Fortbildung-aktuell-Das-Journal-Nr-2-2015-September-2015

Dr. Kathrin Lind

Allergien – ein Überblick

Allergien haben in den letzten Jahr- zehnten drastisch zugenommen, beson- ders in den westlichen Industrienationen sind sie inzwischen zu Volkskrankheiten geworden. Aber auch in den Entwick- lungs- und Schwellenländern steigen die Prävalenzen der allergischen Krankheits- bilder, wie Heuschnupfen, allergisches Asthma oder Neurodermitis an. 1 In Deutschland sind über 30 Prozent der Be- völkerung von Allergien betroffen, wo- bei Frauen deutlich häufiger unter min- destens einer Allergie leiden als Män- ner. 2 Unter Kindern und Jugendlichen zählen Allergien zu den häufigsten Ge- sundheitsproblemen. Ca. zwölf Prozent der Kinder sind Allergiker, bei fast jedem Fünften lassen sich Antikörper gegen All- ergene nachweisen. 3 1906 prägte der Wiener Kinderarzt Cle­ mens v. Pirquet den Begriff Allergie und definierte sie als lediglich „veränderte Fähigkeit des Körpers auf eine fremde Substanz zu reagieren“. 4 Heute versteht man darunter eine übermäßige Reakti­ on des Immunsystems auf einen an sich für den Organismus unschädlichen Stoff, dem Allergen. Welche Faktoren für die zunehmende Allergieneigung der Bevölkerung verant­ wortlich sind, ist nach wie vor nicht voll­ ständig erklärt. Letztlich verweist der ra­ sante Anstieg allergischer Erkrankungen darauf, dass die Lebensbedingungen ei­ ne entscheidende Rolle spielen. Eine The­ orie geht von der zunehmenden Hygiene als Mitverursacher aus. Der Mensch und seine Vorfahren sei über Jahrmillionen gewohnt in einer stärker keimbelasteten Umgebung zu leben und auch durch die Nahrung mehr Krankheitserreger aufzu­ Warum Allergien?

Als weitere Gründe spielen die zuneh­ mende Feinstaubbelastung, Tabakrauch und/oder einem schlechten Lüftungsver­ halten in den Wohnräumen und verän­ derte Ernährungsgewohnheiten eine Rol­ le. Schimmel, Milben und Pollen in der Wohnumgebung fördern ebenfalls Aller­ gien. 5 Auch der Klimawandel scheint für die deutliche Zunahme an Pollenallergien mit verantwortlich zu sein. Wärmere Tem­ peraturen lassen z. B. allergieauslösende Pflanzen (z. B. Ambrosia) in Breiten, in denen sie ursprünglich nicht vorkamen, wachsen. Die Erwärmung der Meere und Seen führt dazu, dass Pollen in höhere Atmosphärenschichten gelangen und so über weitere Strecken verbreitet werden. Ein weiterer Faktor ist die genetische Dis­ position. Sind beide Eltern Allergiker, ha­ ben die Kinder ein 60 prozentiges Risi­ ko ebenfalls eine Allergie zu entwickeln. Ist nur ein Elternteil allergisch veranlagt, liegt das Risiko lediglich bei 30 Prozent. Auch Stress kann als Co-Faktor die Aller­ gieneigung ungünstig beeinflussen. 5 Bis heute sind über 20.000 Allergene be­ kannt, die allerdings unterschiedlich stark Allergien auslösen. Unglücklicherweise gehören zu den potentesten Allergenen Substanzen aus der alltäglichen Umwelt. Am häufigsten werden Allergien durch Pollen, Lebensmittel, Hausstaubmilben, Schimmelpilze, Insektengifte, Nickel, La­ tex und bestimmte Inhaltsstoffe von Kos­ metika oder Haushaltschemikalien ausge­ löst. 6 Auch das Alter spielt eine Rolle: Während Säuglinge und Kleinkinder vornehmlich gegen tierische Nahrungsmittel allergisch reagieren, lösen mit fortschreitendem Al­ ter eher pflanzliche Stoffe und Pollen All­

nehmen, als es in den letzten Jahrzehnten zumindest in den Industrienationen Stan­ dard ist. Das Immunsystem sei „unterfor­ dert“ und überbewerte daher eigentlich harmlose Fremdstoffe. Dafür spricht, dass Kinder, die auf dem Bauernhof groß wer­ den, mit Geschwistern und/oder Haus­ tieren aufwachsen oder früh in Gemein­ schaftseinrichtungen kommen, tendenzi­ ell weniger Allergien ausbilden als Stadt­ kinder und/oder Kinder mit wenig Kon­ takt zu anderen Gleichaltrigen. 5 Dem ge­ genüber treten heute allerdings viel mehr Virusinfektionen auf als noch vor 100 Jah­ ren, und infolge von häufigeren und wei­ teren Reisen breiten sich vor allem frem­ de Virusstämme explosionsartig aus. 6 Dr. Kathrin Lind (Braunschweig) studierte in Braunschweig Pharmazie und promo­ vierte an der FU Berlin. Nach Tätigkeiten in unterschiedlichen Bereichen arbeitet sie nun in einer öffentlichen Apotheke in Niedersachsen. Sie ist Mitglied des Ausschusses für Öffentlichkeitsarbeit der Apothekerkammer Niedersachsen und als Fachautorin tätig.

Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 21 Fortbildung ktuell – Das Journal

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