Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 1/2015 (Mai 2015)
Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 1/2015 (Mai 2015)
Fortbildung aktuell Das Journal
Omega-3-Fettsäuren, Tabletten teilen und Chemieunfälle
2/2015 Das Journal: Mai 2015
Seite 5 Omega-3-Fettsäuren in Prävention und Therapie Seite 13 Kein alter Hut: Problemfall Teilbarkeiten
Seite 21 Der Chemie(un)fall in der Apotheke
EDITORIAL
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
vor Ihnen liegt nun die diesjährige erste Ausgabe unseres Fortbildungsjour- nals, die erneut ein sehr breites Themenspektrum abdeckt:
Ob Omega-3-Fettsäuren und Fischölkapseln tatsächlich vor Herzinfarkt und Schlaganfall schützen – dieser Frage geht Professor Martin Smollich (Münster) auf den Grund. Dabei behandelt sein Aufsatz den Zusammenhang der Fett- säuren auf das kardiovaskuläre System und damit auch auf die Durchblutung des menschlichen Gehirns. Auch die Bedeutung dieser speziellen Fettsäuren für Schwangere und das ungeborene Leben sowie auf neurogenerative und neuropsychiatrische Erkrankungen werden thematisiert. Wie sich ein Mehr an Arzneimitteltherapiesicherheit im Apothekenalltag realisieren lässt, zeigt Dr. Verena Stahl (Herdecke). Sie befasst sich mit dem „Problemfall Teilbarkeit“ und damit keinesfalls mit einem „alten Hut“ in der Pharmazie. Schließlich ist der scheinbar so banale Vorgang ein risikoanfälli- ger Medikationsprozess. Schon durch kleine Hinweise im Beratungsgespräch lassen sich auch ohne ein aufwändiges Medikationsmanagement Versorgungs- verbesserungen erzielen. Unterschiedliche Teilungstechniken werden dabei ebenso skizziert wie Kuriositäten. So setzen Hersteller beispielsweise Schmuck- kerben bei Arzneimitteln ein, die auf keinen Fall geteilt werden dürfen. Der Aufsatz von Dr. Helge Prinz (Münster) zeigt Vorgehensweisen bei klei- neren Chemieunfällen im Apothekenlabor auf, etwa im Falle einer unbe- absichtigten Stofffreisetzung, und weist auch auf geeignete Präventions- maßnahmen hin. Anhand von Substanzbeispielen und Altlasten aus dem „Apothekenkeller“ berichtet er über Sicherheitsaspekte im Umgang mit ausgewählten Stoffen und Möglichkeiten einer chemischen Inaktivierung. Nach der Lektüre können Sie sich wie immer den Lernerfolgskontrollen zu den Artikeln im internen Bereich unter www.akwl.de stellen und sich damit Fortbildungspunkte sichern. Dort finden Sie übrigens auch die Lernerfolgskon- trollen zu den Ausgaben des Journals der letzten zwölf Monate.
Gabriele Regina Overwiening Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe
René Graf Vizepräsident der Apothekerkammer Westfalen-Lippe
Impressum: „Fortbildung aktuell“
der Apothekerkammer Westfalen-Lippe erscheint zweimal jährlich als „Fortbildung aktuell – Themen & Termine“ und dreimal pro Jahr als „Fortbildung aktuell – Das Journal“. Herausgeber: Apothekerkammer Westfalen-Lippe, Bismarckallee 25, 48151 Münster, Tel: 0251/520050, Fax: 0251/52005-69, E-Mail: info@akwl.de, Internet: www.akwl.de Redaktion/Grafiken: Dr. Sylvia Prinz Layout: Sebastian Sokolowski Autoren dieser Ausgabe: Prof. Martin Smollich
Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen, Lernen und Punkten!
Dr. Verena Stah Dr. Helge Prinz
Titelfoto: www.fotolia.com – ngaga35
Der Bezugspreis für „Fortbildung aktuell“ und „Fort- bildung aktuell – Das Journal“ ist für die Mitglieder der Apothekerkammer Westfalen-Lippe im Kammer- beitrag enthalten. Auflage: 7.500 Exemplare Nachdruck – auch in Auszügen – nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers. Gedruckt auf Papier aus 100 Prozent recycelten Fasern.
Gabriele Regina Overwiening René Graf
Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 1/2010 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 3 Fortbi dung aktuell – Das Journal der Apothe erkammer Westfalen-Lippe
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Prof. Martin Smollich
Omega-3-Fettsäuren in Prävention und Therapie Was ist wirklich dran?
Schützen ω 3-Fettsäuren und Fischöl- kapseln tatsächlich vor Herzinfarkt und Schlaganfall? Was in den 1970er Jahren als „Eskimo-Diät“ begann und insbeson- dere unter kardioprotektivem Aspekt po- stuliert wird, steht aufgrund aktueller Studien immer noch und immer wie- der in der Diskussion. Aktuell wird diese Diskussion um die Wirksamkeit von ω 3- Fettsäuren zusätzlich dadurch erweitert, dass sie zunehmend auch zur Präventi- on oder Therapie neurodegenerativer Er- krankungen eingesetzt werden. Unstrit- tig ist die physiologische Bedeutung der ω 3-Fettsäuren, doch an der präventiven und der therapeutischen Wirksamkeit gibt es weiterhin Zweifel. Dies schlägt sich auch in einer unübersichtlichen Stu- dienlage nieder, die mittlerweile Untersu- chungen aus über vier Jahrzehnten um- fasst. Fettsäuren sind in der Regel aliphatische Monocarbonsäuren, deren Name daher rührt, dass natürlich vorkommende Fet- te und Öle aus den Estern dieser Mono- carbonsäuren und Glycerin bestehen. Die- se Fettsäuren können anhand ihrer Ket- tenlänge, ihrer Anzahl enthaltener Dop- pelbindungen (gesättigt, einfach unge- sättigt, mehrfach ungesättigt) und ihrer Notwendigkeit der Nahrungszufuhr (es- senziell/nicht essenziell) charakterisiert werden. Die Ernährungsmedizin verwen- det überwiegend noch immer die histo- rische ω -Nomenklatur der ungesättigten Fettsäuren, die die Lage der Doppelbin- dungen vom Methylende der Fettsäu- re ausgehend bezeichnet. Beispielswei- se wird die Ölsäure als wichtigster Ver- treter der einfach ungesättigten Fettsäu- ren systematisch als cis-9-Octadecensäure, Nomenklatur der Fettsäuren
branen, besonders im ZNS • Precursor zahlreicher antiinflammato- rischer Mediatoren (Serie-1- und Serie- 3-Eicosanoide) • Aufrechterhaltung der physiologischen Funktionen von Gehirn und Retina • Bestandteile der Gallenflüssigkeit • Strukturbestandteile des Lungen-Sur factants Während es sich bei der ALA um eine es- senzielle Verbindung handelt, die mit der Nahrung zugeführt werden muss, können EPA und DHA physiologisch durch Ketten- verlängerung aus der ALA gebildet wer- den (Abb. 1). Allerdings beträgt die Um- wandlungsrate von ALA zu EPA und DPA lediglich 5-10 % und ist außerdem von der Menge der parallel aufgenommenen ω 6-Fettsäuren abhängig, da diese über identische Enzyme metabolisiert werden. So wird auch die essenzielle ω 6-Fettsäure Linolsäure zu Arachidonsäure (AA) umge- wandelt, die als Ausgangssubstanz ver- schiedener proinflammatorischer Medi- atoren an zahlreichen pathophysiolo- gischen Prozessen beteiligt ist. Dies be- deutet, dass bei einem ω 6-Fettsäure- lastigen Verhältnis der Fettsäuren in der Nahrung endogen weniger EPA und DPA aus ALA, dafür aber vermehrt AA aus den ω 6-Fettsäuren gebildet wird. Hauptquel- le dieses ungünstigen Überschusses an ω 6-Fettsäuren sind meist tierische Fette. Aus diesem Grund empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung zur ausrei- chenden Versorgung mit ω 3-Fettsäuren ein Fettsäureverhältnis in der Nahrung, das für ω 6- und ω 3-Fettsäuren bei ma- ximal 5:1 liegt. 1 Die Realität in Deutsch- land ist aufgrund der üblicherweise sehr fleischlastigen Ernährung ein Verhältnis von 10:1. Dieses ω 6-Fettsäure-lastige Ver- hältnis trägt vermutlich maßgeblich zu
Prof. Dr. Martin Smollich (Münster) ist Fachapotheker für Klinische Pharma- zie und Hochschullehrer für Klinische Pharmakologie. Er leitet seit 2013 den Studiengang Clinical Nutrition/Klinische Ernährung an der Mathias Hochschule Rheine, der sich mit evidenzbasierter Er- nährungstherapie beschäftigt.
aber in ihrer Struktur als ω 9-Fettsäure mit dem Lipidnamen 18:1 ( ω 9) bezeichnet.
ω 3- und ω 6-Fettsäuren
Die ω 3-Fettsäuren gehören zur Grup- pe der mehrfach ungesättigten Fettsäu- ren. Am bekanntesten sind die aus Pflan- zen stammende α -Linolensäure (ALA), so- wie die beiden in marinen Organismen vorkommenden Fettsäuren Eicosapenta- ensäure (EPA) und Docosahexaensäure (DHA) (Abb. 1). Im menschlichen Körper sind diese ω 3-Fettsäuren an zahlreichen physiologischen Funktionen beteiligt, un- ter anderem:
• Strukturbestandteile von Zellmem-
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Omega-3-Fettsäuren
zur Risikoreduktion üblichen Statin-The- rapie überhaupt keine medikamentöse Prophylaxe; zudem war die Studie her- stellerfinanziert (Omacor®), nicht verblin- det, nicht placebokontrolliert, ohne vor- her definierte sekundäre Endpunkte und hatte eine hohe Abbruchquote von 29 %. Bis heute werden als Grundlage der Hy- pothese, dass ein hoher ω 3-Fettsäure- Konsum das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen reduziert, die Untersu- chungen von Bang & Dyerberg aus den 1970er Jahren genannt. 4 Damals wurden jedoch nur die Ernährungsgewohnheiten untersucht, nicht aber die Prävalenzen kardiovaskulärer Erkrankungen. In einem aktuellen (2014) Übersichtsartikel zur kar- diovaskulären Morbidität der Inuit konn- te vielmehr gezeigt werden, dass sich die Prävalenz kardiovaskulärer Erkrankungen trotz des hohen Seefischkonsums nicht von europäischen Vergleichspopulati- onen unterscheidet. 5 Und noch mehr: Die Inuit haben eine erhöhte Schlaganfall- rate, eine erhöhte Gesamtmortalität und im Vergleich zu Festlandseuropäern eine um durchschnittlich zehn Jahre geringere Lebenserwartung. 5 Andererseits könnte es einen plausiblen Grund für den fehlenden klinischen Wirk- samkeitsnachweis geben: Nahezu alle Pa- tienten mit hohem kardiovaskulärem Ri- siko erhalten heute eine Statin-Thera- pie – insbesondere zur Sekundärpräven- tion nach erstem Herzinfarkt. Anders als in der nicht mehr leitliniengerechten Kon- trollgruppe der GISSI-Studie erhalten heu- tige Patienten bei Studien zur kardiopro- tektiven Wirksamkeit von ω 3-Fettsäuren in der Interventionsgruppe also „Statin + ω 3-Fettsäure“ und in der Kontrollgruppe „Statin (mono)“. Somit könnte ein mög- licher positiver Effekt der ω 3-Fettsäuren durch die Statine kaschiert werden. In früheren Studien war der kardiovaskuläre Vorteil entsprechend nur dann nachweis-
Abbildung 1: Ernährungsphysiologie und Stoffwechsel der ω 3- und ω 6-Fettsäuren. 20
Studien konnte die antithrombotische Wirksamkeit ebenfalls nicht zuverlässig reproduziert werden. Schaut man sich die verfügbaren Meta-Analysen an, so kön- nen hier lediglich jene Analysen eine kar- diovaskulär-präventive Wirksamkeit zei- gen, die auch Studien ohne Placebo-Kon- trolle in die Auswertung mit einschlossen. Beinhalten die Meta-Analysen dagegen ausschließlich placebokontrollierte Studi- en, so zeigt die Supplementation mit ω 3- Fettsäuren keinen Effekt auf die Häufig- keit von Schlaganfall, Herzinfarkt, Herz- insuffizienz, Angina pectoris, kardiovas- kulärer Mortalität oder Gesamtmortali- tät. 2 Zum gleichen Ergebnis kommt auch eine Cochrane-Studie, die weder für Ge- sunde noch für bereits kardiovaskulär Er- krankte einen Vorteil durch ω 3-Fettsäure- Supplemente oder durch ω 3-Fettsäure- reiche Ernährung zeigte. 3 Die häufig als Beleg für die kardiovasku- läre Wirksamkeit der ω 3-Fettsäuren an- geführte GISSI-Studie mit über 11000 Pa- tienten nach Herzinfarkt aus dem Jahr 1999 weist erhebliche methodische Män- gel auf: Zwar war das kardiovaskuläre Ri- siko in der ω 3-Gruppe reduziert, doch die Kontrollgruppe erhielt statt der heute
den ungünstigen gesundheitlichen Effek- ten einer fleischreichen Ernährung bei. 1
ω 3-Fettsäuren und das kardiovaskuläre System
In den vergangenen Jahren wurde im- mer wieder gezeigt, dass EPA und DHA vasodilatatorisch, antiarrhythmisch, li- pidsenkend und antiinflammatorisch wirken – alles Effekte, die sich günstig auf die Prävalenz und den Verlauf kar- diovaskulärer Erkrankungen auswirken müssten. Hinsichtlich klinisch relevanter Endpunkte wie kardiovaskulärer Morbi- dität und Mortalität – also jenseits rein pathophysiologischer Parameter – ist die Datenlage nach wie vor uneinheitlich: So gibt es zwar zahlreiche Studien, die einen präventiven Effekt zeigen; jedoch gibt es mindestens ebenso viele doppelblinde, randomisierte und placebokontrollierte Studien, bei denen ein derartiger Ef- fekt nicht nachweisbar ist. Auch der häu- fig diskutierte antithrombotische Effekt der ω 3-Fettsäuren ist tatsächlich vorhan- den, allerdings erst in sehr hohen Dosie- rungen, die entweder ca. 1,2 kg Hering pro Tag oder 15 g/d DHA bzw. EPA in Sup- plementform entsprechen. In klinischen
6 Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe de Apothek kammer Westfalen-Lippe
Prof. Martin Smollich
Wirkungen im Fokus der Aufmerksamkeit standen, rückt zunehmend ihre Bedeu- tung für kognitive Funktionen und neu- rodegenerative Krankheitsbilder in den Vordergrund. Da die Prävalenz dieser Er- krankungen seit Jahren zunimmt, wird in Zukunft auch verstärkt die Rolle der ω 3- Fettsäuren in diesem Zusammenhang dis- kutiert werden. ω 3-Fettsäuren sind essen- zielle Bestandteile für den Aufbau, die Reifung und die physiologische Funkti- on neuronaler Strukturen (Abb. 2). 6 Be- reits im dritten Trimenon der Schwanger- schaft kommt es im Rahmen der neuro- nalen Entwicklung zur Akkumulation von DHA im Gehirn des Ungeborenen, und dieser Prozess setzt sich innerhalb der er- sten zwei Lebensjahre weiter fort. Die optimale neuronale Entwicklung ist hier entscheidend von der Zufuhr an langket- tigen, mehrfach ungesättigten Fettsäu- ren (LCPUFA) abhängig. 6 Die wichtigsten LCPUFAs in dieser Reifungs- und Wachs- tumsphase sind DHA und AA, die gestillte Säuglinge ebenso wie andere ω 3- und ω 6- Fettsäuren auch über die Muttermilch er-
bar, wenn die Kontrollgruppe kein Statin erhielt; aufgrund der guten Evidenz für die Wirksamkeit der Statine wäre heute eine Studie gegen Placebo aus ethischen Gründen nicht vertretbar. Das bedeutet: Ein kardiovaskulär günstiger Effekt der ω 3-Fettsäuren ist vor den physiologischen und epidemiologischen Zusammenhän- gen durchaus plausibel, allerdings scheint er gegenüber einer wirksamen Statin- Therapie offensichtlich vernachlässigbar. 2 Da mag es überraschen, dass die aktu- ellen amerikanischen und europäischen Leitlinien noch immer den regelmäßigen Konsum ω 3-Fettsäure-haltiger Lebensmit- tel zur Prävention kardiovaskulärer Er- krankungen empfehlen. Doch auch die- se Empfehlung hat ihre Berechtigung: Fisch besteht nicht nur aus ω 3-Fettsäuren, sondern er kann als Bestandteil einer ab- wechslungsreichen mediterranen Ernäh- rung durchaus zur Kardioprotektion bei- tragen. Denn: Jede Fischmahlzeit ist ein Verzicht auf Fleisch, und eine Reduktion von Fleischmahlzeiten birgt tatsächlich gesundheitliche Vorteile. • Patienten mit Atherosklerose oder weiteren kardiovaskulären Risikofak- toren, die ohnehin eine leitlinienge- rechte Arzneimitteltherapie (Statine, ggf. auch ASS, Betablocker, ACE-Hem- mer) erhalten, haben durch die Sup- plementation mit ω 3-Fettsäuren bei unverändertem Fleischkonsum keinen Zusatznutzen. • Eine grundsätzliche Ernährungsumstel- lung mit vermehrtem Fischverzehr und einer Reduktion der Fleischgerichte ist dagegen sinnvoll. Eine praktische Schlussfolgerung lässt sich daher aus all den Studien ziehen:
halten. Die Phospholipide der Lipiddop- pelschicht neuronaler Zellmembranen enthalten besonders hohe Anteile an DHA, EPA und AA. 6 Das Gehirn eines er- wachsenen Menschen besteht zu 10-15 % aus DHA. Neben dieser integralen Bedeutung ins- besondere von DHA für die Hirnstruktur spielen die ω 3-Fettsäuren auch eine wich- tige Rolle für die normale neurologische Funktion: So sind EPA und DHA an der Bil- dung und Wirkung neurophysiologisch wichtiger Neurotransmitter wie Seroto- nin, Noradrenalin und Dopamin beteili- gt, sie beeinflussen die Membranfluidi- tät, die Anpassungsfähigkeit des Gehirns an äußere Einflüsse (Neuroplastizität), die intrazelluläre Signaltransduktion und die Regulation der neuronalen Genexpres- sion. Zwar stammt der größte Teil dieser Daten aus tierexperimentellen Untersu- chungen, doch neuere Studien mit Men- schen scheinen diese Zusammenhänge bislang zu bestätigen. 7
Abbildung 2: Neurophysiologische Funktionen von Docosahexaensäure (DHA); DHA kann katalysiert durch die Phospholipase A2 (PLA2) aus der Lipiddoppelmembran freigesetzt werden und so die Wirkung verschiedener Neurotransmitter regulieren. Das aus DHA gebildete Neuroprotectin D1 (NPD1) ist ein wichtiger Regulator der neu- ronalen Genexpression. CB 1 : Cannabinoid-Rezeptor 1, D 2 : Dopamin-Rezeptor 2, ZnT 3 : Zink-Transporter 3.
Omega-3-Fettsäuren und Hirnfunktion
Nachdem die ω 3-Fettsäuren bislang we- gen ihrer möglichen kardiovaskulären
Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 7
Omega-3-Fettsäuren
ω 3-Fettsäuren zu vermuten. Pathophysio- logisch gut belegt ist die Rolle von Neu- roprotectin D1 (NPD1), das im Gehirn aus DHA gebildet wird (Abb. 2): An Neuronen wirkt NPD1 neuroprotektiv, indem es an- tiapoptotische und antiinflammatorische Wirkungen vermittelt und die neuronale Resistenz gegenüber oxidativem Stress verbessert. Außerdem reduziert NPD1 die Bildung der β -Amyloide, die Bestandteil seniler Plaques sind und die als Hauptur- sache für Morbus Alzheimer und ande- re demenzielle Erkrankungen gelten. Da- her ist postuliert worden, dass ein Mangel an DHA über eine somit auch geringere NPD1-Bildung zur Pathogenese eben die- ser Krankheitsbilder beitragen könnte. 8
Neueste Daten beschreiben zudem ei- ne verbesserte Durchblutung definierter Hirnareale durch erhöhte Zufuhr von DHA, 7 womit entsprechende tierexperi- mentelle Daten erstmals auch beim Men- schen bestätigt werden konnten. Als mögliche Mechanismen für diesen Effekt werden aktuell eine Interaktion von DHA mit dem cerebralen cholinergen System und eine Induktion der NO-Synthase dis- kutiert, wodurch es über vermehrte NO- Bildung zur lokalen Vasodilatation kom- men könnte. 7 Von dieser DHA-abhän- gigen Steigerung des cerebrovaskulären Blutflusses sind nach bisherigen Erkennt- nissen vor allem die Großhirnrinde und der Thalamus betroffen – beides Hirnregi- onen, die neben dem komplexen Denken (Cortex) auch Orte von Persönlichkeit und Bewusstseinsbildung sind. Im Zusammen- hang mit Kognition und Demenz-Entste- hung ist dies besonders interessant, da neue Untersuchungen darauf hindeuten, dass es im Rahmen der Alzheimer-Patho- genese auch zu einer Reduktion des cere- brovaskulären Blutflusses in diesen Hirnre- gionen kommt. Ebenso könnte hier auch der Effekt von DHA auf die Membran fluidität von Relevanz sein: Bei vermehr- ter DHA-Zufuhr steigt auch der Anteil von DHA in den neuronalen Membranen, was zu einer erhöhten Membranfluidität und damit einer veränderten Aktivität der membrangebundenen Proteine führt. Haast & Kiliaan haben ein Modell vorge- schlagen, das den Zusammenhang zwi- schen der Fettsäurezufuhr und den drei Säulen der Hirngesundheit – Struktur, Funktion und Durchblutung – anschaulich darstellt (Abb. 3). 7 Da ω 3-Fettsäuren und insbesondere DHA erhebliche Bedeutung für die Entwicklung, die Struktur, die Phy- siologie und offensichtlich auch für die Durchblutung des menschlichen Gehirns besitzen, ist es naheliegend, auch bei neu- ropsychiatrischen und neurodegenera- tiven Erkrankungen eine Beteiligung der
Altersbedingter kognitiver Leistungsverlust
Im Rahmen des physiologischen Alte- rungsprozesses nehmen die Zahl der Sy- napsen, die Zahl der Neuronen und das Hirnvolumen ab; parallel kommt es zur Abnahme der kognitiven Leistungsfähig- keit. So beginnt die Abnahme der grauen Substanz bereits im Alter von 20 Jahren, die der weißen Substanz etwa ab dem Al- ter von 40 Jahren. 8 Die DHA-Konzentrati- on im Gehirn nimmt mit zunehmendem Alter ebenfalls ab. Aufgrund der neuro- physiologischen Funktionen von DHA wä- re auch ein kausaler Zusammenhang vor- stellbar; schließlich fungiert DHA als neu- rotropher Wachstumsfaktor, der die Neu-
Abbildung 3: Einfluss verschiedener Fettsäure-Arten auf das Gehirn. 7 Grüne Pfeile: lang- kettige, mehrfach ungesättigte Fettsäuren, insbes. DHA und EPA; Rote Pfeile: gesättigte Fettsäuren.
8 Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe
Prof. Martin Smollich
fähigkeit oder einer reduzierten Demenz- häufigkeit gefunden werden. 11 Neben der möglicherweise tatsächlich nicht vor- handen Wirksamkeit der ω 3-Fettsäuren auf den altersbedingten kognitiven Lei- stungsverlust könnte es auch metho- dische Gründe für das bislang negative Er- gebnis geben: Einerseits betrug der Inter- ventionszeitraum nur wenige Wochen bis maximal 24 Monate, andererseits waren die verwendeten Dosierungen sehr unter- schiedlich (DHA: 176-1720 mg/d; EPA: 200- 1500 mg/d). Zukünftige Langzeitstudien mit entsprechend hohen Dosierungen könnten hier validere Aussagen ermögli- chen. Ein weiteres methodisches Problem liegt in der Schwierigkeit, die menschliche „kognitive Leistungsfähigkeit“ valide zu messen. Tatsächlich gibt es zahlreiche un- terschiedliche Testverfahren, die jedoch entweder auf globale kognitive Aspekte oder auf spezifische Einzelfähigkeiten wie Wiedererkennung oder Vokabu- lar abzielen; die Ergebnisse unterschied- licher Testverfahren sind daher kaum zu vergleichen. Epidemiologische Beobach- tungsstudien zum Zusammenhang zwi- schen Ernährungsweise (einschließlich Relation von ω 3/ ω 6-Fettsäuren) gibt es aufgrund methodischer Schwierigkeiten nicht für den Endpunkt des altersabhän- gigen kognitiven Leistungsverlustes, wohl aber für die Alzheimer-Demenz (s. u.). Im Hirngewebe von Alzheimer-Patienten sind nicht nur die Konzentrationen der β -Amyloide erhöht, sondern es sind auch die Konzentrationen von DHA und NPD1 erniedrigt. Dies betrifft vor allem Areale, die an Lernfähigkeit und Gedächtnis be- teiligt sind. 12 Die zahlreichen neurophy- siologischen Erkenntnisse, die die Be- deutung von DHA auf die Alzheimer-Pa- thogenese belegen sollen, stammen aus- schließlich aus Untersuchungen an Maus- modellen. Aus Beobachtungsstudien mit Morbus Alzheimer
Alzheimer-Patienten ist jedoch bekannt, dass möglicherweise ein umgekehrter Zu- sammenhang zwischen der täglich mit der Nahrung aufgenommenen DHA-Men- ge und der Prävalenz der Alzheimer-Er- krankung besteht. Auch gibt es Hinweise darauf, dass die mediterrane Ernährung das Risiko für die Entstehung einer Alz- heimer-Demenz reduzieren könnte. Al- lerdings sind selbst die Ergebnisse die- ser reinen Beobachtungsstudien wider- sprüchlich; die möglichen Zusammenhän- ge sind höchst komplex und können kei- neswegs auf die einfache These „Mehr ω 3-Fettsäuren in der Nahrung entspricht weniger Alzheimer-Erkrankung“ redu- ziert werden. Dies gilt erst recht dann, wenn es um die entsprechende Einord- nung der mediterranen Ernährung geht. Auch zukünftige epidemiologische Studi- en werden hier vermutlich keine wesent- lichen neuen Erkenntnisse beitragen kön- nen, denn nicht nur die Pathogenese der Alzheimer-Erkrankung und die neurophy- siologische Aktivität der ω 3-Fettsäuren sind multifaktoriell verknüpft: Allein auf- grund der zahlreichen heute bekannten Einflussfaktoren und angesichts einer sich über Jahrzehnte erstreckenden Alzhei- mer-Pathogenese dürfte es methodisch praktisch unmöglich sein, eine randomi- siert-kontrollierte Studie zu konzipieren, die alle übrigen Lifestyle-Faktoren außer- halb der ω 3-Fettsäure-Zufuhr konstant hält. Eindeutiger als bei den Beobachtungs- studien sind die Ergebnisse der Inter- ventionsstudien: Sie zeigen einheit- lich keinen Effekt einer ω 3-Fettsäure- Supplementation – weder auf die Alzhei- mer-Neuerkrankungsrate 11 noch auf kli- nisch relevante Endpunkte bei Menschen mit bereits diagnostizierter Alzheimer- Demenz. 13 Die Aussagekraft dieser Ergeb- nisse ist ebenfalls dadurch limitiert, dass auch hier die Interventionszeiträume ma- ximal wenige Monate umfassten. Zukünf-
roplastizität verbessert und die Neubil- dung von Synapsen stimuliert.
Unabhängig davon ist die Studienlage zum möglichen Effekt einer ω 3-Fettsäure- Supplementation auf die kognitive Lei- stungsfähigkeit gesunder älterer Men- schen sehr dürftig. Tatsächlich stammen die verfügbaren Daten zur Verbesserung der kognitiven Leistungsfähigkeit am ge- sunden Gehirn überwiegend aus tierex- perimentellen Studien. 9 Die verfügbaren Humandaten zum Einfluss der nutritiven DHA-Zufuhr auf die Hirnstruktur zeigen zwar tatsächlich eine Zunahme der grau- en Substanz und ein größeres Hirnvolu- men nach erhöhter DHA-Aufnahme, al- lerdings bleiben diese Studien ohne kli- nisch relevante Endpunkte und beschrän- ken sich auf radiologische Volumenmes- sungen. Interessant ist dennoch, dass die Zunahme der grauen Substanz nach DHA-angereicherter Diät besonders stark die corticolimbische Schleife betrifft, die bei der Generierung und Verarbeitung von Emotionen maßgeblich ist und de- ren Fehlfunktion bei verschiedenen psy- chiatrischen Erkrankungen eine maßgeb- liche pathophysiologische Rolle zu spielen scheint. Parallele Untersuchungen mit ei- ner an trans-Fetten reichen Diät konnten zeigen, dass diese Diätform bei gesunden Erwachsenen zu einer Abnahme der Hirn- volumina und einer beschleunigten Hirn- atrophie führt. 10 Die wenigen Interventionsstudien an Menschen, bei denen dieWirkung von ω 3- Fettsäuren (DHA allein oder DHA+EPA) auf die kognitive Leistungsfähigkeit im Alter untersucht wurde, liefern wider- sprüchliche Ergebnisse. Diese Einschät- zung wird von einer aktuellen und qua- litativ hochwertigen Cochrane-Metanaly- se bestätigt: Bei gesunden Menschen über 60 Jahren konnte keine Evidenz für eine entsprechende Wirksamkeit hinsichtlich einer verbesserten kognitiven Leistungs-
Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 3/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 9 Fortbi dung akt ell – Das Journal der Apoth kerka mer Westfalen-Lippe
Omega-3-Fettsäuren
Was kann ich ab morgen umsetzen?
Welche Neuigkeiten spreche ich auf der nächsten Dienstver- sammlung an?
gen, dass die tägliche Gabe von EPA (200- 2200 mg/d), nicht jedoch von DHA, die depressive Symptomatik messbar redu- ziert. 14 Entscheidend scheint bei kombi- nierten Supplementen neben der Dosie- rung auch das relative Mengenverhält- nis der einzelnen ω 3-Fettsäuren zu sein: So sollte das Verhältnis EPA/DHA >60 % betragen. 14 Die zugrunde liegenden Me- chanismen sind derzeit Gegenstand inten- siver Forschung. Aufgrund dieser positiven Daten für die Therapie der Depression gibt es inner- halb der aktuellen neuropsychiatrischen Forschung nahezu keine Indikation, bei der nicht die Wirksamkeit einer Supple- mentation mit ω 3-Fettsäuren untersucht wird, so beispielsweise bei bipolaren Stö- rungen, Borderline-Störungen, Schizo- phrenie, Autismus, kindlichen Lernstö- rungen oder bei der Aufmerksamkeitsde- fizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Für keine dieser Indikationen ist bisher eine klinische Wirksamkeit einer ω 3-Fettsäure- reichen Ernährung oder einer Supplemen- tation nachgewiesen. Ob sich zukünf- tig tatsächlich ein nutzbares therapeu- tisches Potenzial ableiten lässt, kann auf Grundlage der aktuell vorhandenen Da- ten nicht seriös abgeschätzt werden. Umfassend belegt ist dagegen die Bedeu- tung einer ausreichenden ω 3-Fettsäure- Zufuhr in der Schwangerschaft für die vi- suelle und kognitive Entwicklung des Kin- des, was vor allem die ausreichende Zu- fuhr von DHA betrifft. So wirkt sich eine überdurchschnittliche DHA-Zufuhr wäh- rend der Schwangerschaft positiv auf ver- schiedene Endpunkte wie kindliche Seh- schärfe, kognitive Funktionen, Intelli- genz (IQ), Schlafmuster und Feinmotorik aus. 15‑17 Diese Mehrheitsmeinung in der Ernährungsmedizin wird aktuell teilwei- se in Frage gestellt: So zeigen Langzeitun- Schwangerschaft
tige Untersuchungen zum Stellenwert von ω 3-Fettsäuren bei altersabhängigem kognitivem Leistungsverlust und Alzhei- mer-Demenz werden viel mehr als bisher die multifaktorielle Pathogenese, realis- tische Beobachtungszeiträume und eine pharmakologisch basierte Dosisfindung berücksichtigen müssen. Ähnlich sieht die Studienlage auch für die mögliche Wirksamkeit von ω 3-Fettsäuren bei Morbus Parkinson aus: Zwar konnte in zahlreichen Laborstudien und an Maus- modellen gezeigt werden, dass DHA an dopaminergen Neuronen neuroprotek- tive Effekte besitzt und antiinflammato- risch wirkt, und in tierexperimentellen Parkinson-Modellen kann DHA Dopamin- mangel-Dyskinesien reduzieren. Bislang gibt es aber keine aussagekräftige Stu- die, die einen protektiven oder gar the- rapeutischen Effekt von ω 3-Fettsäure- Supplementen oder ω 3-Fettsäure-reicher Ernährung bei Parkinson-Patienten bele- gen würde. Schwangeren und Stillenden sollte die Supplementation mit DHA empfohlen werden (mindestens 200 mg/d), falls sie nicht entspre- chende Mengen Fisch verzehren. Nicht erforderlich wäre eine DHA- Supplementation erst bei Verzehr- mengen von durchschnittlich 25 g Hering/Tag oder 70 g Lachs/Tag. Morbus Parkinson
tersuchungen zwar einen Vorteil für die kindliche Entwicklung in den ersten Le- bensmonaten durch DHA-Supplementa- tion; im Laufe der nächsten Lebensjahre scheinen sich diese Vorteile jedoch zu ni- vellieren und im Vergleich zu den dann prägenden Umwelteinflüssen vernachläs- sigbar zu sein. 18 Bis zur abschließenden Klärung sollten Schwangere und Stillende für die optimale Entwicklung ihres Kindes jedoch täglich mindestens 200 mg DHA zuführen; wenn dies nicht über regelmä- ßigen Fischkonsum erreicht wird, sollten entsprechende Supplemente verwendet werden. 16,19 Fettsäuren ist weder zur Kardioprä- vention noch zur Prävention von De- menz oder Neurodegeneration sinn- voll. Einen gesundheitlichen Vorteil bietet jedoch die Ernährungsumstel- lung im Sinne der mediterranen Er- nährung, die mindestens zwei Mal pro Woche den Verzehr von See- fisch vorsieht. Die Einnahme von ω 3-Fettsäure- oder Fischölsupple- menten hat bei einer unverändert fleischlastigen Ernährung keinen po- sitiven Effekt. • Die Supplementation von DHA bei Schwangeren und Stillenden ist empfehlenswert für die optima- le Entwicklung des Kindes. Nur bei überdurchschnittlich hohem Fisch- konsum ist diese Supplementation nicht erforderlich. • Die Supplementation von ω 3-
Neuropsychiatrische Erkrankungen
Die beste Datenlage zur klinischen Wirk- samkeit von ω 3-Fettsäuren gibt es für die Verwendung von EPA-Supplementen bei depressiven Erkrankungen: Meh- rere große Metaanalysen von Placebo- kontrollierten Interventionsstudien zei-
Omega-3-Fettsäuren in Lebensmitteln
In der Nahrung sind ω 3-Fettsäuren in pflanzlichen wie tierischen Fetten und Ölen zu finden, allerdings mit recht un- terschiedlichen Substanzmustern (Tab. 1
10 Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe – l de Apothek kammer Westfalen-Lippe
Prof. Martin Smollich
Tabelle 1: Wichtige mehrfach ungesättigte ω 3- und ω 6-Fettsäuren 20
und 2). Ernährungsphysiologisch beson- ders geeignete Quellen für ω 3-Fettsäuren sind Leinöl, Perillaöl, fette Fische bzw. Fisch-/Krillöl (Tab. 3). Allerdings lehnen viele Menschen Leinöl oder Fisch aus ge- schmacklichen Gründen ab, und sowohl das Perilla- als auch das Krillöl sind bislang wenig bekannt. Die empfohlene Zufuhr an ALA beträgt 0,5 % der Gesamtenergiezufuhr. 1 Dies wä- ren beim durchschnittlichen täglichen En- ergiebedarf eines normalgewichtigen Er- wachsenen (ca. 2000 kcal) ca. 10 kcal/d, enthalten z. B. in 500 g geräucherter Ma- krele oder ½ Teelöffel Leinöl/Perillaöl (ca. 2 g) bzw. 1 Esslöffel Rapsöl (ca. 10 g). Ins- besondere Leinöl und Perillaöl wären auf- grund ihres hohen α -Linolensäure-Gehalts geeignete Alternativen zu einem regel- mäßig hohen Fischkonsum. Es gibt jedoch einen Haken: Im Rahmen der üblicherwei- se ω 6-Fettsäure-lastigen, fleischreichen Ernährung werden durch die kompetitive Enzymhemmung nur 5-10 % der in den Ölen reichlich enthaltenen ALA in DHA und EPA umgewandelt. Um auf die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlene Tageszufuhr an EPA und DHA (250-300 mg/d) zu kommen, 1 wäre unter Berücksichtigung der geringen Umwand- lungsrate aus ALA ein täglicher Konsum von ca. 75 ml (!) Leinöl erforderlich – was natürlich nicht möglich ist. Die empfohlene Tageszufuhr an EPA und DHA kann also über den indirekten Weg der endogenen Bildung aus ALA aus pflanzlichen Ölen kaum gedeckt wer- den. 1 Daneben wäre aber auch die di- rekte Aufnahme beider ω 3-Fettsäuren über Fisch bzw. Fischöle möglich; die ent- sprechenden Zufuhrmengen an Fisch zur Deckung des täglichen EPA/DHA-Bedarfs sind grundsätzlich praktikabel: 20 • ca. 25 g Hering/Tag oder
Kurzform enthalten in Lebensmitteln (Beispiele)
ω 6-Fettsäuren Linolsäure (LA) γ -Linolensäure
18:2 ( ω 6) 18:3 ( ω 6) 20:4 ( ω 6) 18:3 ( ω 3) 18:4 ( ω 3) 20:5 ( ω 3) 22:6 ( ω 3)
Argan-, Raps-, Sonnenblumen- und Sojaöl
Nachtkerzenöl
Arachidonsäure (AA) ω 3-Fettsäuren α -Linolensäure (ALA)
sämtliche tierische Fette
Lein-, Perilla-, Raps-, Soja- und Walnussöl
Stearidonsäure
Erdnussöl, Fischöl
Eicosapentaensäure (EPA) Docosahexaensäure (DHA)
Fisch, Fischöle (Hering, Lachs, Makrele), Krillöl
Tabelle 2: Verhältnis ω 3-Fettsäuren zu ω 6-Fettsäuren in verschiedenen Ölen 20 ω 3-Fettsäuren ω 6-Fettsäuren Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung [4, 5] 1 5 Leinöl 1 0,2 Perillaöl 1 0,25 Rapsöl 1 2 Walnussöl 1 4,5 Olivenöl 1 9 Sonnenblumenöl 1 126 Distelöl 1 150 Arganöl 1 340 Lachs, Makrele 5-7 1 Fischöl bis 30 1 Krillöl 12-30 1
Tabelle 3: Unterschiedliche Zusammensetzung der Fettsäuren in verschiedenen Fetten und Ölen 20 ; a) Fischöl in Kapseln: EPA + DHA = 864 mg b) Krillöl: EPA + DHA = 543 mg
Arganöl
Leinöl Perillaöl Fischöl in Kapseln a
Krillöl b
Linolsäure ( ω 6), LA
30-34 % 14 % 14 % 0,8 % 1,8 %
α -Linolensäure ( ω 3), ALA 0,1-0,3 % 54 % 63 % 0,5 % 1,0 % Eicosapentaensäure ( ω 3), EPA 0-0,5 % 0 % 0 % 27 % 15-21 % Docosahexaensäure ( ω 3),DHA 0-0,1 % 0 % 0 % 24 % 9-14 %
Krebsart, dem Antarktischen Krill ( Euphau- sia superba ), gewonnen und weist eine Be- sonderheit auf: Während die anderen natürlichen Fischöle ω 3-Fettsäuren aus- schließlich in Form von Triglyceriden ent- halten, liegt ein Teil der ω 3-Fettsäuren im Krillöl als Phospholipid vor. Hierdurch soll die Bioverfügbarkeit der ω 3-Fettsäuren angeblich verbessert werden. Die kli- nische Relevanz dieses Zusammenhangs
• ca. 60 g Sardine/Tag oder • ca. 70 g Lachs/Tag oder • ca. 200 g Forelle/Tag oder • ca. 300 g Seelachs/Tag
Da viele Menschen aus verschiedenen Gründen keinen Fisch essen, stellt sich die Frage nach Alternativen. Hier gewinnt aktuell das Krillöl zunehmend an Bedeu- tung. Krillöl wird aus einer antarktischen
• ca. 25 g Thunfisch/Tag oder • ca. 35 g Makrele/Tag oder
Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 11 Fortbildung ktuell – Das Journal
Omega-3-Fettsäuren
Zusammenfassung ω 3-Fettsäuren, insbesondere EPA und DHA, sind für die Entwicklung, die Physiologie und vermutlich auch für die Durchblutung des menschlichen Gehirns von erheblicher Bedeutung. Schwangerschaft und Stillzeit Schwangere und Stillende sollten für die optimale Entwicklung ihres Kindes täglich mindestens 200 mg DHA zuführen. Ist dies nicht über regelmäßigen Fischkonsum möglich, sollten entsprechende Supplemente verwendet werden. Kardioprävention • Die postulierten kardioprotektiven Effekte einer Supplementation mit ω 3- Fettsäuren sind bislang nicht nachzuweisen. Patienten mit Atherosklerose oder weiteren kardiovaskulären Risikofaktoren, die ohnehin eine leitliniengerechte Arzneimitteltherapie (Statine, ggf. auch ASS, Betablocker, ACE-Hemmer) erhal- ten, haben durch die Supplementation mit ω 3-Fettsäuren bei gleichbleibendem Fleischkonsum keinen Zusatznutzen. • Sowohl Gesunde als auch Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko pro- fitieren von einer Ernährungsumstellung im Sinne der mediterranen Ernährung, die mindestens zwei Mal pro Woche den Verzehr von Seefisch vorsieht. Fisch besteht nicht nur aus ω 3-Fettsäuren, sondern er kann als Bestandteil einer ab- wechslungsreichen mediterranen Ernährung durchaus zur Kardioprotektion beitragen. Die Reduktion von Fleischmahlzeiten zugunsten von Fischgerichten bringt einen ernährungsmedizinischen Vorteil, nicht jedoch die Einnahme von Fischölkapseln bei einem unverändert hohen Fleischkonsum. Kognition, Neurodegeneration und neuropsychiatrische Erkrankungen • Die Studienlage zur protektiven Wirkung von ω 3-Fettsäuren auf den altersbe- dingten kognitiven Leistungsverlust ist nicht aussagekräftig. Ein Vorteil hinsicht- lich einer verbesserten kognitiven Leistungsfähigkeit oder einer reduzierten De- menzhäufigkeit ist nicht nachweisbar. Epidemiologische Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen der Aufnahme von ω 3-Fettsäuren mit der Nahrung und der Alzheimer-Inzidenz liefern keine valide Evidenz. Die Supplementation bei Gesunden ist ohne Einfluss auf die Alzheimer-Neuerkrankungsrate und bei bereits erkrankten Alzheimer-Patienten ohne Effekt auf klinisch relevante End- punkte. Gleiches gilt für Morbus Parkinson. • Bei den neuropsychiatrischen Erkrankungen ist allein für die Indikation der De- pression die Wirksamkeit von EPA-Supplementen belegt. • In nächster Zeit sind zahlreiche Studien zur Rolle von ω 3-Fettsäuren bei neu- ropsychiatrischen Erkrankungen zu erwarten, denn insbesondere Indikationen wie Depression, ADHS und kindliche Lernstörungen eröffnen nicht nur neue Ernährungsaspekte, sondern sie bergen vor allem auch ein erhebliches ökono- misches Potenzial.
erscheint allerdings sehr fraglich. Einen Vorteil besitzt Krillöl gegenüber den mei- sten Fischöl-Supplementen aber dennoch: Es kommt nicht zu dem unangenehmen fischigen Aufstoßen. Referenzen & Literatur Aufgrund der erheblichen Anzahl an Primärstudi- en und Meta-Analysen zu diesem Thema wurde auf die vollständige Angabe der entsprechenden Quel- len verzichtet. Das Literaturverzeichnis beschränkt sich auf die 20 wichtigsten Quellenangaben. Ein detailliertes und vollständiges Literaturverzeichnis kann jedoch gerne beim Autor angefordert wer- den (m.smollich@mhrheine.de). 1 Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE). DACH Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr. 4., korrigierter Nachdruck. Neuer Umschau Buchverlag, Neustadt a.d.W. 2012 2 Kwak SM, Myung SK, Lee YJ et al. Korean Meta- analysis Study Group. Efficacy of omega-3 fatty acid supplements (eicosapentaenoic acid and docosahexaenoic acid) in the secondary preven- tion of cardiovascular disease: a meta-analysis of randomized, double-blind, placebo-controlled trials. Arch Intern Med. 2012, 172: 686-694. 3 Hooper L, Harrison RA, Summerbell CD et al. Omega 3 fatty acids for prevention and treat- ment of cardiovascular disease. Cochrane Data- base Syst Rev. 2004, CD003177. 4 Bang HO, Dyerberg J, Nielsen AB. Plasma lipid and lipoprotein pattern in Greenlandic West- coast Eskimos. Lancet. 1971, 1: 1143-1145. 5 Fodor GJ, Helis E, Yazdekhasti N et al. Fishing for the origins of the Eskimos and heart disease story. Facts or wishful thinking? A review. Can J Cardiol, e-pub ahead of print 14.04.2014, doi. org/10.1016/j.cjca.2014.04.007. 6 Janssen CI, Kiliaan AJ. Long-chain polyunsa- turated fatty acids (LCPUFA) from genesis to senescence: the influence of LCPUFA on neural development, aging, and neurodegeneration. Prog Lipid Res. 2014, 53: 1-17. 7 Haast RA, Kiliaan AJ. Impact of fatty acids on brain circulation, structure and function Prosta- glandins Leukot Essent Fatty Acids. 2015, 92C: 3-14. 8 Haass C. Initiation and propagation of neurode- generation. Nat Med. 2010, 16: 1201-1204. 9 Petursdottir AL, Farr SA, Morley JE et al. Ef- fect of dietary n-3 polyunsaturated fatty acids on brain lipid fatty acid composition, learning ability, and memory of senescence-accelerated mouse. J Gerontol A Biol Sci Med Sci. 2008, 63: 1153-1160. 10 Bowman GL, Silbert LC, Howieson D et al. Nutri- ent biomarker patterns, cognitive function, and MRI measures of brain aging, Neurology. 2012, 78: 241-249. 11 Sydenham E, Dangour AD, LimWS. Omega 3 fat- ty acid for the prevention of cognitive decline and dementia. Cochrane Database of Systematic Reviews. 2012, 6: Art. No.: CD005379. 12 Soderberg M, Edlund C, Kristensson K et al. Fat- ty acid composition of brain phospholipids in aging and in Alzheimer’s disease. Lipids. 1991, 26: 421-425. 13 Freund-Levi Y, Eriksdotter-Jönhagen M, Ceder- holm T et al. Omega-3 fatty acid treatment in 174 patients with mild to moderate Alzheimer disease: OmegAD study: a randomized double- blind trial. Arch Neurol. 2006, 63: 1402-1408. 14 Sublette ME, Ellis SP, Geant AL et al. Meta-analy- sis of the effects of eicosapentaenoic acid (EPA) in clinical trials in depression. J Clin Psychiatry.
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12 Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe F rtbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apoth kerkammer Westfalen-Lippe 12 – as r al de Apothek k mmer Westfalen-Lippe
Dr. Verena Stahl
Kein alter Hut: Problemfall Teilbarkeiten Fast jeder Patient ist betroffen
Arzneimitteltherapierisiken lauern „an jeder Ecke“, damit aber die Arzneimit- teltherapiesicherheit (AMTS) nicht zum Schreckgespenst wird, sollten Apotheker die für den Patientenalltag wichtigsten, allgemeinen Aspekte kennen. Gerade weil das Gebiet AMTS sehr umfangreich ist und auch sehr speziell sein kann, fragt man sich zu Recht, wie und wo man an- fangen soll oder ob man mit seinen bis- herigen Bestrebungen und Tätigkeiten auf dem richtigen Weg ist. Man sollte sich zunächst auf ganz wesentliche Din- ge oder ein bestimmtes Themengebiet konzentrieren. In diesem Artikel soll der Anreiz gegeben werden, sich einmal in- tensiver mit den (Nicht-)Teilbarkeiten von Arzneimitteln zu beschäftigen. Es handelt sich keinesfalls um ein triviales Problem, sondern hat für den Patientenalltag und die Arzneimitteltherapiesicherheit ho- he Relevanz. Besonders tückisch: Die Tei- lung von Tabletten ist mit vielfältigen Ri- siken verbunden, welche nicht als solche vom Arzt oder Patienten wahrgenom- men werden. Hier sind Apotheker gefor- dert, durch Aufklärung Abhilfe zu schaf- fen. Wichtig ist: Jeder Schritt in die rich- tige Richtung kann dazu beitragen, die Arzneimitteltherapiesicherheit zu verbes- sern! Als Hauptziel der AMTS wurde die Ge- währleistung eines optimalen Medikati- onsprozesses zur Vermeidung von Medi- kationsfehlern formuliert. 1 Folglich kann der Medikationsprozess als Orientierung dienen, um sich dem Thema AMTS zu nä- hern. Ziemlich am Ende des Medikations- prozesses steht die Einnahme durch den Patienten. Wenn bis hierhin alles „gut ge- gangen“ ist, kann leider an dieser Stelle Risikoanfälliger Medikationsprozess
des oft durchgeführten Teilens von Arz- neimitteln lässt sich sehr schön verdeut- lichen, dass alle am Medikationsprozess Beteiligten, also Ärzte, Apotheker, PTA, Pflegekräfte, Angehörige und der Pati- ent selbst, die Arzneimitteltherapie sicher und erfolgreich gestalten aber auch Me- dikationsfehler mit weitreichenden Kon- sequenzen verursachen können. Beispiel- hafte Fehlermöglichkeiten der einzelnen Akteure beim Teilen von Arzneimitteln sind: • Ärzte könnten unkritisch die Teilung eines Präparates anordnen, ohne zu überprüfen, ob das Arzneimittel über- haupt teilbar ist. • Apotheker und PTA könnten verges- sen, bei einem Präparate-/Hersteller- wechsel zu hinterfragen, ob die Anfor- derung „Teilbarkeit“ an das neue Prä- parat besteht. • Pflegekräfte könnten missachten, dass bei der Teilung bestimmter Arzneimit- tel gesundheitsgefährdende Stäube eingeatmet werden können, weshalb
Dr. Verena Stahl (Herdecke) wurde an der University of Florida als Semi-Resi- dent im landesweiten Drug Information & Pharmacy Resource Center ausgebil- det. Dazu berufsbegleitende Dissertati- on zu einem Thema der AMTS, Autorin für die DAZ, Referententätigkeit, medi- zinische Entwicklung RpDoc® Solutions GmbH.
noch eine Menge schief gehen. Anhand
Tabelle 1: Aus galenischer Sicht nicht teilbare feste orale Darreichungsformen und Auswirkungen bei unsachgemäßer Teilung. Nicht teilbare Darreichungsform Teilung führt zu Weichgelatinekapseln Entleerung des flüssigen/pastösen Inhalts Hartkapseln mit Pulver- oder Granulat- füllung Ungleichförmig aufgeteiltem Inhalt Magensaftresistent überzogene Tablet- ten Zerstörung des magensaftresistenten Überzugs Tabletten mit Retard-Überzug Verlust des Retardierungsprinzips, Dose- Dumping
Retardtabletten auf der Basis oraler osmotischer Systeme (OROS, Push-Pull- Technologie), z. B. Jurnista®, Concerta®, Cardular® PP Manteltabletten, Manteldragees, Zwei- schichttabletten, z. B. Adalat® SL 20 mg Tabletten mit veränderter Wirkstofffrei- setzung
Verlust des Retardierungsprinzips, Dose- Dumping
Gleichzeitiger Freisetzung von Mantel und Kern, Verlust der zeitverzögerten Freisetzung der Einzelkomponenten
Dragees
Ungleichen Bruchstücken
Sublingual-, Bukkaltabletten
Zersetzung der Tablette unter Einfluss von Feuchtigkeit
13 Fortbildung aktuell – Das J urnal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lipp Fortbildung ktuell – D s Journal
Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 13
Problemfall Teilbarkeiten
tisch geteilt werden, um der Anordnung des Arztes nach einer halbierten (gedrit- telten, geviertelten) Tablette zu entspre- chen oder weil der Patient aufgrund von Schluckbeschwerden keine ganzen Ta- bletten einnehmen kann. Nicht selten werden auch halbe Kapseln verordnet. Hersteller geben mitunter an, dass die auf der Tablette befindliche Bruchrille nur zur Erleichterung der Einnahme dient und nicht zur Aufteilung in gleiche Dosen ge- eignet ist. Diese Information wird vom Patienten (und gerne auch vom Arzt) ent- weder übersehen oder als nicht relevant abgetan. Bei manchen Präparaten finden sich sogar irritierende Schmuckkerben, die eine Teilbarkeit suggerieren, hierfür aber nicht vorgesehen sind, auch nicht zur Erleichterung der Einnahme. Dies al- les kann der Patient nicht wissen! Ferner kann ein Verlust der Wirksamkeit bei der Teilung von Präparaten beobachtet wer- den, die einen hydrolyse-, licht- oder oxi- dationsempfindlichen Wirkstoff enthal- ten und die nach der Teilung länger ge- lagert werden (Beispiele siehe Tab. 2). Ta- bletten sollten daher immer erst kurz vor der Einnahme geteilt werden. Risiken für eine erfolgreiche Arzneimitteltherapie bestehen aber insbesondere auch, wenn der Patient nicht in der Lage ist, eine ex- akte Teilung durchzuführen. Um Tablet- ten teilen zu können, bedarf es nämlich einiger wichtiger Fähigkeiten, die oft un- terschätzt werden. Hierzu zählen ausrei- chendes Sehvermögen, Koordination, Fin- gerkraft und Kognition. Fähigkeiten, die insbesondere bei älteren Patienten nur noch eingeschränkt vorhanden sind. Teil- bare Tabletten werden dann unter groß- en Anstrengungen der Patienten zu Brö- seln oder ungleichen Bruchstücken zer- teilt. Patienten verzweifeln darüber, trau- en sich aber unberechtigterweise nicht, dem Arzt oder Apotheker gegenüber ih- re „Unfähigkeit“ einzugestehen und nach Lösungen zu fragen. Zu guter Letzt hat das Teilen von Tabletten oder die Ein-
entsprechende Schutzvorrichtungen (Mundschutz, Handschuhe, keine Zu- bereitung durch Schwangere) einzu- halten sind. • Angehörige könnten ein Präparat mit hydrolyse- oder oxidationsempfind- lichem Wirkstoff teilen und es aus Un- wissenheit über den Wirkverlust für ei- ne Woche im Voraus stellen. • Patienten könnten zur Teilung von Ta- bletten ungeeignete Techniken oder Instrumente anwenden. Alle Beispiele zeigen Risiken für die AMTS im Bereich „Teilen von Arzneimittel“ auf, die vermutlich eher die Regel als die Aus- nahme sind. Denn welcher Angehörige ist sich über Lagerungsinstabilitäten geteil- ter Tabletten und einhergehender Quali- täts- und Wirksamkeitsverlusten bewusst und welche Pflegekraft trägt wirklich ei- nen Mundschutz beim Teilen von Tablet- ten? Hier entstehen Fehler aus Unwissen- heit, die sich durch entsprechende Aufklä- rung und Ratschläge adressieren lassen. Das Teilen von Arzneimitteln stellt immer noch ein gemeinhin unterbewertetes Ri- siko dar. Es ist nämlich meist nicht offen- sichtlich, welche Risiken aus unsachgemäß geteilten Arzneimitteln erwachsen kön- nen oder welche Schwankungen in der Wirkung – im Extremfall können Überdo- sierung oder annähernde Wirkungslosig- keit beobachtet werden – auf eine inadä- quate Teilung zurückzuführen sind. Ge- fürchtet ist das sogenannte Dose-Dum- ping, also eine unbeabsichtigte Freiset- zung des kompletten Wirkstoffdepots ei- ner retardierten Formulierung innerhalb kurzer Zeit, anstatt einer kontrollierten Wirkstoffabgabe über einen verlänger- ten Zeitraum. Patienten zeigen aufgrund der veränderten Freisetzungskinetik und den resultierenden höheren systemischen Wirkspiegeln Symptome einer Überdosie- Unterbewertetes Risiko
Abbildung 1: Kapseln dürfen nicht geteilt werden. Foto: Fotolia / VIPDesign
rung (z. B. Schwindel bei Blutdrucksen- kern, Atemdepression bei Opioiden). Ge- rade bei Opioiden kann das Dose-Dum- ping relevante Auswirkungen haben. Wie kann es dazu kommen? Sehr schnell, z. B. bei einem Präparatewechsel. So sind einige Oxycodon-Retardtabletten teilbar (z. B. Oxycodon-HCl-ratiopharm® 20 mg Retardtablette), andere wiederum nicht (z. B. Oxycodon-HCl HEXAL® 20 mg Re- tardtablette). Wechselt der Patient von einer teilbaren auf eine nicht teilbare Ta- blette (oder gar eine Kapsel) und führt wie gewohnt die Teilung durch, kommt es zum gefährlichen Dose-Dumping. Dieser Medikationsfehler, seine unerwünschten Wirkungen und Schädigungen für den Pa- tienten wären vermeidbar. Für den Patienten ist es meist nicht er- sichtlich, welche Tabletten geteilt wer- den dürfen und welche nicht. Die Ge- brauchsinformationen geben hierzu nur manchmal Auskunft, sofern sie vom Pa- tienten gelesen werden. Meist orientiert sich der Patient an dem Vorhandensein ei- ner Bruchrille, was aber nicht ausschließt, dass auch Tabletten ohne Bruchrille unkri- Die Sicht des Patienten
14 Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe
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