Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2020
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[Da s Jou r na l ]
02 · 2020
Über Fehlermanagement, eine Patientin mit kardiovaskulärem Risiko und den Tausendsassa Hanf
Seite 5 Fehlermanagement in der Apotheke Seite 11 Medikationsanalyse aus der Praxis Seite 17 Hanf- und Cannabidiol-Produkte
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EDITORIAL
Editorial
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
vor Ihnen liegt die diesjährige erste Ausgabe unseres Fortbildungs- journals, die mit insgesamt drei Beiträgen erneut ein sehr breites The- menspektrum abdeckt. Damit bieten wir Ihnen gerade in Zeiten der Corona-Pandemie und dadurch abgesagten Präsenzveranstaltungen die Möglichkeit, sich weiterhin fortzubilden und durch erfolgreich absolvier- te Lernerfolgskontrollen Fortbildungspunkte zu sammeln. Carina John (Meerbusch) zeigt in ihrem Aufsatz auf, wie professionelles Fehlermanagement in der öffentlichen Apotheke funktionieren kann. Schließlich ist der Prozess der Arzneimittelversorgung komplex und feh- leranfällig – zudem sind oftmals unterschiedliche Akteure beteiligt. John erklärt, dass die öffentliche Apotheke innerhalb des Medikationsprozes- ses eine wichtige Sicherheitsbarriere darstellt, die es zu stärken und wei- ter auszubauen gilt. Dafür ist die Etablierung einer positiven Fehlerkultur sowie eines strukturierten Fehlermanagements die Grundvoraussetzung. Wie eine professionelle Medikationsanalyse aussehen kann, zeigt Ina Richling (Iserlohn) an einem Fall aus der Praxis: In ihrem Beitrag nimmt sie die Medikation einer 74-jährigen Patientin mit kardiovaskulärem Risi- ko unter die Lupe. Nach einer Bestandsaufnahme arbeitet sie Nebenwir- kungen und problematische Interaktionen der unterschiedlichen Arznei- mittel heraus. Am Ende des Tages steht die Erkenntnis, dass eine auf den ersten Blick plausibel erscheinende Medikation ihre Tücken im Detail hat und sich ein erhebliches Verbesserungspotential ergeben kann. In die aktuellen Erkenntnisse des „Tausendsassa Hanf“ taucht Dr. Helga Blasius (Remagen) in ihrem Aufsatz ein. Denn: Produkte aus Hanf, speziell solche mit dem nicht rauscherzeugenden Cannabinoid Cannabidiol, erle- ben derzeit einen regelrechten Hype. Der Markt ist unübersichtlich, die rechtliche Einordnung oft intransparent und zweifelhaft. Dieser Artikel vermittelt einen Überblick über den komplexen regulatorischen Rahmen für hanfhaltige Produkte, mit einem besonderen Fokus auf Cannabidiol.
Gabriele Regina Overwiening Präsidentin der Apotheker- kammer Westfalen-Lippe
Frank Dieckerhoff Vizepräsident der Apotheker- kammer Westfalen-Lippe
Impressum
„Fortbildung aktuell“ der Apothekerkammer Westfalen-Lippe erscheint zweimal jährlich als „Fortbildung aktuell – Themen & Termine“ und zweimal pro Jahr als „Fortbildung aktuell – Das Journal“ Herausgeber: Apothekerkammer Westfalen-Lippe Bismarckallee 25 · 48151 Münster Tel.: 0251 520050 · Fax: 0251 52005-69 E-Mail: info@akwl.de · Internet: www.akwl.de
Redaktion/Grafiken: Dr. Sylvia Prinz
Layout: Sebastian Sokolowski
Autoren dieser Ausgabe: Carina John, Ina Richling, Dr. Helga Blasius
Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen, Lernen und Punkten!
Titelfoto: Foto: ©aedkafl – stock.adobe.com
Mit freundlichen, kollegialen Grüßen
Der Bezugspreis für „Fortbildung aktuell – Themen & Termine“ und „Fortbildung aktuell – Das Jour- nal“ ist für die Mitglieder der Apothekerkammer Westfalen-Lippe im Kammerbeitrag enthalten.
Gabriele Regina Overwiening
Frank Dieckerhoff
Auflage: 8.100 Exemplare
Nachdruck – auch in Auszügen – nur mit schriftli- cher Genehmigung des Herausgebers. Gedruckt auf Papier aus 100 Prozent recycelten Fasern. Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Papier.
AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal / 3
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CARINA JOHN
Schritt für Schritt zu mehr Sicherheit Fehlermanagement in der Apotheke
Der Prozess der Arzneimittelversor- gung ist sehr komplex und hierdurch auch fehleranfällig. Von der Diagnose bis hin zumMonitoring wird der Pati- ent in seinemMedikationsprozess (Abb. 1) von verschiedenen Fachleu- ten, wie beispielsweise Ärzten und Apothekern begleitet. Je nachdem in welchem Umfeld sich der Patient be- wegt, sind ggf. noch weitere Perso- nen involviert, beispielsweise ver- schiedene Fachärzte und das Pflege- fachpersonal im Krankenhaus oder Seniorenheim. Nach Verlassen der Arztpraxis oder der Apotheke ist der Patient selbst für die korrekte Umset- zung seiner Therapie verantwortlich. Tagtäglich kommt es in der Arzneimit- telversorgung zu Medikationsfehlern. Diese können jeden Schritt des Medika- tionsprozesses betreffen und von jedem an diesem Prozess Beteiligten verursacht werden. Tabelle 1 bietet eine Übersicht zu möglichen Fehlerquellen mit entspre- chenden Beispielen. Generell bedeutet ein Medikationsfehler das Abweichen von dem für den Patienten optimalen Medi- kationsprozess, das zu einer grundsätzlich vermeidbaren Schädigung des Patienten führt oder führen könnte. Nicht immer ist das Auftreten eines Medikationsfehlers mit einem uner- wünschten Ereignis oder einemPatienten- schaden assoziiert. Man spricht dann von einem sogenannten „Beinahe-Schaden“. Tritt allerdings ein unerwünschtes Arz- neimittelereignis ein, so liegt häufig eine Verkettung von Fehlern im Medikations- prozess zugrunde. Eine klassische „Feh- lerkette“ manifestiert sich auch in folgen- dem Fall aus CIRS-NRW:
Carina John, PharmD., Meerbusch , arbeitet als Apotheke- rin bei der Apothekerkammer Nordrhein. Dort leitet sie die Abteilung AMTS und betreut schwerpunktmäßig die Pro- jekte ATHINA und CIRS.
Carina John
handele. Auf die Dosierung wurde nicht eingegangen und diese wurde bei der Ab- gabe auch nicht beachtet.
die Pflaster für seine Frau ab, da er sie auch medizinisch betreute. ImGespräch ging es nochmals umdie korrekte Anwendung der Pflaster, der Ehemann gab aber zu verste- hen, dass er sich genau damit auskenne, da es sich schon um eine Folgeverordnung
Was war das Ergebnis? Bei der
Rezeptkontrolle
fiel
die
ABBILDUNG 1: Medikationsprozess: Schritte und Schnittstellen .
Arztpraxis
Medikations- überprüfung
Diagnose
Indikations- stellung
Verordnung/ Information
Monitoring
Patient
Überbringung
Anwendung
Fall-Nr. 183121: Teilung von Fentanylpflaster
Medikations- überprüfung
Selbst- medikation
Apotheke
Information/ Abgabe
Was ist passiert? Fentanyl-Matrixpflaster 25 µg/h waren verordnet. Die Dosierung lautete „1,5 Pflaster alle drei Tage“. Der Ehemann holte
Grafik: nach PZ 18/2013
AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal / 5
FEHLERMANAGEMENT
TABELLE 1: Fehlermöglichkeiten imMedikationsprozess (nach 1 )
ungewöhnliche Dosierung auf. Auf tele- fonische Nachfrage bestätigte der Ehe- mann, der Arzt habe die Dosis erhöht und er habe seiner Frau zuvor dann auch 1,5 Pflaster aufgeklebt, d. h. ein Pflaster wur- de zerschnitten. Im Telefongespräch wur- de dem Ehemann geraten, das zerschnit- tene Pflaster zu entfernen und nochmals Rücksprache mit dem Arzt zu halten, der dann auch ein Fentanylpflaster 37,5 µg/h verordnete. Wo sehen Sie Gründe für dieses Ereignis und wie hätte es vermieden werden können? Bei der Abgabe hätte die Dosierung noch- mals überprüft werden müssen. In diesem Fall kam es an mehreren Stellen im Medikationsprozess zu einem Fehler. Zunächst ordnete der Arzt eine ungeeignete Dosierung von „1,5 Pflas- ter alle drei Tage“ an, die eine Teilung des wirkstoffhaltigen Pflasters erforderte. Im Jahr 2008 kam das Bundesinstitut für Arz- neimittel und Medizinprodukte (BfArM) im Rahmen einer arzneimittelrechtlichen Bewertung zu dem Schluss, dass eine Tei- lung von transdermalen therapeutischen Systemen aus Gründen der Anwendungs- sicherheit nicht akzeptabel ist. Die fal- sche Dosierungsanweisung fiel allerdings im Rahmen der inhaltlichen Prüfung der BEINAHE-SCHADEN (ENGL. „NEAR MISS“) Ein Fehler ohne Schaden, der zu einem Schaden hätte führen können. BEISPIEL Ein falsches Arzneimittel, das dem Pa- tienten in der Apotheke ausgehändigt wurde, kann durch einen Botendienst noch vor der Einnahme gegen das richtige Medikament ausgetauscht werden. Der Fehler erreicht den Pati- enten somit nicht. ANMERKUNG Häufig wird die falsche Bezeichnung „Beinahe-Fehler“ verwendet. Hierbei handelt es sich um eine Fehlüberset- zung des englischen Begriffes „near miss“.
Mögliche Fehlerquellen Beispiele für Fehler Diagnose · Fehldiagnose Indikationsstellung
· Nicht-Beachten von Leitlinien oder patientenindividueller Situation · Nicht-Beachten von Kontraindikationen · Nicht-Beachten von Interaktionen mit bestehender Medikation · Verordnung einer ungeeigneten Dosierung · Verordnung eines falschen Arzneimittels · Weiterverordnung eines akut anzuwendenden Arzneimittels · Verordnung der vorherigen Medikation ohne erneute Überprüfung · Unvollständige, fehlerhafte oder unverständliche Information des Patienten · Nicht-Einlösen des Rezeptes · Apothekenwechsel: Nicht-Erkennen von Interaktionen mit bestehender Medikation · Nicht-Erkennen von Kontraindikationen, Interaktionen oder ungeeigne- ten Dosierungen · Unvollständige, fehlerhafte oder unverständliche Information des Patienten · Abgabe eines falschen Arzneimittels · Empfehlung eines ungeeigneten Arzneimittels
Medikationsüberprüfung in der Arztpraxis Verordnung/Information
Überbringung
Selbstmedikation
Medikationsüberprüfung in der Apotheke
Information/Abgabe
Anwendung
· Unregelmäßige Einnahme · Unter-/Überdosierung · Nicht-Einhalten zeitlicher Abstände zum Essen · Zu selten · Keine Kontrolle des Therapieerfolgs · Keine Abfrage von Symptomen · Keine Nachfrage nach korrekter Anwendung
Monitoring
Fall-Nr. 200035: Dosierung von Phenobarbital
Verordnung in der Apotheke nicht auf, da diese nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Eine ausführlichere Beratung wur- de seitens des Angehörigen der Patientin offensichtlich nicht gewünscht. Mögli- cherweise wäre der Dosierfehler hierbei aufgefallen. Alle Beteiligten imMedikationsprozess können Fehler machen, aber jeder einzel- ne hat auch die Chance, Fehler aufzude- cken und abzufangen. Damit kann jeder Beteiligte eine wichtige Sicherheitsbarrie- re sein, die den Patienten vor einem Scha- den bewahrt. Eine wichtige Sicherheitsbarriere im Me- dikationsprozess stellt die Apotheke dar – hier wird häufig ein letztes Mal die Me- dikation des Patienten überprüft, hier kön- nen auch Medikationsfehler abgefangen werden, die in der Arztpraxis oder durch den Patienten entstehen. Die wichtige Funktion der Apotheke als Sicherheitsbar- riere wird im folgenden Fall aus CIRS-NRW deutlich: Die Apotheke als wichtige Sicherheitsbarriere
Was ist passiert? Für einen drei Monate alten Säugling wurden Luminal® Tabletten (100 mg Phenobarbital) verordnet. Empfohlener Dosisbereich initial 3 bis 6 mg/kg pro Tag (hier 18 bis 36 mg). Die Nachfrage bei der Ärztin zur Dosierung ergab, dass morgens 1 und abends 1,5 Tabletten gegeben wer- den sollten. Die Bedenken einer Überdo- sierung wurden damit abgetan, dass das Kind ja in der Klinik auf die Dosis einge- stellt wurde. Bei der Nachfrage in der Kli- nik stellte sich heraus, dass Luminaletten® (15 mg Phenobarbital) hätten verordnet werden müssen - dann ergeben sich bei der Tablettenanzahl 15 mg morgens und 22,5 mg abends. Das Kind erhielt dann die richtige Stärke. Was war das Ergebnis? Kind wurde vor einer schweren Überdosie- rung bewahrt. Wo sehen Sie Gründe für dieses Ereignis? Mehrere Gründe führten zu dem Ereignis. Einerseits kam es zu einer Verwechslung
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CARINA JOHN
aufgrund ähnlicher Namen der verschie- denen Wirkstärken, Luminal® versus Lu- minaletten®, andererseits ergab sich eine fehlerhafte Kommunikation, da über die Tablettenanzahl anstatt über die Milli- gramm-Angabe gesprochen wurde. In diesem Fall hat die „Sicherheitsbarri- ere Apotheke“ funktioniert. Diese Barriere gilt es zu stärken und weiter auszubauen. Hierzu bedarf es der Achtsamkeit und des Engagements eines jeden Mitarbeiters, es erfordert einen offenen und konstrukti- ven Umgang mit Fehlern und es braucht effektive Maßnahmen zur Fehlerpräventi- on. Jede Apotheke, die Schritt für Schritt den Weg hin zu einer positiven Fehlerkul- tur und einem effizienten Fehlermanage- ment beschreitet, kann zu einer Verbesse- rung der Patientensicherheit beitragen. Schritt 1: Sensibilisierung Sensibilisierung und Bewusstmachung erleichtern das Erkennen von Fehlern. Im Rahmen der interprofessionellen Zusam- menarbeit tragen gegenseitige Kenntnis- se der organisatorischen Strukturen und das Wissen über mögliche Fehlerquellen, insbesondere an Schnittstellen, zur Sensi- bilisierung bei. Der Effekt wird verstärkt, wenn mög- liche Fehlerquellen mit konkreten Beispie- len untermauert sind. Denn diese schaf- fen das Bewusstsein, „Das könnte genauso auch bei uns passieren“. Eine Fülle dieser Beispiele findet sich im Berichts- und Lernsystem CIRS-NRW. Medikationsfehler, kritische Ereignisse und Beinahe-Schäden können hier anonym und sanktionsfrei gemeldet werden. Die Entstehung und das Prinzip der „Critical Incident Reporting Systeme“ (CIRS) wurde bereits ausführlich im Bei- trag „Mehr Arzneimitteltherapiesicher- heit in der Apotheke-Fehlerberichts- und Lernsystem CIRS-Pharmazie NRW“ (AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal Nr. 2/2017) vorgestellt. Kurz gesagt, verbirgt sich hinter „CIRS“ der Kerngedanke, dass Fehler auch Chancen bieten. Denn die Fallberichte sensibilisieren nicht nur für vermeidbare Fehler, durch ihre systematische Analyse werden auch wertvolle Erkenntnisse er- zielt, die wiederum zur Entwicklung von Schritt für Schritt zu mehr Sicherheit
CIRS-NRW steht für „Critical-Incident-Reporting-System Nordrhein-Westfalen“. Es handelt sich um ein internetgestütztes Berichts- und Lernsystem zur anonymen Mel- dung von kritischen Ereignissen in der Patientenversorgung. CIRS-NRW soll dazu bei- tragen, dass über kritische Ereignisse offen gesprochen und aus ihnen gelernt wird. Somit sollen Wege zur Vermeidung von Risiken diskutiert und Lösungsstrategien er- arbeitet werden. Die Apothekerkammern Nordrhein und Westfalen-Lippe, die über drei Jahre das Berichts- und Lernsystem CIRS-Pharmazie NRW geführt haben, sind dem Netzwerk CIRS-NRW im September 2019 vollumfänglich beigetreten. Die Professionen Arzt und Apotheker treffen insbesondere im Bereich des Medikati- onsprozesses aufeinander. Die beidseitige Sensibilisierung für Medikationsfehler so- wie die gegenseitige Kenntnis der organisatorischen Strukturen in Arztpraxis und Apotheke tragen zur Erhöhung der Arzneimitteltherapiesicherheit bei. Das sektoren- übergreifende Berichts- und Lernsystem CIRS-NRW ist in Deutschland einzigartig, da es sich multiprofessionell an alle im Gesundheitswesen Tätigen richtet. Kritische Er- eignisse aus der Apotheke können unter www.cirsmedical.de/nrw berichtet und gele- sen werden.
2018 werden apothekenrelevante Me- dikationsfehler und kritische Ereig- nisse sowie entsprechende Maßnah- men zur Fehlerprävention ausführlich vorgestellt. • Das Fehlermanagement in der Apo- theke ist ebenfalls Thema der seitens der Apothekerkammern Westfalen- Lippe und Nordrhein angebotenen Webinare. Schritt 2: „Speaking up“ Der Apotheker hat im zuvor beschriebe- nen Fall „Dosierung von Phenobarbital“ nur einen Schaden von dem Säugling ab- halten können, weil er seine Bedenken ge- äußert hat. Zunächst hielt er Rücksprache mit dem verordnenden Arzt und als dieser die Bedenken nicht ernstnahm, kontak- tierte der Apotheker zusätzlich noch das Krankenhaus. Grundsätzlich ist der Apotheker dazu verpflichtet, Unklarheiten in Bezug auf die ärztliche Verordnung vor der Abgabe ei- nes Arzneimittels auszuräumen. Die Apo- thekenbetriebsordnung schreibt in § 17 Absatz 5 vor: „Enthält eine Verschreibung einen für den Abgebenden erkennbaren Irrtum, ist sie nicht lesbar oder ergeben sich sonstige Bedenken, so darf das Arz- neimittel nicht abgegeben werden, bevor
Lösungsstrategien und Einleitung von prä- ventiven Maßnahmen beitragen. „Fehler erkannt, Gefahr gebannt“ ist offensichtlich zu kurz gegriffen, um die Patientensicherheit zu gewährleisten. Hierzu sind weitere Schritte erforderlich. Welche Neuigkeiten spreche ich bei der nächsten Dienstversammlung an? • Seit September 2019 sind die Apothe- kerkammern Westfalen-Lippe und Nordrhein Partner des sektorenüber- greifenden Berichts- und Lernsystems CIRS-NRW. • Unter https://www.cirsmedical.de/ nrw können Apothekenmitarbeiter Fehler und Beinahe-Schäden selbst melden und darüber hinaus fachkom- mentierte Berichte von anderen im Gesundheitswesen Tätigen lesen. • Bei jeder Dienstversammlung kann ein Fehler aus der eigenen Apotheke oder ein Fall aus CIRS-NRW vorgestellt werden. Gemeinsammit dem Apo- thekenteam kann überlegt werden: „Könnte das bei uns auch passieren?“ und „Wie ließe sich ein solcher Fehler vermeiden?“ • Als Gesprächsanlass können auch die Berichte aus der DAZ-Serie „Fehler- management“ dienen. Seit dem Jahr
AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal / 7
FEHLERMANAGEMENT
• Wie stelle ich etwas in Frage, ohne dass sich der andere kritisiert oder in seiner Kompetenz angegriffen fühlt? In dem Wissen darum, dass Kommunika- tionsprobleme bei Fehlern in Medizin und Pflege eine zentrale Rolle spielen und eine gelebte „Speak-up“-Kultur zur Verbesse- rung der Patientensicherheit beiträgt, hat die Stiftung Patientensicherheit Schweiz einen Praxisleitfaden „speak up – Wenn Schweigen gefährlich ist“ entwickelt. 3 Die Autoren zeigen an zahlreichen Praxisbei- spielen, was „speaking up“ bedeutet und wie eine „Speak-up“-Kultur etabliert wer- den kann. Einige Empfehlungen hieraus lassen sich auch in der Apotheke leicht umsetzen (siehe Kasten). Offen kommunizierte Fehler tragen nachhaltig zu einer Verbesserung der Pa- tientensicherheit bei, wenn sie systema- tisch aufgearbeitet werden. Durch eine eingehende Analyse lassen sich Fehler- ursachen und begünstigende Faktoren
identifizieren und entsprechende Präven- tionsmaßnahmen ableiten.
die Unklarheit beseitigt ist. 2 Bedenken las- sen sich entweder im Rahmen des Bera- tungsgesprächs mit dem Patienten selbst oder in den meisten Fällen durch Rück- sprache mit dem verordnenden Arzt aus- räumen. Hierbei handelt es sich um einen selbstverständlichen Vorgang, der in der Praxis jedoch immer wieder als proble- matisch erlebt wird. In der heilberuflichen Kommunikation zwischen Ärzten und Apothekern können zahlreiche Faktoren einen konstruktiven Umgang miteinan- der verhindern. Fragen der telefonischen Erreichbarkeit, organisatorische Hürden, großer Zeitdruck sowie Missverständnisse und Kommunikationsbarrieren gehören dazu. Auch das Gespräch mit Berufskol- legen oder dem Vorgesetzten in der Apo- theke gestaltet sich manchmal schwierig, wenn Fehler dabei im Fokus stehen. Aus Angst, andere bloßzustellen und gute Ar- beitsbeziehungen zu gefährden, werden nicht selten Sicherheitsbedenken ver- schwiegen. Doch es bedarf genau dieser Ansprache, des „speaking up“ – nur hier- durch kann man den Patienten vor einem möglichen Schaden bewahren. In der Apotheke kann im Rahmen einer Teambesprechung gemeinsam überlegt werden, inwieweit bereits eine „Speak- up“-Kultur etabliert ist oder wie dieser Schritt gelingen kann: • Wie schaffen wir ein Klima in der Apo- theke, wo Nachfragen erwünscht ist? • Wie können wir uns gegenseitig unterstützen? • Wie ermutige ich andere, nachzufragen? • Wie spreche ich andere auf einen Feh- ler an? „Speaking up“ bedeutet, zu reagieren und Kollegen oder Vorgesetzte anzu- sprechen, wenn die Sicherheit von Pa- tienten gefährdet ist oder gefährdet scheint, um dadurch Risiken von Pati- enten abzuwenden. Es bedeutet auch, die eigene Expertise und die eigenen Ideen zu äußern, so dass diese in Prob- lemlösungen mit einfließen können. So wird das Synergiepotential inter- disziplinärer Teams genutzt und Prob- leme können nachhaltig anstatt kurz- fristig gelöst werden. „SPEAK-UP“ FÜR MEHR PATIENTENSICHERHEIT
Schritt 3: Fehleranalyse im Apothekenteam
Wie die Fehleranalyse praktisch durch- geführt wird, soll exemplarisch an dem nachfolgenden Fallbeispiel aus CIRS-NRW gezeigt werden:
Fall-Nr. 208178: Plausibilitätsprüfung bei Abgabe
Was ist passiert? Vom Arzt wird „Salbutamol Inhalat, 18 Tropfen“ für ein Kleinkind verordnet. Der Verordnungsfehler der Praxis bleibt in der Apotheke zunächst unbemerkt und das Medikament wird abgegeben. Eigentlich hätte „Salbubronch“ zur Einnahme verord- net werden sollen, der Kundin wurde vom Arzt auch ein Medikament zur Einnahme erklärt. Bei der Rezeptkontrolle fällt der
WAS KANN ICH AB MORGEN UMSETZEN, WORAUF KANN ICH AB MORGEN ACHTEN? Wenn mir etwas auffällt und ich Sorge habe, dass die Patientensicherheit gefähr- det ist: • Davon ausgehen, dass alle das Beste für die Patienten möchten. • Ich-Botschaften statt Du-Aussagen nutzen: „Mir erscheint die Dosierung zu hoch.“ · Kein „Hint and Hope“, das heißt, keine vagen Aussagen machen und hoffen, dass der andere darauf reagiert, z. B.: „Ich bin mir nicht ganz sicher, aber hier könnte eine zu hohe Dosierung vorliegen.“ • Lösungen vorschlagen und das Gegenüber einbeziehen. · Einen konkreten Plan oder Lösungsvorschlag anbieten, z. B.: „Ich schlage vor, dass wir nun den Arzt anrufen.“ · Die Sichtweise des Gegenübers einbinden. · Die Bestätigung erhalten, dass das Vorgebrachte Gehör findet, z. B.: „Bist du ein- verstanden?“; „Wie klingt das für dich?“ • Codewörter oder Gesten verwenden. · Diese eignen sich um Patienten oder Angehörige durch das Ansprechen von Be- denken nicht zu verunsichern und die Kollegin/den Kollegen nicht bloßzustellen. · Beispiele für Codewörter: · Klarheit: „Ich brauche hier mehr Klarheit. Können wir uns kurz besprechen?“ · Update: „Können wir uns kurz für ein Update zurückziehen?“ • Dranbleiben, auch wenn nicht gleich die gewünschte Reaktion gezeigt wird. Wenn alles zu schnell gegangen ist – auch im Nachhinein kann noch vieles angespro- chen werden. Wenn mich jemand anspricht und Bedenken ausdrückt: • Bewusst machen – der Kollegin/dem Kollegen geht es darum, Gefahren abzuwen- den und Fehler zu verhindern. Es geht nicht um Kritik oder Nörgelei. •Konstruktiv reagieren und sich für den Hinweis bedanken. • Beschreiben, nicht bewerten. · Kurz und bündig erläutern.
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CARINA JOHN
TABELLE 2: Fehlerbegünstigende Ursachen
Fehler auf. Die Praxis wird hierüber infor- miert und die Telefonnummer der Kundin erfragt. Der Bote kann das Medikament zeitnah austauschen. Was war das Ergebnis und wo sehen Sie die Gründe für das Ereignis? Das Medikament konnte vor der Einnah- me ausgetauscht werden. Zunächst er- folgte ein Verordnungsfehler in der Arzt- praxis. Bei der Abgabe des Arzneimittels in der Apotheke wurde die Anwendung nicht entsprechend erläutert. Es reicht nicht aus, abzufragen, ob die Anwendung des Medikamentes mit dem Arzt bespro- chen wurde. Die Anwendung muss in der Apotheke erklärt werden. Hierbei wäre aufgefallen, dass bei der Kundin kein Inha- lationsgerät vorhanden ist und die Trop- fen zur Einnahme gedacht waren. Auch die Dosierung wurde nicht überprüft. Die Mitarbeiter der Apotheke wurden zu intensiverer Beratung bei der Abgabe aufgerufen. Methodische Hilfsmittel Wenn im Apothekenteam Medikations- fehler besprochen und gemeinsam Lösun- gen erarbeitet werden, kann es hilfreich sein, die Fehleranalyse graphisch darzu- stellen. Häufig finden sich nämlich viele unterschiedliche, fehlerbegünstigende Faktoren bzw. Ursachen in einem kom- plexen Prozess, die sich durch eine gra- phische Darstellung gut erkennen lassen. Ein wichtiges methodisches Hilfsmittel ist das Ishikawa-Diagramm, auch „Fischgrä- tendiagramm“ (Abb. 2) genannt.
Systemische Ursachen
Individuelle Ursachen
Praktische Anwendung Am Kopf des „Fisches“ wird zunächst das Problem oder kritische Ereignis vermerkt. Alternativ kann auch eine Frage formu- liert werden. Bezugnehmend auf den vorliegenden CIRS-Fall könnte die Frage lauten: „Warum hat das Kind Salbutamol in einer ungeeigneten Darreichungsform erhalten?“ Anschließend erfolgt die individuel- le Aufteilung und Beschriftung des Dia- gramms. Für die Hauptgräten können folgende sechs Bereiche (auch „6M-Me- thode“ genannt) genutzt werden: • Mensch · „Latente“ Bedingungen · Am „stumpfen Ende“ einer Organisation/eines Prozesses · Beispiele: veraltete bauliche Strukturen, fehlende Standards, Entscheidungen der Leitungsebene · Häufig keine unmittelbaren Konsequenzen für die Patientensicherheit
Im beschriebenen CIRS-Fall kommen in der Hauptkategorie „Mensch“, z. B. die un- zureichende Kommunikation mit dem Pa- tienten sowie gegebenenfalls die fehlen- de Kenntnis hinsichtlich der Anwendung des Arzneimittels als ursächliche Faktoren in Betracht. Möglicherweise spielen auch persönliche Faktoren des Abgebenden, wie Müdigkeit oder mangelnde Konzen- tration, eine Rolle. Bezüglich der „Metho- de“ ist im aktuellen Fall zu hinterfragen, ob keine strukturierte Vorgehensweise bei der Arzneimittelabgabe vereinbart wurde oder ob der Mitarbeiter den systemati- schen Prüfprozess nicht eingehalten hat. Exemplarisch für die Kategorie „Mitwelt“ sind Faktoren, wie Hektik in der Apotheke oder Ablenkung (z. B. schreiendes Kind, klingelndes Telefon) zu nennen. Falls be- kannt, können auch ursächliche Faktoren aus der Arztpraxis, in der das fehlerhafte Rezept ausgestellt wurde, mit in die Feh- leranalyse einfließen. In einer nachfolgenden Bewertung, z. B. mittels Punktevergabe, werden dann die Hauptursachen bzw. die wahrschein- lichsten Risiken identifiziert. An dieser Stelle gilt es zu priorisieren, da zur Fehler- vermeidung meist nur wenige (und ide- alerweise auch einfach zu etablierende) Maßnahmen ergriffen werden können. Schritt 4 – Maßnahmen ergreifen Ein wesentliches Ziel, das schon allein durch die gemeinsame Fehleranalyse im Apothekenteam erreicht wird, ist die Sen- sibilisierung der Mitarbeiter für das Auf- treten konkreter Medikationsfehler. Eine erhöhte Aufmerksamkeit bei der zukünf- tigen Abgabe von „Salbutamol Inhalat“ kann im beschriebenen Fall zur Verbes- serung der Patientensicherheit beitragen. Zudem ist die Vereinbarung einer struk- turierten Vorgehensweise bei der Infor- mation und Beratung (z. B. Plausibilitäts- prüfung gemäß der BAK-Leitlinie, siehe Kasten) empfehlenswert. · Entstehung „aktiver“ Fehler · Am „scharfen Ende“ einer Organisation/eines Prozesses (Schnittstelle Mensch ↔ Mensch/ Maschine) · Beispiele: Ablenkung, Unaufmerksamkeit · Unmittelbare Konsequenzen für die Patientensi- cherheit
• Methode • Material • Maschine/Technik • Management • Mitwelt
Grundsätzlich kann die Anzahl der Berei- che individuell gewählt werden. An die Hauptgräten mit den entsprechenden Untergräten werden die jeweiligen Fehler- ursachen und begünstigenden Faktoren eingefügt. Hierbei kommen sowohl sys- temische als auch individuelle Ursachen (Tab. 2) in Betracht.
ABBILDUNG 2: Ishikawa-Diagramm zur systematischen Fehleranalyse
1. Notiere das Problem
Mensch
Maschine
Material
Ursache
Ursache
Ursache
Ursache
Ursache
Problem
Ursache
Ursache
Ursache
Ursache
Ursache
3. Sammle
Ursachen
Mitwelt
Management
Methode
2. Vergib
Kategorien
AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal / 9
FEHLERMANAGEMENT
kurz bezeichnet als „LASA (look alike/ sound-alike)-Problematik“. Auf Grundlage von zahlreichen „LASA“-Berichten der Systeme des Bun- desverbands Deutscher Krankenhaus- apotheker e.V. (ADKA) und des der United States Pharmacopeia (USP) werden z. B. Listen von „look-alike-/sound-alike“-Medi- kamenten generiert und veröffentlicht. 5,6 Diese Listen erhöhen die Aufmerksamkeit für entsprechende Arzneimittel und kön- nen beispielsweise in der Apotheke zur Überprüfung des Verwechslungspoten- zials lagernder Arzneimittel verwendet werden. Des Weiteren werden solche Lis- ten genutzt, um gezielt an Pharmafirmen heranzutreten und eine Optimierung von Arzneimittelverpackungen zu erreichen. Ebenso werden auf Basis von CIRS- Fällen Leitfäden mit konkreten Tipps zur Erstellung ärztlicher Verordnungen, zur Logistik und Lagerung sowie zur Zuberei- tung von „LASA“-Arzneimitteln erstellt, wie z. B. der „Quick-Alert Sound-alike & look-alike-Verwechslungsproblematik bei Arzneimitteln“. 7 Auch in den Fallberichten aus CIRS- NRW werden immer wieder Maß- nahmen beschrieben, die meldende Apothekenmitarbeiter selbst zur Fehler- prävention ergriffen haben. Zudem fin- den sich Lösungsvorschläge in den beglei- tenden Fachkommentaren, die seitens des Ärztlichen Zentrums für Qualität in der Medizin (ÄZQ) erstellt werden. Hierdurch wird noch einmal die wich- tige Rolle der Fehlerberichts- und Lern- systeme erkennbar. Machen daher auch Sie mit und melden Sie Medikationsfehler unter https://www.cirsmedical.de/nrw. Nutzen Sie Teamsitzungen, um offen über Fehler zu sprechen und Maßnahmen zu
erarbeiten und lassen Sie auch andere hie- ran teilhaben.
Auch ein Hinweis am Lagerort des Arznei- mittels kann die Besonderheiten der An- wendung und erforderlichen Beratung ins Blickfeld rücken. Ist ein Apothekenmitar- beiter unsicher oder fühlt er sich mit einer Situation oder Fragestellung überfordert, kann er eine andere Person hinzuziehen. Häufig sehen vier Augen mehr als zwei. Manchmal ist es erforderlich, individu- elle Lösungsvorschläge oder Maßnahmen zur Fehlerprävention in der Apotheke zu erarbeiten. Diese sind zugeschnitten auf die eigenen Gegebenheiten, Arbeitsabläu- fe und Mitarbeiter bzw. die fehlerbegüns- tigenden Faktoren, die im Rahmen der gemeinsamen Fehleranalyse aufgedeckt wurden. Dank der CIRS-Systeme können Apo- theken auch auf bestehende Empfeh- lungen zurückgreifen, so z. B. im Falle der Vermeidung von Arzneimittelverwechs- lungen aufgrund von ähnlich aussehen- den Packungen („look-alike“) oder ähn- lich klingenden Namen („sound-alike“), • (Individuelle) Dosierung bzw. Dosie- rungsintervall therapeutisch üblich? • Darreichungsform für Patienten ge- eignet? • Geeignete Menge für Anwendungs- zeitraum? • Anwendungsdauer therapeutisch üblich? PLAUSIBILITÄTSPRÜFUNG 4 Die Plausibilität der Verordnung ist zu prüfen, z. B. in Hinblick auf: • Arzneistoff bzw. Arzneistoffkombi- nation geeignet?
Das alles hat ein Ziel: mehr Sicherheit für den Patienten!
REFERENZEN & LITERATUR 1 Jaehde U, Radziwill R, Kloft C, (Herausgeber). Klinische Pharmazie – Grundlagen und Anwen- dung. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 4. Auflage; 2017. 2 Apothekenbetriebsordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. September 1995 (BGBl. I S. 1195), die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 13. Januar 2020 (BGBl. I S. 66) geändert worden ist. 3 Schriftenreihe Nr. 8 „speak up“ der Patientensi- cherheit Schweiz, abrufbar unter https://www. patientensicherheit.ch/> Forschung & Entwick- lung > Speak Up. 4 Kommentar zu Leitlinie der Bundesapothe- kerkammer Information und Beratung des Patienten bei der Abgabe von Arzneimitteln – Erst- und Wiederholungsverordnung, Abruf 08.03.2020, https://www.abda.de/fileadmin/ assets/Praktische_Hilfen/Leitlinien/Selbstme- dikation/LL_Info_Beratung_SM_Kommentar. pdf. 5 Zusammenfassung: AMTS Sound-alikes, Look- alikes. Bundesverband Deutscher Krankenhaus- apotheker (AKDA) 2009, Abruf: 08.03.2020, www.adka.de/solva_docs/1415_sa-la-zusam- menfassung-xls.pdf. 6 List of Confused Drug Names. Institute for Safe Medication Practices (ISMP), Stand: 16. Februar 2015, www.ismp.org/recommendations/ confused-drug-names-list, Abruf 08.03.2020. 7 Sound-alike & look-alike - Verwechslungspro- blematik bei Arzneimitteln, Fokus Ampullen. Quick-Alert Nr. 14, 9. Juli 2010, Stiftung Patien- tensicherheit, Abruf 08.03.2020, www.kvno.de/ downloads/quali/quick_alert.pdf.
KURZZUSAMMENFASSUNG Innerhalb des Medikationsprozesses stellt die öffentliche Apotheke eine wichtige Sicherheitsbarriere dar. Diese Barriere gilt es zu stärken und weiter auszubauen. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist die Etablierung einer positiven Fehlerkul- tur sowie eines strukturierten Fehlermanagements in der Apotheke. Das sektoren- übergreifende Berichts- und Lernsystem CIRS-NRW leistet hierzu einen wichtigen Beitrag. Alle Apothekenmitarbeiter können durch eine erhöhte Sensibilisierung gegenüber potenziellen Fehlerquellen sowie eine gelebte „Speak-up“-Kultur zu einer Verbesse- rung der Patientensicherheit beitragen. Werden Medikationsfehler im Apotheken- team systematisch aufgearbeitet, können hieraus Maßnahmen zur Fehlerpräventi- on abgeleitet werden.
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INA RICHLING
Medikationsanalyse aus der Praxis Eine Patientin mit kardiovaskulärem Risiko
Der Fall Die 74-jährige Patientin Martina F. leidet seit Jahren aufgrund einer ko- ronaren Herzerkrankung mit Hyper- tonie, an einer Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion (HFrEF) und Vorhofflimmern. Zusätzlich lei- det sie an einer COPD und an Arthro- seschmerzen in den Knien. In letzter Zeit ist sie sehr lethargisch und müde, die auftretenden Ödeme in den Bei- nen stören Sie auch. Da Sie mittler- weile so viele Arzneimittel anwenden muss (siehe Tab. 1), wünscht Sie sich mehr Informationen zu den einzel- nen Medikamenten, auch wie sie sie korrekt einnehmen soll.
Ina Richling, PharmD. (UFL, USA) ist Apothekerin in der Zentralapotheke der Katholischen Kliniken imMärki- schen Kreis, Mitglied der Kommission Arzneimittelthera- pie-Management (AMTM) und Arzneimitteltherapiesi- cherheit (AMTS) der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) und ist Herausgeberin des Buches „Medi- kationsanalyse – Grundlagen und Fallbeispiele“.
Ina Richling
mittags auf morgens verschoben wird, hätte die Patientin nur noch zwei Einnah- mezeitpunkte in der Dauermedikation. Zurzeit werden alle Arzneimittel zum Essen eingenommen. Da Nahrung die Re- sorption von Furosemid um 30 bis 40 Pro- zent vermindern kann, sollte Furosemid immer nüchtern mindestens 15 Minuten vor dem Essen eingenommen werden. Aufgrund der stabileren Bioverfügbarkeit, längeren Wirkdauer und einer Einnahme, die unabhängig von Mahlzeiten erfolgen kann, wäre eine Umstellung von Furose- mid auf Torasemid sinnvoll. Die Patientin nimmt zurzeit Ramipril und Candesartan ein. In keiner Studie konnte ein zusätzlicher Nutzen von AT1-Blockern in der kombinierten Anwendung mit ACE- Hemmern belegt werden. Im Gegenteil, es gab deutliche Hinweise auf ein Schädi- gungspotenzial, wie z. B. die Verschlechte- rung der Nierenfunktion. Daher sollte die Indikation überprüft und die Kombination in der Regel vermieden werden. Die Kombination aus Furosemid und Hydrochlorothiazid (HCT) wird vor allem bei Patienten mit Herzinsuffizienz, Le- berzirrhose und nephrotischem Syndrom verordnet, wenn eine Diuretikaresistenz vorliegt undmit einer Dosissteigerung des Schleifendiuretikums kein weiterer Diure- sezuwachs mehr erzielt werden kann. Die Kombination aus einem Thiaziddiureti- kum und einem Schleifendiuretikum wird auch als sequenzielle Nephronblockade Pseudodoppelmedikation
gemessen wurde, beträgt 110/65 mm Hg. Ein Medikationsplan ist nicht vorhanden, die Dosierungen stehen teilweise auf der Packung und die Aufbewahrung der Arz- neimittel erfolgt auch in den Packungen, die im Wohnzimmerschrank liegen. Auf Nachfrage berichtet sie, dass sie meist alle Medikamente zum Essen einnimmt. Die Überprüfung der Inhalation ergab eine korrekte Handhabung des Inhalators. Wichtige Therapieziele sind eine Redukti- on des kardiovaskulären Risikos mit einem Blutdruckziel < 130/80 mm Hg und einem Ruhepuls von 55 bis 60 pbm (beats per minute = Schläge pro Minute) sowie einen definierten LDL-Zielwert. Eine Ödem- und damit verbunden eine leichte Gewichtsre- duktion sind weitere Therapieziele. Frau F. wünscht sich einen sichereren Umgang mit ihrer Medikation und eine bessere Schmerzreduzierung. Nach dem Aufnahmegespräch mit Frau F. ergeben sich folgende mögliche Arzneimittelbezogene Probleme (ABPs): Therapieziele Da Amlodipin eine mittlere Halbwertszeit von 40 Stunden 1 aufweist, kann die Ein- nahme auch nur einmal täglich erfolgen. Statt 5 mg morgens und abends, 10 mg einmal morgens. Möglichst wenige Einnahmezeitpunk- te steigern die Adhärenz. Wenn der Ein- nahmezeitpunkt von ASS 100 mg von Einnahmezeitpunkte und -intervalle
Objektive Parameter und aktuelle Medikation
Frau F. wiegt 78 kg bei einer Größe von 165 cm und ihr BMI beträgt 29. Der Blutdruck, der aktuell in der Apotheke TABELLE 1: Aktuelle Medikation von Martina F.
Suffix
Beispiele
ASS 100 mg
0-1-0 1-0-0 1-0-1 1-0-0
Bisoprolol 2,5 mg Amlodipin 5 mg
Candesartan/HCT 8/12,5 mg
Simvastatin 20 mg 0-0-1 Bisacodyl Drg. (Selbstmedikation) ca. 2x pro Woche Apixaban 5 mg 1-0-1 Furosemid 40 mg 1-0-0 Pantoprazol 20 mg (grünes Rezept) 1-0-0 Ramipril 10 mg 0,5-0-0,5
Calcium/Vitamin D Kautabl. Tiotropium/Olodaterol Respimat® Colecalciferol 20.000 IE Ipratropium/Fenoterol DA
1-0-0
morgens 2 Hübe mittwochs bei Bedarf bei Bedarf
Ibu 400
Prednisolon 20 mg
1-0-0
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MEDIKATIONSANALYSE
Dosis von Simvastatin allerdings maximal 20 mg pro Tag betragen. Die Patientin könnte von einem Statinwechsel auf das wesentlich potentere Rosuvastatin, wel- ches nicht über CYP 3A4 verstoffwechselt wird, profitieren. Die Wirkung des Thrombozytenaggre- gationshemmers (TAH) ASS 100 mg wird durch die gleichzeitige Einnahme von Ibu- profen vermindert, die Gefahr für Herz- infarkt und Schlaganfall ist somit erhöht. Bei Beibehaltung der Ibuprofentherapie sollte ASS 100 mg mind. 30 Minuten vor Ibuprofen oder Ibuprofen frühestens acht Stunden nach ASS eingenommen werden. Auch bei Umstellung von Ibuprofen auf Metamizol sollte auf einen zeitlichen Ab- stand zu ASS geachtet werden. 3 Unter der gleichzeitigen Anwendung von ASS 100 mg, Apixaban, Ibuprofen und Prednisolon besteht ein deutlich erhöh- tes Blutungs- und Ulkusrisiko. Wird ASS, ein NSAR oder SSRI gleichzeitig mit einem neuen oralen Antikoagulantium (NOAK) oder Vitamin K-Antagonisten (VKA) an- gewendet, steigt das Blutungsrisiko um etwa 50 Prozent. 4,5,6 Wichtige Fragen, die in diesem Fall mit den behandelnden Ärzten zu klären sind: 1. Ist eine duale Therapie aus einem ora- len Antikoagulanz und TAH notwen- dig? Wenn eine zusätzliche Therapie zu einem oralen Antikoagulanz mit ASS etwa bei Patienten mit komple- xeren Koronarläsionen und erhöhtem thrombotischen Risiko erwogen wird, muss eine mögliche moderate Reduktion ischämischer Ereignisse gegen eine vermutlich relativ stärke- re Zunahme von schwerwiegenden Blutungen abgewogen werden. Nach Rücksprache mit dem behandelnden Kardiologen konnte ASS 100 mg abge- setzt werden. 2. Gibt es eine Indikation für Predniso- lon? Eine Indikation für eine Dauerthe- rapie mit per oralen Glukocorticoiden ist nicht ersichtlich. Um eine schwere akute Verschlechterung (Exazerbati- on) bei einer COPD zu behandeln, ist eine Therapie von etwa fünf Tagen mit systemischen p. o. Glukocorticoi- den ausreichend. In der Langzeitthe- rapie haben sie wegen des Fehlens gesicherter positiver Effekte und einer hohen Rate systemischer Komplika- tionen keinen Platz bei der Therapie der COPD. 7 Daher könnte die Patientin
Amlodipin Bei der Behandlung mit Amlodipin von Pa- tienten mit Herzinsuffizienz ist Vorsicht geboten. In einer placebokontrollierten Langzeitstudie (PRAISE-2) gab es im Ver- gleich zur Placebogruppe bei Patientenmit schwerer Herzinsuffizienz (NYHA- Klassen III und IV) unter Amlodipin vermehrte Be- richte über Lungenodeme. Daher sollten Calciumkanalblocker, bei Patienten mit dekompensierter Herzinsuffizienz mit Vorsicht angewendet werden, da sie das Risiko zukunftiger kardiovaskularer Ereig- nisse sowie das Mortalitatsrisiko erhohen konnen. Nebenwirkungen Eine sehr häufige Nebenwirkung unter Amlodipintherapie ist die Entwicklung von Ödemen, die auch nur schlecht mit Schlei- fendiuretika behandelbar sind. Da Frau F. zurzeit unter Ödemen leidet und ihr Blut- druck sehr niedrig eingestellt ist, könnte sie auch unter dem Aspekt einer vorlie- genden Herzinsuffizienz von einem Ab- setzen der Amlodipintherapie profitieren. Interaktionen Bei gleichzeitiger Anwendung von Calci- um-, Vitamin D- und Thiazid-Präparaten in Zweier- oder Dreierkombination ist das Ri- siko für eine Hypercalcämie erhöht, da Vit- amin D die Resorption von Calcium erhöht und Thiazid-Diuretika indirekt die Calci- umausscheidung im Harn vermindern. Hypercalcämien können zu gastrointesti- nalen Problemen, wie Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Obstipation sowie zu Nierensteinen, Muskelschwäche oder Somnolenz führen. Weiterhin kann es zu Herzrhythmusstörungen kommen (u. a. Verkürzung QT-Zeit). Bei gleichzeitiger Anwendung in Zweier- oder Dreierkom- bination ist somit Vorsicht geboten und der Calciumblutspiegel sollte regelmäßig überwacht werden. Bei der gleichzeitigen Anwendung von Amlodipin und Simvastatin kann es zu ei- nem erhöhten Risiko von Myopathie und Rhabdomyolyse aufgrund der Abbauhem- mung von Simvastatin durch Amlodipin am Isoenzym CYP 3A4 kommen. Sofern der blutdrucksenkende Calci- um-Antagonist morgens und der Lipid- senker abends verabreicht wird, ist eine klinisch relevante Wechselwirkung wenig wahrscheinlich. Im Falle der Kombination von Amlodipin und Simvastatin sollte die
bezeichnet. Eine Langzeitkombination kann zu starken Elektrolytverlusten füh- ren, was auch mit vermehrter Müdigkeit einhergehen kann und sollte daher nur kurzfristig angewandt werden. In den meisten Fällen wurde diese Kombination aber nicht absichtlich verordnet, sondern in Folge. Ein Thiazid, wie HCT wird in den meisten Fällen zur Blutdrucksenkung ein- gesetzt. Entwickelt der Patient im Laufe der Zeit Ödeme, wird oft das Schleifendiu- retikum angesetzt, ohne dass das Thiazid- diuretikum abgesetzt wird. Daher sollte im vorliegenden Fall HCT abgesetzt wer- den und ein Schleifendiuretikum weiter angewendet werden. Eine Kontrolle der Elektrolyte sollte regelmäßig erfolgen. Die Patientin nimmt zwei Präpara- te mit Colecalciferol ein. Auf Nachfrage berichtet Sie, dass ihr Hausarzt Colecal- ciferol mit 20.000 IE einmal wöchentlich verschrieben und sie sich die Calcium/Vit. D-Kautabletten selbst gekauft habe. Sie wusste nicht, dass in beiden Präparaten der gleiche Wirkstoff vorliegt. Mithilfe ei- nes online verfügbaren Calciumrechners (z. B. vom IQWIQ (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) https://www.gesundheitsinformation. de/kalzium-rechner.2032.de.html, zuletzt abgerufen am 04.03.2020) wurde im Ge- spräch ermittelt, wieviel Calcium pro Tag sie durchschnittlich mit der Nahrung zu sich nimmt. Da sie sich calciumreich er- nährt wurden die Kautabletten abgesetzt. Grundsätzlich nimmt die Patientin alle Arzneimittel regelmäßig ein, allerdings be- vorzugt sie die einmal tägliche Einnahme von Arzneimitteln, da sie die wöchentliche Einnahme ab und zu vergisst. Daher kann nach Aufbrauchen der Packung mit Cole- calciferol 20.000 IE ein Wechsel auf Cole- calciferol 1000 IE einmal täglich erfolgen. Adhärenz
Kontraindikationen
Ibuprofen NSAR gelten bei älteren Patienten auf- grund ihres kardiovaskulären, gastro- intestinalen und renalen Risikos, sowie des erhöhten Sturz- und Delir-Risikos als potentiell inadäquate Medikamente und werden in der FORTA Liste 8 in die Gruppe D „zu vermeiden“ eingestuft.
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ABBILDUNG 1: Rezept für rezeptfreie, grundsätzlich selbst zu bezahlende Medikamen- te (Grünes Rezept). Foto: ABDA
vom Ausschleichen der Prednisolon- therapie profitieren. 3. Ist das Schmerzmittel Ibuprofen ersetzbar? Da die Patientin trotz Ibu- profentherapie noch unter Arthrose- schmerzen leidet, könnte die Patientin von einer Umstellung der Schmerz- therapie auf Metamizol profitieren, vor allem dann, wenn es sich nicht um eine hochentzündliche Arthrose sondern eher um eine sogenannte stumme Arthrose handelt. Um das Risiko der Agranulozytose zu minimie- ren, sollte unter einer Dauertherapie regelmäßig ein Differenzialblutbild kontrolliert werden. Die Patientin soll- te über Symptome einer Agranulozy- tose aufgeklärt werden, so dass sie bei Auftreten von Fieber, Halsschmerzen und entzündlichen Schleimhautverän- derungen während einer Behandlung mit Metamizol zum Arzt gehen sollte. Alternativ kann auch eine Therapie mit Tilidin/Naloxon erwogen werden. Topische NSAR können bei der Kniear- throse weiterhin angewendet werden. Die Führung eines Schmerztagebuchs ist sinnvoll, um den Therapieerfolg beurteilen zu können. 4. Gibt es eine Indikation für einen Protonenpumpeninhibitor, und wenn ja, warum wurde er nicht auf einem Muster 16 Rezept verordnet? Patien- ten unter oralen Antikoagulanzien haben seltener Blutungen im oberen Gastrointestinaltrakt, wenn sie auch einen Protonenpumpeninhibitor (PPI) einnehmen. 2 Die Patientin hat in der Vergangenheit immer einen PPI verordnet bekommen. Neu ist der Wechsel von einemMuster 16 Rezept auf ein grünes Rezept (siehe Abb. 1). Die KVWL hat im Juni 2019 eine Informati- on zum indikationsgerechten Einsatz von PPIs herausgegeben. In der Arzneimittel- vereinbarung für das Jahr 2020 für West- falen-Lippe zwischen der KVWL und den Kassen wurde eine Zielvereinbarung für die Verordnung von Protonenpumpenin- hibitoren (PPI) veröffentlicht: PPI sind nur indikationsgerecht und gemaß AM-Richt- linie einzusetzen. Absenkung der DDD je Versicherter auf das Niveau der GKV West (Abb. 2). In der Arzneimittelvereinbarung der KV Nordrhein wurde für Allgemeinme- diziner und hausärztliche Internisten eine Quote für die Verordnung von PPI
ABBILDUNG 2: Zwei PPI-Dosen in den KV-Bereichen
ABBILDUNG 3: Arzneimittelvereinbarung der KVNO
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MEDIKATIONSANALYSE
TABELLE 2: Barmer-Daten 2016. Versicherte der Barmer mit Tripple Whammy plus ko- dierter Niereninsuffizienz. Patientengruppen Anzahl Anteil in Prozent ACE-Hemmer/AT1-RA-/Renin-Inhibitor 2.026.428 100 ACE-Hemmer/AT1-RA-/Rinin-Inhibitor + Diuretikum + NSAR 222.936 11 100 + N18.3 14.897 0,74 6,68 + N18.4 3.233 0,16 1,45 + N18.3 oder N18.4 16.750 0,83 7,51
Körperoberfläche (BSA = Body Surface Area)) • errechnete Kreatinin-Clearance (nach Cockcroft-Gault) 43 ml/min • Cockcroft-Gault mit angepasstem Ge- wicht für übergewichtige Patienten: 36 ml/min Auf der Internetseite dosing.de 9 findet man wirkstoffbezogene Angaben zur in- dividuellen Dosierung von Arzneimitteln bei Patienten mit eingeschränkter Nieren- funktion von der Abteilung Klinische Phar- makologie und Pharmakoepidemiologie des Universitätsklinikums Heidelberg. Bei den zurzeit angewendeten Arzneistoffen, kommt ggf. bei Apixaban eine Anpassung an die derzeitige Nierenfunktion in Frage. Folgende Angaben zum klinischen Management von Apixaban sind dort zu finden: Die Kreatinin-Clearance sollte mit der Cockcroft-Gault-Formel geschätzt werden. Bei der Indikation nicht-valvu- läres Vorhofflimmern gelten folgende Dosisanpassungen: • CL krea ≥ 30 ml/min: abhängig von fol- genden Faktoren: · Serum-Kreatinin ≥ 1,5 mg/dl (133 µmol/l) · Alter ≥ 80 Jahre · Körpergewicht ≤ 60 kg • wenn ≤ 1 Faktor zutrifft: 5 mg alle 12 h. · wenn ≥ 2 Faktoren zutreffen: 2,5 mg alle 12 h. · CLkrea 15 - < 30 ml/min: 2,5 mg alle 12 h. · CLkrea < 15 ml/min: „nicht empfohlen“. Somit muss momentan keine Dosisan- passung der Medikation vorgenommen werden. Die Therapiedauer von Prednisolon 20 mg Tabletten einmal täglich gegen die COPD ist überschritten. Die empfohlene Thera- piedauer bei einer Exazerbation der COPD beträgt fünf Tage. Eine Langzeittherapie bei der Indikation COPD hat keine positi- ven Effekte. 7,7a Daher sollte Prednisolon langsam ausgeschlichen werden. Therapiedauer
Sind Dosisanpassungen der Arzneistoffe an die Nierenfunktion notwendig?
festgelegt. Hier sollen Praxen einen Anteil von 22 Prozent PPI-Patienten an allen Arz- neimittel-Patienten nicht überschreiten. Das heißt, dass nicht mehr als jeder fünf- te Patient, der ein Arzneimittel verordnet bekommt, mit PPI versorgt werden sollte. Der Zielwert der neuen Quote orien- tiert sich dabei am jetzigen Durchschnitt (Abb. 2 und 3). Da die Patientin zurzeit mehrere Arzneimittel anwendet, die zu ei- nem erhöhten Risiko für gastrointestinale Blutungen führen, ist die Anwendung ei- nes PPI sinnvoll und sollte auch weiterhin auf einemMuster 16 Rezept erfolgen. Die Patientin nimmt zurzeit eine Kombi- nation aus einem ACE-Hemmer, zwei Diu- retika und einem NSAR ein und hat somit ein erhöhtes Risiko über eine Reduktion der glomerulären Filtration, einer verrin- gerten Nierenfunktion. Dies kann, je nach Risikokonstellation, bis zu einem akuten Nierenversagen führen. Versicherungsdaten der Barmer zei- gen, dass im Jahr 2016 2.026.428 BARMER- Versicherte mit einem ACE-Hemmer, AT1- Rezeptorantagonisten oder Renin- Inhibitor behandelt wurden. Bei 222.936 dieser Patienten (11 Prozent) wurden Di- uretika (ATC-Code C03, C02L, C07B/-C/-D, C08G) undgleichzeitig einNSAR (ATC-Code M01A und NSAR in anderen ATC-Gruppen) verordnet (Tab. 2). Praktisch jeder zehnte Patient mit ACE-/AT1-/Renin-Inhibitor hat dadurch ein relevant erhöhtes Risiko fur ein akutes Nierenversagen. Selbst bei ei- ner bereits bestehenden Niereninsuffizi- enz (Diagnose: N18.3 oder N18.4) wurde fast 17.000 BARMER-Versicherten (7,51 Prozent) diese dreier Kombination verord- net. Somit waren diese Patienten einem noch höheren Risiko eines akuten Nieren- versagens ausgesetzt. Um das renale Risiko der Patientin zu minimieren, sollten sowohl HCT als auch Ibuprofen abgesetzt werden. Nierenfunktion
Sollten Laborparameter zur Verfügung stehen, lohnt sich ein Blick auf die Nieren- funktionsparameter, um valide Aussagen zu einer eventuellen Dosisanpassung der Arzneimittel an die Nierenfunktion ma- chen zu können. Aus dem Laborblatt der Patientin ge- hen folgende Daten hervor: • Serum Kreatinin: 1,4 mg/dl • eGFR: 37 ml/min/1,73m 2 (nach CKD- EPI) (Stadium G3b der chronischen Nierenerkrankung) Die angegebene eGFR (estimated GFR = geschätzte glomeruläre Filtrationsra- te) des Laborberichtes ist eine auf Kör- peroberfläche normierte Formel ,meist‘ nach CKD-EPI (Chronic Kidney Disease Epidemiology Collaboration) oder ver- einfachte MDRD (Modification of Diet in Renal Disease), da die Parameter zur Kör- pergröße und Gewicht den Laboren nicht vorliegen. Für die meisten Arzneistoffe, die renal eliminiert werden, kann bei Pati- enten mit durchschnittlichem Körperbau und Gewicht sowohl eine eGFR (z. B. CKD- EPI) als auch die Kreatinin Clearance nach Cockcroft-Gault zur Berechnung der Nie- renfunktion verwendet werden. Für be- stimmte Wirkstoffe, wie nephrotoxische Arzneimittel oder Arzneimittel mit rena- ler Clearance und enger therapeutischer Breite, sollte die in den Fachinformationen empfohlene Schätzformel für die Dosisan- passung verwendet werden. Je nach Angaben in den Fachinforma- tionen der einzelnen Arzneimittel braucht man für eine Dosisanpassung an die Nie- renfunktion die Kreatinin-Clearance in ml/ min (nach Cockcroft-Gault), die standar- disierte eGFR in ml/min/1,73m 2 (CKD-EPI oder vereinfachter MDRD) oder die auf die patientenspezifische Körperoberfläche zurückgerechnete eGFR in ml/min: • eGFR: 39,7 ml/min (zurückge- rechnet auf patientenspezifische
Indikation ohne Medikament
Die Patientin leidet seit Jahren an Korona- rer Herzkrankheit (KHK). Angina pectoris- Anfälle sind glücklicherweise sehr selten. Trotzdem fehlt ein schnellwirkendes Spray
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