Mitteilungsblatt 1/2020, 6. Februar 2020

RATGEBER APOTHEKENPRAXIS

Antibiotic Stewardship im Pflegeheim Ein Schulungsprogramm für Pflegekräfte

> Hinter dem Begriff „Antibiotic Stewardship“ (ABS) verbirgt sich ein Maßnahmenpaket, mit dessen Hilfe angesichts der weltweiten Zunahme multiresistenter Keime der rationale Einsatz von Antibioti- ka gefördert werden soll, damit diese als lebensrettende Arznei- mittel erhalten bleiben. Durch die 2013 erschienene S3-Leitlinie „Strategien zur Sicherung rationaler An- tibiotika-Anwendung im Krankenhaus“ ist der Einsatz eines sogenannten ABS- Teams in Kliniken praktisch verpflichtend und in vielen Häusern bereits etabliert. Das ABS-Team besteht in der Regel aus einem Infektiologen bzw. einem in An- tibiotic Stewardship weitergebildeten Facharzt, einem Krankenhausapotheker, einem Mikrobiologen und einem Kran- kenhaushygieniker, die gemeinsam Maß- nahmen zur Optimierung des Antibio- tika-Einsatzes in der Klinik treffen. Hierzu gehören zum Beispiel • regelmäßige Visiten, bei denen die Behandlungsoptionen infektiologisch auffälliger Patienten im interprofessi- onellen Team besprochen werden, • die Erstellung lokaler Leitlinien, • die Erhebung von Verbrauchsdaten, • Abgabebeschränkungen für Reserve- antibiotika („Sonderrezepte“) • und nicht zuletzt die kontinuier- liche Fortbildung aller beteiligten Berufsgruppen. Im ambulanten Sektor, auf den immer- hin 80 Prozent des Antibiotikaverbrauchs in Deutschland entfallen, sind derartige Maßnahmen in vielen Bereichen noch Zukunftsmusik. Supervisionen durch konsiliarisch tätige ABS-Experten sind in den Praxisalltag kaum zu integrieren, und auch Abgaberestriktionen für Reser- veantibiotika sind im niedergelassenen Bereich nicht umsetzbar. In Bezug auf die Erstellung lokaler Leitlinien gibt es je- doch erste richtungsweisende Projekte: So hat sich in Bielefeld die Initiative An- TiB (Antibiotische Therapie in Bielefeld)

Gerade Pflegeheimbewohner/-innen sind besonders anfällig für Infektionen. 70 Prozent von ihnen erhalten mindestens ein Antibiotikum pro Jahr. Foto: ©Halfpoint - stock.adobe.com

USA wird seit 2015 auch für Pflegeheime empfohlen, ABS-Maßnahmen in der Ein- richtung zu etablieren [2,4]. Aus infektiologischer Sicht stellen Pfle- geheimbewohner ein besonders vulnerab- les Kollektiv dar. So sind ältere Menschen aus verschiedenen Gründen anfälliger für Infektionen als jüngere: Die Immunkom- petenz nimmt mit zunehmendem Alter ab, körperliche Funktionen wie Schluck- und Hustenreflex oder die Wundheilung sind teilweise eingeschränkt. Hinzu kom- menmeist verschiedene Grunderkrankun- gen, die Einnahme immunsupprimieren- der Arzneimittel sowie das Vorhandensein von Fremdkörpern wie Blasenkathetern, Endoprothesen und venösen Zugängen. Durch das Zusammenleben vieler Men- schen auf engem Raum, die Benutzung von Gemeinschaftstoiletten, gemeinsame Mahlzeiten und eine nicht immer opti- male Basishygiene können sich Infektio- nen außerdem schnell ausbreiten.

gegründet, die bisher für die Fachberei- che Pädiatrie, Allgemeinmedizin, Gynäko- logie, Urologie und HNO Empfehlungen zur ambulanten Behandlung häufiger In- fektionskrankheiten herausgegeben hat. Die entsprechenden Dokumente sind auf der Homepage des Fachbereichs Gesund- heitswissenschaften der Universität Bie- lefeld unter www.antib.de frei verfügbar. Ein Bereich, der bisher beim Thema „Antibiotic Stewardship“ in Deutschland kaum Beachtung gefunden hat, ist die Antibiotikatherapie in Langzeitpflegeein- richtungen. Angesichts der Tatsache, dass hierzulande über 800.000 Menschen in Pflegeheimen leben [1], wären Strategien zum rationalen Antibiotikaeinsatz drin- gend erforderlich, zumal nach internatio- nalen Studien 70 Prozent der Pflegeheim- bewohner mindestens ein Antibiotikum pro Jahr erhalten [2] und Schätzungen zu- folge 40 bis 75 Prozent dieser Antibiotika- verordnungen inadäquat sind [3]. In den

12 / AKWL Mitteilungs blatt 01-2020

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