellt werden muss. Doch bei Zubereitung und Dosierung passieren viele Fehler: Eine Stu- die zeigt, dass Eltern bei etwa jeder zwei- ten Zubereitung von Antibiotikasäften falsch mischen oder dosieren. In der Folge kann es zu Unter- oder Überdosierungen kommen. Häufige Fehler, die die Eltern in der Untersuchung machten, waren etwa, das Wasser nicht bis zur richtigen Markierung aufzufüllen, den Saft nicht genügend zu schütteln, sodass die Suspension klumpig blieb, und nicht lange genug bis zum Ab- setzen des Schaumes zu warten. 56 Pro- zent der Eltern schafften es außerdem an- schließend nicht, mit dem Dosierlöffel die richtige Menge Saft abzumessen, so dass das Antibiotikum schließlich unterdosiert wurde. Besser gelang das mit einer Do- sierpipette; hier wurde in 10 Prozent der Fälle eine falsche Dosis verabreicht. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass der Apo- theker die Eltern bei der Abgabe eines Tro- ckensaftes die Zubereitung und den rich- tigen Umgang mit der Applikationshilfe genau erklärt und bestenfalls sicherstellt, dass sie das Erklärte auch verstanden ha- ben. Der Apotheker kann auch anbieten, den Saft gleich in der Apotheke selbst oder gemeinsam mit Mutter oder Vater herzustellen (siehe Kasten). Antibiotikasaft

TROCKENSAFT RICHTIG ZUBEREITEN

wenigen Präparaten für Kinder enthalten. Ethanol wird vor allem bei pflanzlichen Säften oder Tropfen als Lösungs- und/ oder Konservierungsmittel eingesetzt. Bei pflanzlichen Mitteln, die einen Trocken- extrakt enthalten (zum Beispiel Prospan®, Umckaloabo® Saft für Kinder), wird Al- kohol lediglich als Lösungsmittel bei der Extraktherstellung verwendet, dann aber wieder verdampft. Das fertige Produkt weist keinen nennenswerten Alkoholge- halt mehr auf. Hersteller müssen ab einer Einzel- dosis von mindestens 0,05 g Alkohol auf der Umverpackung des Arzneimittels auf den Alkoholgehalt hinweisen. Zur Ver- deutlichung: Bei einem Hustensaft mit 5 Prozent Alkohol werden mit einer einzel- nen Kinderdosis von 2,5 ml 0,10 g Alko- hol aufgenommen. Das entspricht etwa der Alkoholmenge in 33 ml Apfelsaft. Die Deutsche Gesellschaft für Phytotherapie Gesellschaftweist darauf hin, dass Alkohol in kleinen Mengen auch in vielen alltägli- chen Lebensmitteln enthalten ist, die auch Kinder zu sich nehmen. 100 g Bananen und 100 g Brot etwa enthalten jeweils bis zu 0,3 g Alkohol. Die Alkoholmengen in pflanzlichen Arzneimitteln liegen demzu- folge in ähnlichen Größenordnungen oder Die wichtigsten Zubereitungsschrit- te: Zunächst das Pulver in der Flasche aufschütteln, dann etwa ein Drittel oder die Hälfte der benötigten Men- ge Wasser (frisches Leitungswasser) zugeben. Kräftig schütteln und war- ten, bis sich der Schaum abgesetzt hat, anschließend die nächste Portion Wasser zugeben, bis die vorgegebe- ne Markierung erreicht ist. Wichtig ist der Hinweis auf die Lagerung des entsprechenden Präparats: Die ge- brauchsfertige Suspension muss in der Regel im Kühlschrank aufbewahrt werden. Vor jeder Anwendung sollte die Flasche gut geschüttelt werden. Der fertig zubereitete Saft ist begrenzt haltbar, das Datum der Zubereitung sollte der Apotheker beziehungsweise die Eltern nach der Herstellung auf der Flasche vermerken.

Alkohol in Kinderarzneimitteln

Generell ist Alkohol in Kinderarzneimit- teln nichts Ungewöhnliches und in nicht

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