FB-aktuell_Journal_4_2014

Dr. Hiltrud von der Gathen

Polymedikation im Alter Praxisbeispiele zur Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS)

erhöht sich die Summe sogar auf 19 Mil- liarden Euro. 4 Folglich spart die Verbesse- rung der Anwendung erhebliche Kosten.

Polymedikation im Alter ist in aller Munde. Der Aktionsplan AMTS 2013 bis 2015 des Bundesministeriums für Gesund- heit dokumentiert den hohen politischen Stellenwert des Ziels, die Sicherheit von Arzneitherapien zu erhöhen. Während lange Zeit unter Arzneimittelsicherheit vor allem die Sicherheit des Arzneistoffs und -mittels verstanden wurde, rückt nun die Sicherheit der bestimmungsgemäßen Anwendung weiter in den Vordergrund. Hier verbirgt sich ein großes Potenzial, nicht nur Kosten im Gesundheitssektor zu sparen, sondern vor allem den Patienten vor vermeidbaren Schäden einer Arznei- therapie zu schützen und durch die rich- tige Anwendung der passenden Arznei- mittel und Arzneiformen seine Lebens- qualität positiv zu beeinflussen. 1 Während der Patient im Diagnoseprozess zumeist umfangreich betreut wird, ist er nach Diagnosestellung für den bestim- mungsgemäßen Gebrauch seiner Medi- kation weitgehend allein verantwortlich. Gerade der ältere Mensch mit Dauerme- dikation bedarf dabei eines stärkeren Bei- standes. Zu Beginn der Therapie muss er die gute, heilende Wirkung seiner Arznei- mittel erkennen, anerkennen und im Um- gang mit Nebenwirkungen geschult wer- den. Im Verlauf der Therapie muss über- prüft werden, ob sich Fehler bei der An- wendung bewusst oder unbewusst einge- stellt haben. Für diese patientennahe Begleitung ist der Apotheker so gut ausgebildet wie kein anderer im Gesundheitswesen. Hier gilt es, die Verantwortung mit Elan und Schwung kompetent zu übernehmen, sie gegen Begehrlichkeiten von anderer Seite zu verteidigen und die einzigartige apo- thekerliche Arzneimittelkompetenz über-

Die „neuen“ Alten

Wer verfolgt hat, dass Heino letztes Jahr in Wacken – dem größten Heavy-Metal- Festival der Welt – mit 75 Jahren im roten Nietenmantel zusammen mit Rammstein gerockt hat, der weiß, dass die Zeiten vorübergehen, in denen man beim Se- niorenkaffee Catarina Valente und Pe- ter Alexander hört. Lange wird es nicht mehr dauern, bis dort „I can’t get no sa- tisfaction“ gespielt wird. Die „neuen“ Al- ten sind nicht mehr die „alten“ Alten. Die ehemalige, rebellierende 68er-Genera- tion kommt ins Rentenalter. 50 Prozent der heute über 50-jährigen weisen bereits mindestens drei chronische Erkrankungen auf, die keine Bagatellerkrankungen son- dern behandlungsbedürftig sind. 3 In Zukunft wird bei der Beratung des- halb die paternalistische Entscheidungs- findung an Bedeutung verlieren, bei der einer (Arzt oder Apotheker) sagt, was ge- macht wird und der andere (Patient) dem gehorsam Folge leistet. Vielmehr wird die partizipative Entscheidungsfindung an Bedeutung gewinnen, bei der beide Sei- ten gleichberechtigt an der Therapieent- scheidung beteiligt sind. 3 Der multimor- bide, ältere Patient wird in der Zukunft nicht nur be- handelt werden, sondern vermehrt wird der Berater mit ihm über die Therapie ver -handeln müssen. Zum Beispiel darüber, welche seiner Beschwer- den behandelt werden können und müs- sen und was der Patient bereit ist, dafür zu leisten oder in Kauf zu nehmen. Ver- teidigt er seine Arzneitherapie gegen- über Angriffen von außen? Hält er zu er-

Dr. Hiltrud von der Gathen ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bun- desapothekerkammer. Neben ihrer Re- ferenten- und Autorentätigkeit ist sie bundesweit als Referentin und als Ver- tretung in Apotheken tätig.

zeugend darzustellen, in die Praxis umzu- setzen und zu verteidigen.

Das Horrorszenario der Kosten

Beim Thema Polymedikation impo- niert das Horrorszenario der Kosten. In Deutschland nehmen ca. sieben Millionen Mitbürger fünf oder mehr Medikamente ein. 2 Jeder zweite jedoch nimmt seine Arzneimittel nicht wie verordnet ein. 3 Je- de fünfte Krankenhauseinweisung er- folgt wegen unerwünschter Arzneimittel- wirkungen. 25 Prozent davon sollen ver- meidbar sein. 1 Nach einer Untersuchung von IMS Health 2013 soll sich ein Einspar- potenzial von 13 Milliarden Euro erge- ben, würden Arzneimittel richtig verwen- det. Werden Folgekosten mit einbezogen,

Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 5

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