Mitteilungsblatt 4/2022, 10. November 2022

EDITORIAL

Editorial

Nach dem Spargesetz, vor der Strukturreform

Gabriele Regina Overwiening Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe E-Mail: praesidium@akwl.de

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

allen Protesten, Gesprächen, vor allem aber allen Fakten und Ar gumenten zum Trotze hat die Ampelkoalition am 20. Oktober in zweiter und dritter Lesung das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz verabschiedet. Auf 17Milliarden summiert sich das für 2023 pro gnostizierte Finanzloch der Gesetzlichen Krankenversicherung. Daher müssen alle ihren Beitrag leisten; die Versicherten durch erhöhte Zusatzbeiträge, die Leistungserbringer durch Ausga benkürzungen. Und 120 Millionen Einsparungen pro Jahr, für die Apotheke n befristet auf die Jahre 2023 und 2024, seien in diesem Kontext doch ebenfalls maßvoll und verträglich. So oder ähnlich argumentierten in den vergangenen Wochen Gesundheitsminister Karl Lauterbach und die Vertreter*innen der in der Ampel-Koalition vertretenden Fraktionen von SPD, Grünen und FDP. Um es kurz auf den Punkt zu bewerten: Wenn dieses Gesetz im Bundesgesetzblatt veröffentlich wird, müsste es um einen Beipackzettel mit den Risiken und Nebenwirkungen ergänzt werden. Darauf stünde dann unter anderem, dass die ses ungerechte und ungerechtfertigte Spargesetz nicht nur die 18.000 Apotheken-Teams in unserem Lande nach zweieinhalb Jahren Pandemie-Einsatz bis an die Grenze und darüber hinaus demotiviert, frustriert und maßlos verärgert, sondern auch, dass es die bisher so vorzüglich wohnortnahe Arzneimittelversor gung in Deutschland gefährdet. Bereits vor Inkrafttreten des Spargesetzes belasten die ho hen Kostensteigerungen im Gesundheitswesen unsere Apo theken. Wir stehen, wie viele kleine und mittelständische Un ternehmen in anderen Bereichen, vor der Mammut-Aufgabe, die gestiegenen Sach-, Personal- und Energie- sowie Inflations kosten zu bewältigen, die zu einer massiven Bedrohung für den Geschäftsbetrieb werden. Die (in der Sache gerechtfertigten) Tariflohnvereinbarungen für Apothekenangestellte sahen be reits für dieses Jahr eine Lohnanhebung um etwa 7,7 Prozent vor. Die Personalausgaben in einer durchschnittlichen Apothe ke nehmen dadurch um 23.000 Euro zu. Zum 1. Januar 2023 steigen die Vergütungen um weitere drei Prozent. Sowohl die Erhöhung des GKV-Zusatzbeitrages als auch die erwartbare

Anhebung der Beitragsbemessungsgrenzen zur Sozialversiche rung ab 2023 führen zu weiteren Personalnebenkosten für die Apothekeninhaber*innen. Die aktuelle gesetzliche Mindestlohn Anpassung auf 12 Euro wird sich mittelbar auch auf die Kosten struktur entlang der gesamtenWertschöpfungskette auswirken. Die anhaltende Inflation führt ebenfalls zu einer drastischen Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation. Unsere Vergü tung ist seit zehn Jahren eingefroren, während die Kosten stei gen: Zum 1. Januar 2013 wurde der Fixzuschlag für verschrei bungspflichtige Arzneimittel von 8,10 Euro auf 8,35 Euro erhöht und seitdem nicht mehr angepasst. In diesem Kontext bedeu tet die starke Inflation eine erhebliche Absenkung der realen Vergütung. Die Energiekosten der Apotheken sind bereits in den vergan genen Monaten merklich angestiegen. Die von der Politik disku tierten Energiekostenzuschüsse konzentrieren sich jedoch auf den stationären Bereich – der ambulante Sektor, zu dem die Apotheken gehören, bleibt außen vor. Vor dem Hintergrund dieser Kostenentwicklung brauchen Apotheken kein Spargesetz, sondern Unterstützung. Daher muss das anstehende Strukturgesetz ein echtes Apothekenstär kungsgesetz werden. Wir brauchen Entlastung statt weiterer Einschnitte. Wir brauchen eine faire, an der Kostenentwicklung orientierte Vergütungsanpassung statt Stillstand. Wir brauchen Planungssicherheit statt kurzfristiger Eingriffe ins System. Wir brauchen Entbürokratisierung anstelle immer neuer aufwändi ger Regelwerke, damit wir unsere Zeit dort investieren können, wo sie am nötigsten gebraucht wird: in der Patientinnen- und Patientenversorgung. Davon müssen wir gemeinsam alle poli tischen Entscheider auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene überzeugen!

Mit freundlichen, kollegialen Grüßen

AKWL Mitteilungs blatt 04-2022 / 3

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