Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 4/2021

DR. ZÜNDORF / PROF. DR. DINGERMANN

Lebendimpfstoffe in der Regel kontraindi- ziert. Zur Auswirkung von Immunsuppres- siva auf eine Impfung mit Tot- und Toxo- id-Impfstoffen sollte man die jeweiligen Fachinformationen zurate ziehen.

deutlich für die gute Verträglichkeit der Impfstoffe spricht.

nach Verabreichung der oralen Poliovak- zine (OPV) auftritt. Das ist zwar ein sehr seltenes Ereignis, wenn aber weltweit Mil- liarden Menschen geimpft werden, sind diese Fälle doch relevant. In Deutschland hat das Auftreten von jährlich ein bis zwei VAPP-Fällen nach einer OPV-Impfung dazu geführt, dass 1998 die Schluckimpfung durch die Immunisierung mit inaktivier- ten Polioviren ersetzt wurde. 8 Weltweit wird jedoch im Rahmen des Polio-Eradi- kationsprogramms der Weltgesundheits- organisation (WHO) nach wie vor häufig die OPV angewendet. Das führt dazu, dass neben Wild-Polioviren (WPV) auch Erkran- kungsfälle infolge von zirkulierenden Po- lioviren auftreten, die aus dem Impfstoff stammen (circulating vaccine-derived poliovirus, cVDPV). Von den ursprünglich drei Virustypen, die eine Poliomyelitis aus- lösen können, sind die Wildviren Typen 2 und 3 weltweit ausgerottet. Allerdings finden sich in verschiedenen Ländern in Umweltproben oder auch Erkrankungsfäl- len immer wieder cVDPV der Typen 1 und 2. 9 Da der MMR-Impfstoff abgeschwächte Lebendviren enthält, werden bei zirka 5 % der Impflinge Lokalreaktionen innerhalb von einem bis drei Tagen nach Impfung und bei zirka 2 % der Impflinge systemi- sche Reaktionen fünf bis 14 Tage nach Impfung im Sinne einer leichten Immun- reaktion auf den Impfstoff beobachtet. Die subakute sklerosierende Panenze- phalitis (SSPE) verursacht eine generali- sierte Enzephalitis, die zum Teil erst Jahre nach der eigentlichen Maserninfektion schwerste irreversible Schäden mit leta- lem Ausgang zur Folge hat. Eine SSPE wur- de auch als Nebenwirkung einer MMR- Impfung diskutiert. Belege dafür wurden nie gefunden. In den 1980er- und 1990er-Jahren wur- de in den USA eine Reihe ergebnisloser Prozesse gegen MMR-Impfstoffhersteller geführt, in denen dem MMR-Impfstoff die Ursache für körperliche und kognitive Entwicklungsstörungen bis hin zu Autis- mus bei Kindern angelastet wurde. Auch hier wurden nie eindeutige Belege für eine solche Impfkomplikation gefunden. Seit Einführung in den 1970er-Jahren wurden über 500 Millionen MMR-Impfun- gen in über 60 Ländern durchgeführt, was MMR-Impfung

Wechselwirkungen von Impfstoffen mit anderen Arzneimitteln

Wechselwirkungen von Impfstoffen mit anderen Arzneimitteln sind in der Regel vernachlässigbar, wenn sie denn über- haupt existieren. Allerdings sollte man überlegen, ob nicht ein als Nebenwirkung wahrgenom- menes Empfinden als natürliche Reaktion auf eine Impfung zu werten ist. Unpäss- lichkeiten wie Müdigkeit, Kopf- und Ge- lenkschmerzen, Schüttelfrost und Fieber oder auch Rötungen und Schmerzen an der Einstichstelle sind Reaktionen des un- spezifischen Immunsystems auf die Imp- fung. Sie werden zwar als Nebenwirkung empfunden und auch gemeldet, sind aber ein Zeichen für das Ansprechen auf die Impfung. In der Regel klingen diese Sym- ptome nach ein bis zwei Tagen wieder ab. Man kann diese unangenehmen Reak- tionen auf eine Impfung mit NSAR lindern. Allerdings sollte ein NSAR nicht prophylak- tisch und nur bei Auftreten stark stören- der Reaktionen eingenommen werden. Natürlich können Immunsuppressiva die Wirksamkeit von Impfstoffen mas- siv stören. Für Patientinnen und Patien- ten, die unter einer immunsuppressi- ven Therapie stehen, sind, wie erwähnt,

REFERENZEN & LITERATUR

1 https://www.who.int/health-topics/vaccines- and-immunization#tab=tab_1 2 https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Imp- fen/Nebenwirkungen/nebenwirkungen_node. html;jsessionid=D9B5BC25F85FC06B7FF547355 F3DFD90.internet101 3 https://mobil.bfr.bund.de/cm/343/probleme_ und_aktueller_stand_bei_der_erfassung_von_ impfkomplikationen.pdf 4 Petousis-Harris, H.: Vaccine injection technique and reactogenicity – Evidence for practice. Vaccine 26 (2008) 6299–6304 5 Weißer, K., Barth, I., Keller-Stanislawski, B.: Si- cherheit von Impfstoffen. Bundesgesundheitsbl. 52 (2009), 1053–1064 6 Oberle, D., Mentzer, D., Rocha, F., et al.: Impfkomplikationen und der Umgang mit Ver- dachtsfällen. Bundesgesundheitsbl. 62 (2019), 450–461 7 Nachamkin, I., et al.: Anti-ganglioside antibody induction by swine (A/NJ/1976/N1H1) and other influenza vaccines: insite into vaccine- associated Guillain-Barre syndrome. J Infect Dis 198 (2008), 226–233 8 RKI-Ratgeber Poliomyelitis https://www.rki.de/ DE/Content/Infekt/EpidBull/Merkblaetter/Rat- geber_Poliomyelitis.html;jsessionid=FEAC3EF1C F7C4E0EC009CF84011039BD.internet122 9 https://polioeradication.org/polio-today/polio- now/this-week/

KURZZUSAMMENFASSUNG Impfungen sind nach wie vor extrem effiziente pharmazeutische Interventionen, allerdings treten auch Nebenwirkungen auf, die meist durch die Reaktion des Immunsystems auf den Impfstoff zu erklären sind. In Schweregrad und Häufig- keit lassen sich Impfreaktionen von Impfkomplikationen und Impfschäden un- terscheiden. Selbst die sehr seltenen Impfschäden rechtfertigen jedoch nicht, auf eine Impfung zu verzichten, die vor sehr viel schwerwiegenderen Erkrankungen schützt.

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