Fortbildung aktuell [Das Journal] 2/2017

VERENA ARZBACH

Arzneimittel für Kinder Sichere Therapie für besondere Patienten

Kinder gehören hinsichtlich der Pharmakotherapie zu den gefähr- deten Patientengruppen. Sichere, wirksame Therapieempfehlungen lassen sich nicht allein aus Erfah- rungen bei erwachsenen Patienten ableiten, vor allem, weil sich der kindliche Stoffwechsel grundle- gend von dem Erwachsener unter- scheidet. Der Einsatz von Arznei- mitteln beim Kind erfordert daher eine strenge Nutzen-Risiko-Abwä- gung. Auch die richtige Dosierung und Anwendung spezieller Kinder- arzneimittel sind Herausforderun- gen. Die europäische Arzneimittelagentur EMA unterscheidet allgemein fünf ver- schiedene Altersgruppen bei Kindern und Jugendlichen: Frühgeborene (bis zur 36. Schwangerschaftswoche), Neugeborene (0 - 27 Lebenstage), Säuglinge und Klein- kinder (28 Tage bis 23 Monate), Kinder (2 bis 11 Jahre) und Jugendliche (12 bis 17 Jahre). Die einzelnen Organe wachsen in den verschiedenen Phasen unterschied- lich schnell und müssen sich im Laufe der Zeit immer wieder neu aufeinander ein- stellen. Je nach Lebensalter reagiert der Körper also unterschiedlich auf die Gabe von Arzneimitteln. Bei der Therapie von Kindern gilt es daher, die klinisch-pharma- kologischen Besonderheiten ihres Lebens- alters zu berücksichtigen, die die Pharma- kokinetik und -dynamik eines Arzneistoffs und damit seine Wirkung beeinflussen. Der Magensaft von Neugeborenen ist mit einem pH-Wert von 4 noch deutlich weniger sauer als bei Erwachsenen. Die Magen-Darm-Motilität ist verzögert, es wird weniger Gallenflüssigkeit produziert und der Darm ist noch nicht vollständig von Bakterien besiedelt. Das beeinflusst die Resorption von oral verabreichten Arz- neistoffen und ihre Bioverfügbarkeit. Die herabgesetzte Azidität des Magens führt etwa zu einer verminderten Resorption Resorption

Verena Arzbach (Frankfurt am Main) studierte Pharmazie in Bonn und volontierte bei der Pharmazeutischen Zeitung. Seit April 2013 ist sie als Redakteurin der Pharmazeuti- schen Zeitung und des PTA-Forums tätig.

Verena Arzbach

BERECHNUNG DER DOSIS: Dosis Kind = Dosis Erwachsener

x Oberfläche des Kindes/1,73 m 2

Körperwasseranteil erhöht (und nimmt bis zum Alter von fünf Jahren stetig ab) und damit auch das Extrazellulärvolu- men. Arzneistoffe, die sich vorwiegend im Extrazellulärraum verteilen, z. B. viele Antibiotika, müssen daher bei Früh- und Neugeborenen sowie kleinen Kindern re- lativ höher dosiert werden als bei Erwach- senen. Umgekehrt sind Substanzen mit vorwiegender Verteilung im Fettgewebe aufgrund des geringeren Anteils niedriger zu dosieren (z. B. Diazepam). 1 Ist die Veränderung dieser Vertei- lungsräume die einzige altersabhängige Variable, kann zur Dosiskalkulation die sogenannte Oberflächenregel der Dosie- rung herangezogen werden. Diese basiert auf der nahezu linearen Beziehung zwi- schen der Körperoberfläche und dem ex- trazellulären Flüssigkeitsvolumen. Daraus folgt, dass Kinder im Vergleich zu Erwachsenen eine umso höhere auf kg Körpergewicht bezogene Dosis benötigen, je jünger sie sind (Tabelle 1). Die Formel gilt allerdings nicht bei adipösen Kindern sowie Säuglingen im ersten Trimenon. 2 In der Praxis ist häufig auch die Plas- maeiweißbindung ein wichtiger Faktor, der berücksichtigt werden muss. Bei Kin- dern ist die Plasmaeiweißbindung verrin- gert: Das führt dazu, dass bei Substanzen

von sauren und fettlöslichen Substanzen. Aufgrund der verzögerten Magenentlee- rung bleiben die Substanzen allerdings länger im Magen, die Resorptionsphase dauert länger an. Organbarrieren wie die Blut-Hirn- Schranke sind bei Früh- und Neugebore- nen noch nicht vollständig ausgebildet und daher durchlässiger als bei Erwach- senen. Viele Wirkstoffe gelangen somit in verstärktem Ausmaß ins Zentralner- vensystem. Die Resorption von Arznei- stoffen über die Haut kann aufgrund ih- res hohen Wassergehalts und niedrigen Kollagengehalts und der relativ größeren Hautoberfläche ebenfalls ausgeprägter sein als bei Erwachsenen. Grund dafür ist ein dünneres Stratum corneum sowie die im Verhältnis zum Körpergewicht größere Körperoberfläche. Beispielsweise Steroide, aber auch potenziell toxische Substanzen wie Salicylate oder Alkohol, werden leich- ter perkutan aufgenommen.

Verteilung

Während der Entwicklung verändert sich auch die Körperzusammensetzung, was Auswirkungen auf den Konzentrations- verlauf des Wirkstoffs im Blut und am Wirkort hat. Bei kleinen Kindern ist der

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