Mitteilungsblatt 3/2022, 18. August 2022
EDITORIAL
Editorial
Ein Schlag ins Gesicht
Gabriele Regina Overwiening Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe E-Mail: praesidium@akwl.de
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
in der Hochphase der Pandemie waren wir Apothekerinnen und Apotheker noch gut genug, jeden Karren aus dem Dreck zu ziehen. Wo immer es Engpässe gab oder neue Aufgaben, die in Windeseile erledigt werden mussten, waren wir am Start: Beim Testen, in der Impfstofflogistik, beim Ausstellen digitaler Zertifi kate, bei der Beratung zu neu entwickelten Arzneimitteln, beim erweiterten Botendienst oder beim Impfen gegen Covid-19 selbst. Der Dank der Politik dafür fällt allerdings ernüchternd aus. Denn das nun im Entwurf vorgelegte GKV-Finanzstabilisierungs gesetz ist ein Schlag ins Gesicht des Berufsstandes. Mit dem Ra senmäher soll die Vergütung der Apotheken in den Jahren 2023 und 2024 um jeweils gut 120 Millionen Euro netto gekürzt wer den. In unseren Apotheken haben wir durch die Übernahme der unzähligen Sonderaufgaben entscheidend dazu beigetragen, Deutschland gut und sicher durch die Corona-Pandemie zu brin gen. Jetzt können, wollen und müssen wir uns endlich wieder unseren Kernaufgaben zuwenden, sollen aber durch rigide Spar maßnahmen bestraft werden. Die Maßnahme, die Minister Lauterbach ohne jedweden Ge sprächsaustausch mit uns, durchdrücken will, ist nicht nur phan tasielos, sondern setzt auch ausgerechnet an einem Punkt an, an dem es nichts mehr zu sparen gibt. Laut Arzneimittelpreis verordnung erhält die Apotheke pro verschreibungspflichtigem Arzneimittel 8,35 Euro als Fixbetrag. Dieser Betrag ist letztmalig zum 1. Januar 2013 (!) nach neun Jahren um gerade einmal 25 Cent angepasst worden – was schon damals unter der kumulier ten Inflationsrate lag. Im Unterschied zu anderen Versorgungs bereichen gab es für die Apotheken seit 2013 keine Anpassung der Vergütung in Anlehnung an die allgemeine Entwicklung des Preisniveaus oder der Lohnsumme. Von den 8,35 Euro muss die Apotheke schon heute den Krankenkassen einen gesetzlichen Abschlag von 1,77 Euro gewähren. Und dieser Abschlag soll jetzt auch noch auf zwei Euro erhöht werden. Mit der vielbeschworenen Hebung von Effizienzreserven im System hat eine solche Maßnahme rein gar nichts zu tun. Das
Arzneimittelversorgungssystem durch die 18.000 Apotheken vor Ort arbeitet hoch effizient. Sein Anteil an den Ausgaben der GKV ist seit Jahren rückläufig und liegt bei nur noch 1,9 Prozent. Zum Vergleich: Die Verwaltungsausgaben der GKV lagen 2021 bei 4,1 Prozent, also mehr als doppelt so hoch. Die Kürzungspläne der Regierung muten wie ein Taschen spielertrick an: Während auf der einen Seite endlich 150 Milli onen Euro jährlich für die überfällige Einführung pharmazeu tischer Dienstleistungen zur Verfügung gestellt werden, von denen den Apotheken nur ein kleiner Anteil als Ertrag verbleibt, sammelt die Politik auf der anderen Seite fast die gleiche Summe direkt wieder per Honorarkürzung ein. Dieses Vorgehen steht im krassen Gegensatz zu dem im Koalitionsvertrag beschworenen Vorhaben, die Apotheken vor Ort zu stärken und die pharmazeu tischen Dienstleistungen auszubauen. Wir alle leisten in den Apotheken vor Ort durch die eingefro rene Vergütung für Rx-Arzneimittel längst unfreiwillig einen er heblichen Solidarbeitrag für das System. Gleichzeitig galoppiert die Inflation und steigen die Gehälter der Angestellten in den Apotheken, gepaart mit einem sich immer weiter verschärfen den Personalmangel. Wenn hier die Schraube weiter angezogen wird, besteht die Gefahr, dass immer mehr Apotheken aufge ben. Damit gerät die flächendeckende Versorgung immer stär ker unter Druck. Und wenn der Bundesgesundheitsminister die Apotheken bei der Verkündung seiner ungerechten und unge rechtfertigten Sparpläne zugleich für ihre bisherigen Pandemie Leistungen und die neu eingeführten Pharmazeutischen Dienst leistungen lobt, zeigt das bloß die Absurdität des Ganzen.
Mit freundlichen, kollegialen Grüßen
AKWL Mitteilungs blatt 032022 / 3
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