Fortbildung aktuell [Das Journal] 2/2017
DR. CONSTANZE SCHÄFER / DÖRTE SCHRÖDER-DUMKE
in den ersten sechs Lebenswochen Xan- thinderivate zu Coffein abgebaut wer- den und der Säugling deshalb schlecht schläft sowie unruhig wirkt. Nach der mütterlichen Einnahme von Theophyllin kann dies zu Beginn gelegentlich beob- achtet werden. · Auch die renale Clearance erreicht erst nach zwei bis fünf Monaten „normale“ Werte. Renal eliminierte Wirkstoffe haben deshalb oft eine höhere bzw. längere Wirksamkeit. · Wegen des deutlich erhöhten Körper- wasseranteils kommt es zu niedrigeren Konzentrationen wasserlöslicher Wirk- stoffe; fettlösliche Wirkstoffe sind dafür im Plasma höher konzentriert. · Die Blut-Hirn-Schranke ist in den ersten Lebensmonaten mangelhaft ausgebildet, so dass es bei Antihistaminika beispiels- weise zu paradoxen Wirkungen kommen kann. Während der Antibiotikabehandlung der Mutter kann eine dünnere Stuhlkonsistenz beim Säugling auftreten. Viel wesent- licher kann wegen geschmacklicher Verän- derungen der Milch, z. B. bei der Einnahme von Penicillinen und Makroliden, aber auch bei ätherischen, insbesondere mentholhaltigen Ölen, die oft in Erkäl- tungsmitteln enthalten sind, Gewürzen sowie Nikotin die Verweigerung der Milch sein. Deshalb empfehlen Ernährungsfor- scher, dass werdende Mütter bereits auf eine abwechslungsreiche Nahrung achten sollten. Sollte eine längerfristige Therapie mit Analgetika, Sedativa, Psychopharmaka oder Antiepileptika notwendig sein (vgl. hierzu, 3,6,7,8; www.embrytox.de so gilt ganz allge- mein, dass der Säugling bezüglich auftre- tender Nebenwirkungen, wie Müdigkeit, Sedierung, mögliche Trinkschwäche und eventuell eine veränderte Hautfarbe be- obachtet wird und dann im Einzelfall über eine Fortsetzung des Stillens oder einen Präparatewechsel Rücksprache mit dem Arzt erfolgt.
Dennoch werden bewährtere Alternati- ven wie Penicilline, Cephalosporine und Makrolide empfohlen. Dies gilt insbeson- dere dann, wenn der Säugling unter einer Hyperbilirubinämie oder einem Gluco- se-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel leidet. Weitere wesentliche Besonderheiten des Neugeborenen-Organismus, die Ein- fluss auf die Pharmakologie von Wirkstof- fen haben, sind: 5,6,8 · Verminderte Magensäuresekretion und verlangsamte Magenentleerung: Arznei- stoffe, die durch Magensäure aktiviert werden oder Wirkstoffe, die im Dünn- darm resorbiert werden, zeigen eine veränderte Pharmakokinetik. Erfolgt kei- ne Aktivierung, kann in der Regel auch keine Wirkung beobachtet werden. · Die Leber, die während der Zeit imMut- terleib zweckmäßigerweise keinerlei Entgiftungsfunktion hatte und auch ansonsten nur sehr reduziert arbeitete, produziert zunächst nur in geringem Maße Plasmaeiweiße. Damit fällt der Faktor der Plasmaeiweißbindung weg, so dass der Blutspiegel von typischer- weise in geringer Konzentration im Blut ungebunden vorhandenen Arznei- stoffmolekülen vergleichsweise hoch ist. Dies kann, sofern bereits geeignete Leberenzyme zum Abbau vorhanden sind, zu einem schnelleren Ausschei- den als im Vergleich zum erwachse- nen Organismus führen oder aber zu verstärkten systemischen Effekten. Da jedoch die Menge der freien Moleküle immütterlichen Plasma Dank der dort vorhandenen Plasmaeiweiße vor allem bei Bindungsraten von 85 und mehr Pro- zent, nicht sehr hoch sein wird und nur ein Bruchteil tatsächlich in der Mutter- milch anflutet, werden keine massiven UAW zu erwarten sein. Deshalb bei der Auswahl eines Arzneistoffs zur Behand- lung der Mutter solche mit einer höhe- ren Plasmaeiweißbindung bevorzugen. · Der Leberstoffwechsel passt sich nach und nach an: Die Ernährung mit Mutter- milch in den ersten Wochen stellt keine besonderen Anforderungen an den enzymatischen Leberstoffwechsel dar. Oxidationsreaktionen erfolgen in der Leber nach ein bis zwei Wochen nach Geburt, bei Konjugationsreaktionen dauert es sogar drei Monate. Deshalb sind veränderte Plasmahalbwertszeiten zu beobachten (s. Tabelle 3) oder dass
REFERENZEN & LITERATUR 1 Anderson, P.O.: Drugs and breastmilk. Pediatrics 95 (6), 958, (1995) 2 Friese, K., Mörike, K. et al.: Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit Ein Leitfaden für Ärzte und Apotheker; WVG, 2006 3 Grospietsch, G.: Erkrankungen in der Schwanger- schaft, WVG Stuttgart, 2004 4 Koshimichi, H. et al.: Analysis and Prediction of Drug Transfer into Human Milk Taking into Con- sideration Secretion and Reuptake Clearances across the Mammary EpitheIia; Drug Meta- bolism and Distribution, 2011 [doi: 10.1124/ dmd.111.040972] 5 Lichtmaneker, N.: Arzneimittelempfehlungen in der Schwangerschaft, Govi, 2016 6 Schaefer, C., Spielmann, H. et al.: Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit, mit Zugangs- code zu ergänzendemWeb-Angebot; Urban und Fischer 2012 7 Rohde, A., Schaefer, C.: Psychopharmakotherapie in Schwangerschaft und Stillzeit, Georg Thieme Verlag, 2010 8 Smollich, M., Jansen, A.C.: Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit – Schnell und sicher beraten, Hippokrates Verlag 2009 9 Jansson, L.M.: Guidelines for breastfeeding and the drug-dependent woman. Breastfeed Med 2009; 4: 225-228 Internet · www.embryotox.de · www.fachinfo.de · www.motherisk.org · www.toxnet.nlm.nih.gov
TABELLE 3: Beispiele für Halbwertzeiten einiger Wirkstoffe im Vergleich bei Neugebore- nen und Erwachsenen (nach www.fachinfo.de) 2,6,8
Wirkstoff
Neugeborenes
Erwachsener
Paracetamol Diazepam Theophyllin
2,5-5 h
1,9-2,2 h 15-25 h
15-100 h 24-36 h
3-9 h
Chloramphenicol
8 h
1,5-5 h
AKWL Fortbildung Aktuell – Das Journal / 9
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