Mitteilungsblatt Nr. 4/2016 (11. November 2016)
EDITORIAL
Editorial
Vertrauen in die Vernunft der Politker
Gabriele Regina Overwiening Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe E-Mail: praesidium@akwl.de
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
„Vertrauen in die Vernunft der Richter“ habe ich mein letztes Editorial betitelt. Es war getragen von der Erwartung, dass die Richter in Luxemburg auch bei der Entscheidung über die Frage, ob die geltende Preisfindung für rezeptpflichtige Arzneimittel auch für ausländische Versandapotheken gilt, ihrer bisherigen Linie treu bleiben. Ungeachtet der generellen „Philosophie“, den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes zu fördern bzw. zu forcieren, galt bis zum 19. Oktober 2016 als mehr oder weniger ungeschriebenes Gesetz: Drastische Eingriffe der EU in die ein- zelstaatlichen Gesundheitswesen unterbleiben. Denn sie werden den historisch gewachsenen Systemen nicht gerecht und fördern im ungünstigen Fall nur antieuropäische Ressentiments. Genau diesen Schutzwall haben die Richter in Luxemburg jetzt aber zertrümmert: Sie haben die geltende Preisbindung für rezeptpflichtige Arzneimittel als nicht verbindlich für ausländi- sche Anbieter eingestuft. Damit hat der EuGH seine langjährige Rechtsprechung zum Wertungsspielraum der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) im Gesundheitswesen erstmals re- vidiert. Europas höchste Richter haben zugleich den eindeutigen Willen des deutschen Gesetzgebers ausgehebelt und die Ent- scheidungen der obersten deutschen Gerichte negiert. Damit hat der EuGH in ein Politikfeld eingegriffen, das ge- mäß den Europäischen Verträgen den Mitgliedsstaaten vorbe- halten ist. Es kann aus meiner Sicht nicht sein, dass ungezügelte Marktkräfte über den Verbraucherschutz im Gesundheitswesen triumphieren. Denn die geltende Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) dient dem Interessenausgleich aller Beteiligten: Den Patienten schützt sie davor, dass seine Notlage durch überhöhte Preise ausgenutzt wird. Feste Preise machen außerdem das Sach- leistungsprinzip der Krankenkassen erst wirklich möglich. Wer jetzt glaubt, dass er als Patient von Boni profitieren kann, springt
deutlich zu kurz. Der nächste Schritt sind Selektivverträge ein- zelner Krankenkassen mit einzelnen Versandapotheken, in de- nen diese Boni wieder abgeschöpft werden. Für eine flächende- ckende Arzneimittelversorgung der Bevölkerung durch ein Netz wohnortnaher Apotheken wäre dies der Super-Gau. Daher ist jetzt die deutsche Politik gefordert, wie ich schon am Tag des Urteilsspruchs verdeutlicht habe. Der Gesetzgeber muss schon aus eigenem Interesse seinen Handlungsspielraum wiederherstellen. Eine denkbare Lösung wäre ein Verbot des Ver- sandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln in Deutschland. Auch europarechtlich wäre das zulässig. Und: Es entspricht der gängigen Praxis in aktuell 21 von 28 Ländern der Europäischen Union. „Vertrauen in die Vernunft der Politiker“, lautet daher der Titel dieses Vorwortes. Die Gespräche der letzten Tage auf Bundes- wie auf Landesebene haben gezeigt, dass es in Deutschland ei- nen breiten Konsens bei roten und schwarzen, grünen und gelben Fraktionen dafür gibt, das deutsche System der wohnortnahen Arzneimittelversorgung zu bewahren. Den guten Gesprächen und Anträgen müssen in den nächsten Wochen jetzt gesetzge- berische Taten folgen. Wir alle erwarten Planungssicherheit, und es gibt keinen Grund, eine Entscheidung für ein R x -Versandhan- delsverbot auf die lange Bank zu schieben. Dafür werde ich mich, dafür wird sich der Vorstand dieser Apothekerkammer und dafür werden sich alle unsere ehrenamtlich engagierten Kolleginnen und Kollegen mit Hochdruck einsetzen.
Mit freundlichen, kollegialen Grüßen
AKWL Mitteilungs blatt 04-2016 / 3
Made with FlippingBook