Mitteilungsblatt 1/2022, 3. Februar 2022

EDITORIAL

Editorial

Von Extremen und „gesundemMittelmaß“

Gabriele Regina Overwiening Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe E-Mail: praesidium@akwl.de

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

nach fast zwei Jahren Corona-Pandemie habe ich mitunter den Eindruck, dass die Welt aus den Fugen gerät. Während sich um den Jahreswechsel eine vierte, durch die Omikron-Variante besonders rasant verbreitende, Pandemiewelle auf den Weg machte, erlebten und erleben wir zugleich in vielen Städten Mahnwachen und Kundgebungen derjenigen, die sich durch die Corona-Schutzmaßnahmen in ihren Freiheitsrechten einge- schränkt sehen. Es ist eine ziemlich krude Mischung aus Corona- Leugnern und sogenannten Querdenkern, denen meines Erach- tens viel zu viel Beachtung in den Medien geschenkt wird. Ich wünsche mir im neuen Jahr, dass dem „gesunden Mittel- maß“, demgesundenMenschenverstand könnte ich es auchnen- nen, mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu Teil wird. Der Sitz unserer Kammer beispielsweise, die Stadt Münster, konnte zum Jahresbeginn mit einer Impfquote von 91,5 Prozent aufwar- ten. Diese 91,5 Prozent geimpfter Menschen sind nicht diejeni- gen, die gerade unsere Freiheitsrechte beschränken. Sie haben vielmehr über fast zwei Jahre auf sehr vieles verzichtet: Auf per- sönliche Kontakte, auf Bildungsangebote in Präsenz, Familienfei- ern, kulturelle und sportliche Events, Urlaubs- und Erholungsrei- sen. Und viele von ihnen haben zugleich auch Unfassbares in der Pandemie geleistet: Im Besonderen gilt das für die handelnden Akteure im Gesundheitswesen. Pflegekräfte, Apotheker*innen, PTA und PKA, Ärztinnen und Ärzte, waren bis an die Belastungs- grenze und darüber hinaus im Einsatz. Aber auch in vielen wei- teren Lebensbereichen, sei es in Schulen und Kitas, im Einzelhan- del oder in öffentlichen Verwaltungen herrscht seit zwei Jahren nahezu ununterbrochen der Ausnahmezustand. Lassen Sie uns also wachsam sein, wenn unter dem Vorwand einer angeblichen Gefährdung von Grundrechten die Axt an ebendiese gelegt wird und damit ebenso unsere gemeinsamen Anstrengungen zur Bewältigung dieser Pandemie torpediert werden. Corona ist kein Schnupfen, der von allein verschwindet. Auch in den ersten Wochen dieses Jahres vermeldet das Robert- Koch-Institut nahezu Tag für Tag mehrere 100 Todesfälle. Seit Beginn der Pandemie sind an bzw. mit Corona nahezu 120.000

Bundesbürgerinnen und Bundesbürger verstorben. Das zeigt, wie gefährlich dieses Virus ist und wie gemeingefährlich es ist, das zu leugnen. Im neuen Jahr wird uns Apothekerinnen und Apothekern eine zusätzliche Aufgabe übertragen, die ein weiterer, ganz wichtiger Baustein zur Bewältigung der Pandemie ist: Nach erfolgter the- oretischer und praktischer Schulung werden bereits im Februar die ersten Apothekerinnen und Apotheker Corona-Schutzimp- fungen in ihren Apotheken vornehmen können. Wie heilberufliches Miteinander gelingen kann, haben Bun- desapothekerkammer und Bundesärztekammer auf einem ganz sicher nicht spannungsfreien Feld vorexerziert, indem sie sich, wie im Infektionsschutzgesetz vorgesehen, auf ein gemeinsa- mes Curriculum geeinigt haben. Wir haben Ihnen bereits un- mittelbar danach die ersten Seminarangebote unterbreitet. Die zügige Umsetzung und der Run auf die Seminare zeigen, dass die in diversen Online-Debatten vertretenen zwei Extremposi- tionen ebenfalls nicht der Lebenswirklichkeit entsprechen: Dort wurde das apothekerliche Impfen entweder kategorisch abge- lehnt oder aber das angebliche Scheitern bei der konkreten Um- setzung angeprangert. Für mich ist das ein zweites Beispiel da- für, dass wir uns mehr auf „Maß und Mitte“ fokussieren sollten. Schließlich hatte schon im Dezember eine berufsinterne Umfra- ge, an der sich binnen 72 Stunden 8.000 Apotheker*innen be- teiligten, ganz klar gezeigt: Es gibt bei der überwiegenden Zahl der Apothekerinnen und Apotheker großes Interesse an einer Beteiligung. Die vorgebrachten Gründe gegen das Impfen in der eigenen Apotheke entspringen reinem Pragmatismus: Mitunter fehlt es am Personal (siehe hierzu auch Seite 6 dieser Ausgabe) oder geeigneten Räumlichkeiten, mitunter ist das Impfangebot der Ärzteschaft am eigenen Standort völlig ausreichend.

Mit freundlichen, kollegialen Grüßen

AKWL Mitteilungs blatt 01-2022 / 3

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