Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 4/2019

DR. VERENA STAHL

einen konkreten Anlass gibt, weshalb sich der Kunde testen lassen möchte. Stellt sich dabei heraus, dass ein Risikokontakt erst vor Kurzem stattgefunden hat, ist ein Selbsttest aufgrund der großen diagnos- tischen Lücke nicht geeignet. Von großer Bedeutung ist aber an dieser Stelle, die entsprechende Person über die Möglich- keit einer Beratung zur Postexpositions- prophylaxe (PEP) aufzuklären, wenn der vermutete Kontakt mit HI-Viren weniger als 48 Stunden (seltenere Angabe weniger als 72 Stunden) zurückliegt. Die vierwö- chige antiretrovirale Therapie, bestehend aus drei Wirkstoffen, ist hochwirksam, um eine manifeste HIV-Infektion abzuwen- den. Die PEP ist dabei umso effektiver, je früher sie angewendet wird. Über die In- itiierung einer PEP entscheidet allerdings ein Arzt, der nach klaren Richtlinien die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Exposition abwägt und nur bei erheblichem HIV-Risi- ko eine PEP verordnet . Eine diesbezügliche Beratung ist bei nie- dergelassenen Fachärzten, PEP-Notfall- kliniken und HIV-Ambulanzen möglich. Die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. bietet eine Recherchefunktion an, mithilfe derer man nach Institutionen suchen kann, welche rund um die Uhr eine entsprechende Beratung durch erfahrene Ärzte leisten können (www.aidshilfe.de/adressen?f- type=11). Jedes Krankenhaus sollte zudem über die Möglichkeit verfügen, eine PEP vorläufig und notfallmäßig einzuleiten (initiale Dosis). Über die Fortführung der Prophylaxe entscheidet dann ein in der PEP-Verordnung erfahrener Arzt am Fol- getag. Liegt eine sichere oder sehr wahr- scheinliche HIV-Exposition vor, ist die PEP als Maßnahme der Sekundärprävention zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversi- cherung (GKV) erstattungsfähig. Die Durchführung einer PEP ist hinge- gen nicht indiziert, wenn • bei unbekanntem HIV-Status der In- dexperson keine Anhaltspunkte vor- liegen, die eine HIV-Infektion wahr- scheinlich erscheinen lassen, oder • die Indexperson zwar mit HIV infiziert ist, aber effektiv antiretroviral behan- delt wird (das heißt die HI-Viruslast unter der Nachweisgrenze liegt), oder PEP-Anlaufstellen

nachweisen beziehungsweise ausschlie- ßen können. Allerdings bezieht sich das Wort „schnell“ auf die Kürze der Zeit, in der der Test zu einem Ergebnis kommt, meist binnen einer halben Stunde. Als rein indirektes Nachweisverfahren weisen sie nur körpereigene Antikörper gegen HIV nach und keine weiteren HIV-Komponen- ten. Um dem individuell unterschiedli- chen Anstieg der Antikörperkonzentrati- onen gerecht zu werden, beträgt hier die diagnostische Lücke zwölf Wochen, also alles andere als „schnell“. Selbsttests können daher keine Aussage zum „tagesaktuellen“ HIV-Status geben, sondern lassen bei einem negativen Test­ ergebnis (bei einer angenommenen Sen- sitivität des Tests von 100 Prozent) nur den Rückschluss zu, dass der HIV-Status vor zwölf Wochen negativ war. Nach dem Ende einer Beziehung möchten manche Personen beispielsweise „Bilanz ziehen“ und entscheiden sich für einen HIV-Selbst- test (empfehlenswert sind ebenfalls Tests auf weitere sexuell übertragbare Erkran- kungen (STI)). Liegt das Beziehungsende mehr als zwölfWochen zurück und fanden in der Zwischenzeit keine Risikokontakte statt, so ist der momentane HIV-Status ebenfalls negativ. Für den Anwender stellt sich aber die Frage, ob er einen Selbsttest mit einer diagnostischen Lücke von zwölf Wochen durchführen möchte, oder einen Kombinationstest bei einem Arzt oder in einer Beratungsstelle bevorzugen würde, welcher eine verkürzte diagnostische Lü- cke von nur sechs Wochen aufweist. Mitunter möchten Personen einen Selbsttest durchführen, die vor wenigen Stunden beziehungsweise Tagen einem Infektionsrisiko ausgesetzt waren. Bei- spielsweise, weil Injektionsnadeln gemein- sam verwendet wurden oder weil beim Geschlechtsverkehr mit einem Partner, dessen HIV-Status unbekannt ist oder der HIV-positiv ist (und sich nicht unterhalb der Nachweisgrenze befindet), das Kon- dom gerissen ist oder gar kein Kondom verwendet wurde. Bei der Beratung zur Abgabe von Selbsttests in der Apotheke ist es daher wichtig herauszufinden, ob es Diagnostische Lücke beachten An PEP denken

Da in dieser Zeitspanne die HIV-Serologie zu HIV-positiv konvertiert, wird dies auch als Serokonversion bezeichnet. Da die Zeitdauer zwischen Infektion und Bildung und somit Nachweisbarkeit von Antikör- pern individuell variieren kann, erlauben die verfügbaren indirekten serologischen Tests keine zeitnahe Analyse unmittelbar nach der Infektion. Man spricht hierbei von einer diagnostischen Lücke, die es abzuwarten gilt. Sie konnte bei den Such- tests der sogenannten 4. Generation ver- kürzt werden, indem man den indirekten Erregernachweis mit dem Nachweis eines HIV-1-spezischen Antigens (p24-Antigen) kombinierte, welches sich im Kapsid des Virus befindet. Der Virusbestandteil ist nämlich schon früher, das heißt bereits zwei bis vier Wochen nach der Infektion nachweisbar, im weiteren Verlauf aber wiederum nicht mehr detektierbar. Bei manchen Personen kann daher der Such- test schon zu einem so frühen Zeitpunkt reagieren. Wurde mit dieser Nachweis- methode kein Antigen beziehungsweise Antikörper detektiert und lag der Risiko- kontakt mehr als sechs Wochen zurück, kann ein Infektionsausschluss erfolgen. Setzt man den Suchtest bereits zu einem früheren Zeitpunkt ein, kann ein negatives Ergebnis noch nicht als sicher negativ ge- wertet werden und könnte die untersuch- te Person in falscher Sicherheit wiegen. Reagiert der Suchtest hingegen, schließt sich ein hochspezifischer, sogenannter Bestätigungstest (Western-Blot-Test) an, auch um Probenverwechslungen auszu- schließen. Diese Zweistufendiagnostik beruht auf unterschiedlichen, sich ergän- zenden Prinzipien und ist erforderlich, um mögliche falsch positive Testergebnisse zu identifizieren, welche in der hohen Sen- sitivität (Nachweisrate) aber leicht einge- schränkten Spezifität (Treffsicherheit) des Suchtests begründet sind. Berichten zufolge können falsch positive Resultate bei bestimmten immunologischen Sti- muli wie Schistosomiasis (Bilharziose), systemischer Lupus erythematodes, Ma- laria oder einer Influenzaimpfung verein- zelt auftreten. Eine Kontrolle durch einen Bestätigungstest ist auch bei positivem Testresultat eines HIV-Selbsttests erfor- derlich. Sie zählen zu den sogenannten HIV-Schnelltests (Point-of-care-Tests). Ihr Name könnte suggerieren, dass sie zu ei- nem frühen Zeitpunkt eine HIV-Infektion

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